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Setz dich
Ins Gestühl der Mittagsschwüle.
Setz dich, setz dich.
Herzlos
Brennen die Bäume, verbrennen,
Glutend fällt ein blutiges Blatt
Mir auf die Stirn.
Heimat
Unterm Rock der Mütter,
Geborgen im Schoße
Eines Antlitzes, weiß wie das Mehl
Zerriebener Sterne.
Gib mir
Das Wort, das ich geschwiegen hab,
Zerpflückt, zerfledert
Zurück.
Ins Gestühl der Mittagsschwüle.
Setz dich, setz dich.
Herzlos
Brennen die Bäume, verbrennen,
Glutend fällt ein blutiges Blatt
Mir auf die Stirn.
Heimat
Unterm Rock der Mütter,
Geborgen im Schoße
Eines Antlitzes, weiß wie das Mehl
Zerriebener Sterne.
Gib mir
Das Wort, das ich geschwiegen hab,
Zerpflückt, zerfledert
Zurück.
#2
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Unterm Rock der Mütter
in Philosophisches und Grübeleien 19.10.2008 11:59von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Zitat: |
Renee schrieb am 19.10.2008 04:40 Uhr: Setz dich Ins Gestühl der Mittagsschwüle. Setz dich, setz dich. Herzlos Brennen die Bäume, verbrennen, Glutend fällt ein blutiges Blatt Mir auf die Stirn. Heimat Unterm Rock der Mütter, Geborgen im Schoße Eines Antlitzes, weiß wie das Mehl Zerriebener Sterne. Gib mir Das Wort, das ich geschwiegen hab, Zerpflückt, zerfledert Zurück. |
zerfleddert mit zwei "d" bitte.
hallo Renee
es beginnt mit einer, durch die dreifache Wiederholung fast schon aufdringlich anmutenden Aufforderung, der ich aber gerne nachkomme. solche Metaphern benutze ich liebend gerne als Sitzmöbel für meine Phantasie.
Hundstageblätter, sonnenversengte blasse eingekringelte Abwürfe erscheinen mir vorm inneren Auge. warum aber Blut? das Chlorophyll wurde von den Bäumen bereits entzogen. ein vor Trockenheit zwischen den Fingern zerbröselndes Robinienblatt, hat mit Schweiss verrieben, nur noch im entfernten etwas Ähnlichkeit mit abgekratztem Schorf von Wunden, geronnenem Blut. ich frage mich ob das nicht zu weit hergeholt ist.
"Heimat", herrje, welch Unwort! zwar wird es mir gleich danach unterm Rockzipfel relativiert. aber an der Stelle verabschiedet sich mein Gefallen. Mütter steht im Pural da (warum eigentlich? die inhaltliche Wiederholung und Entsprechung "Schoß" erfolgt im Singular). trotzdem und auch wegen des Schlüsselwortes "Stirn" assoziiere ich stark Benn (Gottfried Benn in Morgue:
"Mutter
Ich trage dich wie eine Wunde
auf meiner Stirn, die sich nicht schließt.").
das weiße, blutleere Antlitz des Alters? ab hier glaube ich zu wissen was gemeint ist. das lyrische Ich beginnt in der letzten Strophe zu sprechen. bisher hatte es geschwiegen. und es ist wahrscheinlich als wortlose Aufforderung gemeint, was es da sagt, während es seine alt gewordene Mutter betrachtet/besucht: "Mutter, gib mir Antworten." das will mir nun doch gefallen.
aber ohne dieses H-Wort, ohne diesen widerlichen Nabel der Blut-und-Boden-Dichtung ginge es sicherlich auch. und "Mutter" hätte ich mir, trotz Benn, im Singular gewünscht, ja.
Gruß
Alcedo
Lieber Alcedo,
es ist für mich schon erstaunlich, was ich mit meinem Gedicht anspreche bei dir. Nee, mit Benn habe ich nun wahrlich nichts im Sinn, er wäre der allerletzte, den ich assoziiere.
