#1

Waisenknabe

in Diverse 05.09.2008 00:18
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Waisenknabe

Ich bin kein Waisenknabe, so als Typ.
Es kommt oft vor, da plötzlich stelle ich
so eine unbequeme Frage, üb
Kritik, meist ganz direkt. Mein Pinselstrich

ist klar, hat Außenkanten, nicht so trüb
wie andere. Bin auch kein Wespenstich
mit Gift drin, auch kein schleimiger Polyp
mit hartem Schnabel nur. Nein, ohne mich!

Aber ich bin ein Elfmeter mitten
ins Gesicht und Fasten ohne Darben,
ungefragtes Fragen ohne Bitten,

unvergesslich hässlich dank der Narben,
jener elenden Schraffur, erlitten
und gezeichnet als die Eltern starben.

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#2

Waisenknabe

in Diverse 05.09.2008 07:17
von Pog Mo Thon (gelöscht)
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Hallo, mein lieber Gunter,

mit diesem Waisenknaben habe ich zwar so meine Probleme, möchte aber gleich zu Beginn betonen, dass ich ihn, wie fast alles von dir, für überdurchschnittlich talentiert halte.

Auch wenn ich nicht der größte Fan von durchgängig kreuzgereimten Sonetten bin, so stellst du hier wenigstens ein richtiges Sonett vor, indem du dich in den Quartetten auf zwei Reime beschränkst. Ich halte das für wesentlich, nicht nur um dem Anspruch an ein Klinggedicht nachzukommen. Und wenn dann noch so inspirierte Reime wie Typ-üb-trüb-Polyp dabei herauskommen, dann ist mein Kartoffelherz schon weichgekocht.

Ganz witzig finde ich, dass du den Wechsel von These zur Antithese, der inhaltlich gar nicht so deutlich ist, mit der Umstellung von männlicher auf weibliche Kadenz unterstreichst. Das fand ich schon deswegen doppelt sinnig, weil meiner Ansicht nach die relative Härte dieses lyrI, diese männliche Kantigkeit nicht nur förmlich konterkariert wird, sondern in der Conclusio ja auch inhaltlich durch die Narben gezeichnet wird, der weiche, der weibliche Kern wird freigelegt.

Auch wenn der Stolperer zwischen Quartetten und Terzetten dir vermutlich deswegen lieb und teuer ist, ich mag ihn nicht. Ich hätte einen unmerklicheren Umstieg subtiler gefunden: "denn ich bin ein Elfmeter mitten ins Gesicht. Und Fasten ohne Darben." usw. Aber bitte, das ist Geschmackssache.

Inhaltlich soweit konsequent, habe ich ein, zwei Mal das Gefühl, das eher verwaiste Aussagen aufblitzen (z.B. Fasten ohne Darben) oder recht unmotivierte Füllsel (da plötzlich, Schnabel nur), aber auch das hat ja einen gewissen Witz. Zusammengefasst fühle ich mich also sehr angesprochen und werde den Typen adoptieren.

Beste Grüße
Mattes
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#3

Waisenknabe

in Diverse 05.09.2008 16:39
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hi Mattes,

ich muss gestehen, dass das Gedicht gar nicht als Sonett geplant war. Aber als ich es einstellte, merkte ich, dass in der zweiten Strophe zwei Verse fehlen. Da habe ich das dann einfach so hingeschummelt.

Ja, der metrische Wechsel holpert. Da ist Deine Version wirklich besser. Ich dachte, ich mach so einen Schockwechsel, da man ja mit dem Jambus beim besten Willen nicht über das Aber rüber kommt. Aber stimmt. Es liest sich Scheiße und ich verfalle selbst fast zunächst in einen Daktylus, daher werde ich Deine Variante vielleicht übernehmen, wenn das erlaubt ist.

Der Schnabelsatz war wirklich mein Sorgenkind. Aber das "nur" muss da sein. Es geht ja darum, dass der Rest vom Kraken weich ist. Das "da" vor dem Plötzlich war bis kurz vor dem Einstellen noch ein "und", und einer spontanen Eingabe folgend, wurde es ein "da". Vielleicht eine schlechte Idee.
Die "verwaisten Aussagen" sind anteilig gewiss reiminspiriert, aber die Schlüssigkeit in meines Gebildes mag ich mir nicht ausreden lassen.
Vorallem das sonstige Gefallen freut mich natürlich.

Grüße,
GW


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