Erhebt sich für mich die Frage, muss ein Gedicht sich "erklären"? Ein Gedicht ist nun mal keine (Prosa)- Erzählung, viele Gedanken fließen in es ein, knüpfen Verbindungen oder auch nicht. Du suchst, ein bisschen krampfhaft, will mir scheinen, aus dem Abstrakten das Konkrete. Für dich ist ein Antlitz wirklich ein Antlitz. Es kann aber, gerade im Gedicht, etwas völlig anderes sein, eine Metapher für einen Vorgang, ein Ereignis, sogar ein Urteil. Ich halte es für wichtig für einen Autor, der selbst Gedichte schreibt, Gedichte auch "lesen" zu lernen. Du gehst wie ein Buchhalter ran an das Gedicht, unterm Strich muss alles aufgehen in der Endsumme, alles muss erklärbar sein, du verlangst, das Bild muss sozusagen die Flügel anlegen, damit du den Vogel erkennst. Versteh mich richtig, ich kritisiere nicht, wie du an das Gedicht herangehst. Was ich kritisiere, ist, dass du deinen eigenen Flügeln Fesseln anlegst, und das hindert dich, etwas zu "verstehen", dich in die Weite der Gedanken zu begeben, du bleibst, wenn man so will, immer am Boden. Das ist eine völlig richtige Haltung bei sogenannten "realistischen Gedichten", wo ein Fluss zwar grün oder rot oder lila sein kann, aber er muss als Fluss erkennbar sein. Dieses Gedicht oben gehört aber in eine andere Kategorie, ich habe es vorwiegend mit absoluten Metaphern und Bildern geschrieben. Sogar das von dir erwähnte "H-Wort" hat nicht die Bedeutung, die du ihm gibst, nämlich die Einschränkung der Region, das Beharren auf dem Fleck des Geburtsortes im Gegenteil, dieses Wort ist die Weite, das Überallsein, Metapher für das Selbstsein, für Menschsein. Und bedenke bitte, in unserem Zeitalter der Menschenwanderungen hat das Wort Heimat eine völlig andere Bedeutung bekommen, als es das einmal hatte zu Blut-und-Boden-Zeiten. Diese Sicht wäre mir einfach zu eng, sie entspricht nicht meiner Intention, schon gar nicht der des Gedichts. Der "Rock der Mütter" bedeutet doch, dass ich nur dort Mensch sein kann, wo ich anerkannt werde - schlicht als Mensch, nicht als Flüchtling, nicht als Habenichts, nicht eingeordnet werde in eine Kategorie. In diesem Gedicht geht es ums Freisein des Menschen. Was ist gegen die Pluralform "Mütter" einzuwenden? Wenn nämlich Freiheit, dann nicht Freiheit für wenige, sondern für alle.
Das Wort "fledern" existiert übrigens, es bedeutet sowohl flattern als auch reinigen. "Fleddern" dagegen bedeutet ausplündern, berauben.
Hab vielen Dank für deinen Kommentar. Hat mich gefreut.
Liebe Grüße, Renee
es ist für mich schon erstaunlich, was ich mit meinem Gedicht anspreche bei dir. Nee, mit Benn habe ich nun wahrlich nichts im Sinn, er wäre der allerletzte, den ich assoziiere.
Erhebt sich für mich die Frage, muss ein Gedicht sich "erklären"? Ein Gedicht ist nun mal keine (Prosa)- Erzählung, viele Gedanken fließen in es ein, knüpfen Verbindungen oder auch nicht. Du suchst, ein bisschen krampfhaft, will mir scheinen, aus dem Abstrakten das Konkrete. Für dich ist ein Antlitz wirklich ein Antlitz. Es kann aber, gerade im Gedicht, etwas völlig anderes sein, eine Metapher für einen Vorgang, ein Ereignis, sogar ein Urteil. Ich halte es für wichtig für einen Autor, der selbst Gedichte schreibt, Gedichte auch "lesen" zu lernen. Du gehst wie ein Buchhalter ran an das Gedicht, unterm Strich muss alles aufgehen in der Endsumme, alles muss erklärbar sein, du verlangst, das Bild muss sozusagen die Flügel anlegen, damit du den Vogel erkennst. Versteh mich richtig, ich kritisiere nicht, wie du an das Gedicht herangehst. Was ich kritisiere, ist, dass du deinen eigenen Flügeln Fesseln anlegst, und das hindert dich, etwas zu "verstehen", dich in die Weite der Gedanken zu begeben, du bleibst, wenn man so will, immer am Boden. Das ist eine völlig richtige Haltung bei sogenannten "realistischen Gedichten", wo ein Fluss zwar grün oder rot oder lila sein kann, aber er muss als Fluss erkennbar sein. Dieses Gedicht oben gehört aber in eine andere Kategorie, ich habe es vorwiegend mit absoluten Metaphern und Bildern geschrieben. Sogar das von dir erwähnte "H-Wort" hat nicht die Bedeutung, die du ihm gibst, nämlich die Einschränkung der Region, das Beharren auf dem Fleck des Geburtsortes im Gegenteil, dieses Wort ist die Weite, das Überallsein, Metapher für das Selbstsein, für Menschsein. Und bedenke bitte, in unserem Zeitalter der Menschenwanderungen hat das Wort Heimat eine völlig andere Bedeutung bekommen, als es das einmal hatte zu Blut-und-Boden-Zeiten. Diese Sicht wäre mir einfach zu eng, sie entspricht nicht meiner Intention, schon gar nicht der des Gedichts. Der "Rock der Mütter" bedeutet doch, dass ich nur dort Mensch sein kann, wo ich anerkannt werde - schlicht als Mensch, nicht als Flüchtling, nicht als Habenichts, nicht eingeordnet werde in eine Kategorie. In diesem Gedicht geht es ums Freisein des Menschen. Was ist gegen die Pluralform "Mütter" einzuwenden? Wenn nämlich Freiheit, dann nicht Freiheit für wenige, sondern für alle.
Das Wort "fledern" existiert übrigens, es bedeutet sowohl flattern als auch reinigen. "Fleddern" dagegen bedeutet ausplündern, berauben.
Hab vielen Dank für deinen Kommentar. Hat mich gefreut.
Liebe Grüße, Renee
#4
von Joame Plebis • | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Unterm Rock der Mütter
in Philosophisches und Grübeleien 21.10.2008 11:05von Joame Plebis • | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Tag, Renee!
Es gleicht einer undankbaren Aufgabe, in einen engen Realitätstunnel zu kriechen, um bestenfalls eine vage Zustimmung zur erahnten Intention zu erhalten.
Wie ich sehe, scheint sich ein Kommentator bemüht zu haben,
doch blieb das Feld nach allen Seiten offen. Fleddern, mir wohlbekannt, fleder hingegen z.B. noch in Fledermaus zu ersehen (möglicherweise stammt auch der Flieder aus dieser Richtung).
Derweil ich Deine freundliche Form schätzte, bin ich mir doch unsicher, jemals etwas für Dich Akzeptables herausdeuten zu können, fürchte um das Gelingen.
Nur eine kleine gedankliche Verbindung steigt in mir auf, die ich Dir nicht vorenthalten will:
Brennender Wald in Mittagsschwüle,
zerflederd das Wort und das Blatt in der Glut.
Im Schoße der Mutter schweigend geborgen,
war einmal wie Heimat, in der ich geruht.
Gruß
Joame
Es gleicht einer undankbaren Aufgabe, in einen engen Realitätstunnel zu kriechen, um bestenfalls eine vage Zustimmung zur erahnten Intention zu erhalten.
Wie ich sehe, scheint sich ein Kommentator bemüht zu haben,
doch blieb das Feld nach allen Seiten offen. Fleddern, mir wohlbekannt, fleder hingegen z.B. noch in Fledermaus zu ersehen (möglicherweise stammt auch der Flieder aus dieser Richtung).
Derweil ich Deine freundliche Form schätzte, bin ich mir doch unsicher, jemals etwas für Dich Akzeptables herausdeuten zu können, fürchte um das Gelingen.
Nur eine kleine gedankliche Verbindung steigt in mir auf, die ich Dir nicht vorenthalten will:
Brennender Wald in Mittagsschwüle,
zerflederd das Wort und das Blatt in der Glut.
Im Schoße der Mutter schweigend geborgen,
war einmal wie Heimat, in der ich geruht.
Gruß
Joame
#5
von Pog Mo Thon (gelöscht)
Unterm Rock der Mütter
in Philosophisches und Grübeleien 21.10.2008 15:35von Pog Mo Thon (gelöscht)
Hallo Renee et al.,
nein, ein Gedicht muss sich nicht erklären. Es muss und will nichts beweisen, es muss weder logisch, noch sonst irgend etwas sein. Aber ich denke, es will zur Kenntnis genommen sein. Es will sprechen. Und bestimmt nicht in taube Ohren. Es will also verstanden werden, mindestens auf sinnlicher Ebene.
Die Verwendung absoluter Metaphern birgt logischerweise die Gefahr großer Hermetik. Die absolute Metapher kann nur noch sinnlich erfahren werden. Das Bild, welches mit dieser Metapher gezeichnet wird, löst ein Gefühl, löst Assoziationen aus, es ist - da gebe ich dir recht - nicht 1 zu 1 übersetzbar.
Celans "Schwarze Milch der Frühe" muss ja immer schon als Beispiel für ein Oxymoron herhalten, als absolute Metapher ginge sie auch durch, wobei mir bekannt ist, welche Interpretationsmöglichkeiten es gibt. Aber auch ohne intimere Kenntnis jüdischer Sprichwörter über Mordechai Meisel sollte das Bild bei einem Leser wirken können. Und es ist legitim, wie ich meine, weder der Schwarzen Milch Celans, noch dem Schwarzen Regen Georg Trakls oder dem Blutigen Blatt Renees etwas abgewinnen zu können.
Celan und Trakl kann ich nicht (mehr) fragen, aber Renee kann ich fragen und genau zu diesem Zweck ist das hier ein Literaturforum und das einzig wirklich Spannende ist doch, dass ich mit den Dichtern diskutieren kann. Gedichte lesen kann ich woanders auch und bei allem Respekt, bessere Gedichte zumal.
Insofern empfehle ich, die eigenen Gedichte ruhig mit Verve zu verteidigen, aber dem Leser vielleicht doch zu antworten, welche Überlegungen einen zu bestimmten Worten brachten. Sonst muss man ja den Eindruck gewinnen, die Wortwahl sei beliebig, bestenfalls assoziativ. Aber dann könnte der Dichter sich erst recht an einer Diskussion über gelungene oder nicht gelungene Metaphern beteiligen, was nebenbei für mich eine wesentlich spannendere Klassifizierung ist.
Das Gedicht selbst spricht nicht zu mir. Der Dichter ist offenbar auch nicht so recht gewillt. Anders als die vielen (alle) Mütter, die sich einen Rock teilen, bin ich nicht so genügsam. Ich wollte auch wissen, ob das glutende Blatt lediglich aufgrund des Wohlklanges auch blutet, das Gestühl aufgrund der Schwüle altertümlich anmutet und der Schoß eines Antlitzes ein Euphemismus für ein Arschgesicht ist.
Gruß
Mattes
nein, ein Gedicht muss sich nicht erklären. Es muss und will nichts beweisen, es muss weder logisch, noch sonst irgend etwas sein. Aber ich denke, es will zur Kenntnis genommen sein. Es will sprechen. Und bestimmt nicht in taube Ohren. Es will also verstanden werden, mindestens auf sinnlicher Ebene.
Die Verwendung absoluter Metaphern birgt logischerweise die Gefahr großer Hermetik. Die absolute Metapher kann nur noch sinnlich erfahren werden. Das Bild, welches mit dieser Metapher gezeichnet wird, löst ein Gefühl, löst Assoziationen aus, es ist - da gebe ich dir recht - nicht 1 zu 1 übersetzbar.
Celans "Schwarze Milch der Frühe" muss ja immer schon als Beispiel für ein Oxymoron herhalten, als absolute Metapher ginge sie auch durch, wobei mir bekannt ist, welche Interpretationsmöglichkeiten es gibt. Aber auch ohne intimere Kenntnis jüdischer Sprichwörter über Mordechai Meisel sollte das Bild bei einem Leser wirken können. Und es ist legitim, wie ich meine, weder der Schwarzen Milch Celans, noch dem Schwarzen Regen Georg Trakls oder dem Blutigen Blatt Renees etwas abgewinnen zu können.
Celan und Trakl kann ich nicht (mehr) fragen, aber Renee kann ich fragen und genau zu diesem Zweck ist das hier ein Literaturforum und das einzig wirklich Spannende ist doch, dass ich mit den Dichtern diskutieren kann. Gedichte lesen kann ich woanders auch und bei allem Respekt, bessere Gedichte zumal.
Insofern empfehle ich, die eigenen Gedichte ruhig mit Verve zu verteidigen, aber dem Leser vielleicht doch zu antworten, welche Überlegungen einen zu bestimmten Worten brachten. Sonst muss man ja den Eindruck gewinnen, die Wortwahl sei beliebig, bestenfalls assoziativ. Aber dann könnte der Dichter sich erst recht an einer Diskussion über gelungene oder nicht gelungene Metaphern beteiligen, was nebenbei für mich eine wesentlich spannendere Klassifizierung ist.
Das Gedicht selbst spricht nicht zu mir. Der Dichter ist offenbar auch nicht so recht gewillt. Anders als die vielen (alle) Mütter, die sich einen Rock teilen, bin ich nicht so genügsam. Ich wollte auch wissen, ob das glutende Blatt lediglich aufgrund des Wohlklanges auch blutet, das Gestühl aufgrund der Schwüle altertümlich anmutet und der Schoß eines Antlitzes ein Euphemismus für ein Arschgesicht ist.
Gruß
Mattes
Lieber Pog Mo Thon,
hm. Über ein Gedicht diskutieren. Ich tu es gern in der Form, weniger aber über Intentionen und Inhalte. Beides, Letzteres, greift sehr ins Herz des Gedichts, und meine Erfahrungen sind da nicht berauschend. Was nicht heißt, dass nicht jeder Leser für sich eigene Vorstellungen aus den Bildern entwickeln muss. Aber ich will auf deine Fragen eingehen, die du zum Schluss deines Komms stellst:
Ich denke nicht, dass die Metapher "Rock der Mütter" irgendein Synonym für Genügsamkeit sein kann. Wollte ich das ausdrücken, hätte ich es anders formuliert. Im Gegenteil, Schutz, Schirm, ja auch Beschränkung notwendigerweise, nicht gewillt, eher erzwungen. - Das blutige Blatt - als Metapher für erlittene Wunden in einer brennenden Welt. Aber selbstverständlich auch um des Wohlklangs willen, parallel zu "glutend" - die beiden dumpfen "u" assoziieren Gefahr, die allein schon aus dem Kontext hervorgeht. - Das Gestühl: keinesfalls ein "veraltetes" Wort, obwohl ich alte Wörter öfter mal einsetze. Gestühl, so werden die Bank- bzw. Sitzreihen in einer Kirche oder in anderen großen Räumen, z. B. in einem Theater, bezeichnet. Vorstellbar ist also, dass das "Gespräch" von einer hohen Decke überwölbt wird, die Weite auch der Gedanken zulässt. Aber auch hier die Alliteration zum "ü" der Mittagsschwüle als Element lyrischer Sprache. "Geborgen im Schoße/eines Antlitzes": Lies im Zusammenhang mit Vorhergehendem, dann kommst du auch nicht auf dein "Arschgesicht". Hätte ich Arsch gemeint, dann wäre es ein anderes Gedicht geworden. Sowieso, von Fäkalsprache, auch verborgener, in der Lyrik halte ich absolut nichts.
Liebe Grüße, Renee
hm. Über ein Gedicht diskutieren. Ich tu es gern in der Form, weniger aber über Intentionen und Inhalte. Beides, Letzteres, greift sehr ins Herz des Gedichts, und meine Erfahrungen sind da nicht berauschend. Was nicht heißt, dass nicht jeder Leser für sich eigene Vorstellungen aus den Bildern entwickeln muss. Aber ich will auf deine Fragen eingehen, die du zum Schluss deines Komms stellst:
Ich denke nicht, dass die Metapher "Rock der Mütter" irgendein Synonym für Genügsamkeit sein kann. Wollte ich das ausdrücken, hätte ich es anders formuliert. Im Gegenteil, Schutz, Schirm, ja auch Beschränkung notwendigerweise, nicht gewillt, eher erzwungen. - Das blutige Blatt - als Metapher für erlittene Wunden in einer brennenden Welt. Aber selbstverständlich auch um des Wohlklangs willen, parallel zu "glutend" - die beiden dumpfen "u" assoziieren Gefahr, die allein schon aus dem Kontext hervorgeht. - Das Gestühl: keinesfalls ein "veraltetes" Wort, obwohl ich alte Wörter öfter mal einsetze. Gestühl, so werden die Bank- bzw. Sitzreihen in einer Kirche oder in anderen großen Räumen, z. B. in einem Theater, bezeichnet. Vorstellbar ist also, dass das "Gespräch" von einer hohen Decke überwölbt wird, die Weite auch der Gedanken zulässt. Aber auch hier die Alliteration zum "ü" der Mittagsschwüle als Element lyrischer Sprache. "Geborgen im Schoße/eines Antlitzes": Lies im Zusammenhang mit Vorhergehendem, dann kommst du auch nicht auf dein "Arschgesicht". Hätte ich Arsch gemeint, dann wäre es ein anderes Gedicht geworden. Sowieso, von Fäkalsprache, auch verborgener, in der Lyrik halte ich absolut nichts.
Liebe Grüße, Renee
Liebe Joame,
ja, man sucht nach Erklärung, will sich ein Bild schaffen aus Wörtern, das ist ganz natürlich. Aber der Sinn liegt verborgen, man muss ihn richtiggehend herausschaufeln, den Wörtern eigenen Sinn geben, ein Autor kann lediglich etwas vorgeben, was den Leser dann anrühren wird bzw. sollte. Ich habe Gedichte ganz gerne, die ich im ersten Moment gar nicht so recht verstehe, in die ich mich hineinbegeben muss, um etwas für mich Gültiges mitnehmen zu können. Ein Gedicht muss ein Geheimnis haben, bewegt es sich zu sehr an der Oberfläche, ist man enttäuscht. Nun gibt es ganz unterschiedliche Arten von Gedichten. Ich kann z. B. ein Naturgedicht entweder als ein äußeres oder auch als ein inneres Erlebnis schreiben, ich kann aber auch beides zusammenbringen, aber alle drei Sichten sind legitim. Welche Sicht den stärkeren Eindruck hinterlässt, hat auch viel mit der (lyrischen) Erfahrung des Lesers zu tun, mit seinen Erwartungen, ja sogar mit seiner Tagesform. Dasselbe Gedicht, an einem anderen Tag gelesen, kann eine ganz andere Wirkung haben. Insofern schreibt der Leser mit am Gedicht, damit muss der Autor unbedingt rechnen. Deshalb freue ich mich auch, dass du versucht hast, deine ganz eigenen Gedanken beim Lesen zu bündeln. Irgendein Urteil, ob sie nun "falsch" oder "richtig" sind, wäre völlig fehl am Platz, es sind die Gedanken des Lesers, also deine Gedanken. Jede Einschätzung eines Textes kann aus diesem Grunde immer nur subjektiv ausfallen. Obwohl es natürlich bestimmte (handwerkliche) Kriterien gibt, die man übrigens jedem literarischen Text abfordert. Deshalb kann man im Grunde auch nur über sie diskutieren, nicht aber über Inhalte. Wobei es für mich nur eine einzige Einschränkung gibt: Ich lehne jeden Text ab, der mein oder anderer Menschsein beleidigt, einschränken oder entwürdigen will, und sei er noch so blendend geschrieben.
Ich bedanke mich für deinen Kommentar recht herzlich.
Liebe Grüße, Renee
ja, man sucht nach Erklärung, will sich ein Bild schaffen aus Wörtern, das ist ganz natürlich. Aber der Sinn liegt verborgen, man muss ihn richtiggehend herausschaufeln, den Wörtern eigenen Sinn geben, ein Autor kann lediglich etwas vorgeben, was den Leser dann anrühren wird bzw. sollte. Ich habe Gedichte ganz gerne, die ich im ersten Moment gar nicht so recht verstehe, in die ich mich hineinbegeben muss, um etwas für mich Gültiges mitnehmen zu können. Ein Gedicht muss ein Geheimnis haben, bewegt es sich zu sehr an der Oberfläche, ist man enttäuscht. Nun gibt es ganz unterschiedliche Arten von Gedichten. Ich kann z. B. ein Naturgedicht entweder als ein äußeres oder auch als ein inneres Erlebnis schreiben, ich kann aber auch beides zusammenbringen, aber alle drei Sichten sind legitim. Welche Sicht den stärkeren Eindruck hinterlässt, hat auch viel mit der (lyrischen) Erfahrung des Lesers zu tun, mit seinen Erwartungen, ja sogar mit seiner Tagesform. Dasselbe Gedicht, an einem anderen Tag gelesen, kann eine ganz andere Wirkung haben. Insofern schreibt der Leser mit am Gedicht, damit muss der Autor unbedingt rechnen. Deshalb freue ich mich auch, dass du versucht hast, deine ganz eigenen Gedanken beim Lesen zu bündeln. Irgendein Urteil, ob sie nun "falsch" oder "richtig" sind, wäre völlig fehl am Platz, es sind die Gedanken des Lesers, also deine Gedanken. Jede Einschätzung eines Textes kann aus diesem Grunde immer nur subjektiv ausfallen. Obwohl es natürlich bestimmte (handwerkliche) Kriterien gibt, die man übrigens jedem literarischen Text abfordert. Deshalb kann man im Grunde auch nur über sie diskutieren, nicht aber über Inhalte. Wobei es für mich nur eine einzige Einschränkung gibt: Ich lehne jeden Text ab, der mein oder anderer Menschsein beleidigt, einschränken oder entwürdigen will, und sei er noch so blendend geschrieben.
Ich bedanke mich für deinen Kommentar recht herzlich.
Liebe Grüße, Renee
#8
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Unterm Rock der Mütter
in Philosophisches und Grübeleien 26.10.2008 17:06von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
hallo Renee
das Verb "fledern" gibt es wirklich. hatte ich nicht gewusst. in meinem Brockhaus steht, es wird im Sinne von "werfen" gebraucht. Fledermaus und Flederwisch kannte ich zwar, aber ersteres Wortteil leitet sich vom Flattern her und zweiteres von Feder. demnach glaube ich du hast da oben in der vorletzten Zeile, "zerfledert" im Sinne von "zerworfen", "verworren" oder "zerflattert" gebraucht. im Grunde würden für mich all diese Alternativen besser passen, sowie auch mein vorgeschlagenes "zerfleddert". das möchte ich gerne begründen:
es kam mir gar nicht in den Sinn dass etwas anderes als "zerfleddern" gemeint sein konnte, weil dein "geschwiegenes Wort" ansonsten nun mal hart geschossen retour kam: schau dir doch mal die restlichen betonten Silben an:
- Gib
- Wort
- das
- hab
- pflückt
- rück
das ist alles hart. und ein weiches "fledern" passt da für mich nach wie vor nicht dazu, so wie
Leder, Leber oder Lehm für mich nie zu
Eisen, Granit oder Knochen passen würde.
und deshalb war ich (fälschlicher weise) allein von einem Rechtschreibfehler ausgegangen.
zur Mutter: wenn du das Absolute suchst, dann wird es immer die Mutter im Singular sein. also für jeden Leser nur "die eine" Mutter. wenn du von Müttern sprichst spüre ich mich ja schon viel weniger gemeint und angesprochen, als bei der einen Einzigen.
puh, ein Buchhalter! das ist auch hart. vielleicht hast du recht. wenn ein Kind mir einen ausgeschnittenen Papierschnipsel überreicht und mich fragt, was das sei, dann drehe ich ihn mir in der Hand so lange zurecht bis ich ein Tier erkennen kann, oder ein Möbel, eine Pflanze oder sonst einen Gegenstand. das gleiche geschieht beim Bleigiessen. vielleicht "lese" ich so auch viele Gedichte.
ich kann dir nur versichern, Renee, ich werde mich nicht verstellen: alle meine Lesarten sind authentisch und funktionieren (für mich zumindest), ansonsten käme nur ein "ich weiß es nicht" zurück.
und wenn ich etwas weiß, dann weiß ich, dass für mich das H-Wort weiterhin ein Unwort bleiben wird.
und bedenke Du bitte für deine Argumentation, dass ich ja vielleicht genau der Flüchtling sein könnte, den Du mit erhobenem Zeigefinger meinst.
Du sagst: "In diesem Gedicht geht es ums Freisein des Menschen."
ich sage: Dichter sollten im Zweifelsfall immer "ich" sagen und weniger "wir". und es den Lesern überlassen ob sie sich in derer Dichtung wiederfinden können. ob ein Wir-Gefühl zustande kommt, oder nicht, Dichter sollten den Lesern die Freiheit lassen, ein Wir-Gefühl von selbst zu entwickeln.
Bachmann dichtete mal "ich bin immer ich", und später (viel später): "Lösch die Lupinen!". und jedenfalls bin i c h bei Bachmanns hermetischem Machwerk, wie etwa "Die gestundete Zeit" nie auf die Idee gekommen den Lupinen irgend eine Bedeutung zu geben. vielmehr haben die Lupinen seit ich dieses Werk der Bachmann gelesen habe, eine neue Bedeutung für mich erlangt.
schaffst du das, Renee? schaffst du es, den von Dir gewählten Wörtern die Bedeutungen zu implementieren, welche Du intendierst? mach mir bitte keine Vorschriften, welches Wort ich mit welcher Bedeutung zu belegen habe - schreibe, korrigiere, optimiere, feile, aber schreibe mir, Leser, bitte nichts vor.
Gruß
Alcedo
@Mattes:
Celans erste Veröffentlichung war eine Übersetzung der Todesfuge in der Bukarester Zeitschrift "Contemporanul" im Mai 1947. das Gedicht beginnt mit dem Wort Milch:
"Laptele negru din zori ..." (analog: Milch, schwarze, der Frühe).
vom rumänischen Text ausgehend, tendierte ich deshalb bei meiner persönlichen Auslegung immer zur banaleren Schwarzmarktmilch und weniger zu biblischen Bezügen.
übrigens, eine zusätzliche Merkwürdigkeit war die Überschrift: "Tangoul Mortii", also deutsch: Todestango.
das Verb "fledern" gibt es wirklich. hatte ich nicht gewusst. in meinem Brockhaus steht, es wird im Sinne von "werfen" gebraucht. Fledermaus und Flederwisch kannte ich zwar, aber ersteres Wortteil leitet sich vom Flattern her und zweiteres von Feder. demnach glaube ich du hast da oben in der vorletzten Zeile, "zerfledert" im Sinne von "zerworfen", "verworren" oder "zerflattert" gebraucht. im Grunde würden für mich all diese Alternativen besser passen, sowie auch mein vorgeschlagenes "zerfleddert". das möchte ich gerne begründen:
es kam mir gar nicht in den Sinn dass etwas anderes als "zerfleddern" gemeint sein konnte, weil dein "geschwiegenes Wort" ansonsten nun mal hart geschossen retour kam: schau dir doch mal die restlichen betonten Silben an:
- Gib
- Wort
- das
- hab
- pflückt
- rück
das ist alles hart. und ein weiches "fledern" passt da für mich nach wie vor nicht dazu, so wie
Leder, Leber oder Lehm für mich nie zu
Eisen, Granit oder Knochen passen würde.
und deshalb war ich (fälschlicher weise) allein von einem Rechtschreibfehler ausgegangen.
zur Mutter: wenn du das Absolute suchst, dann wird es immer die Mutter im Singular sein. also für jeden Leser nur "die eine" Mutter. wenn du von Müttern sprichst spüre ich mich ja schon viel weniger gemeint und angesprochen, als bei der einen Einzigen.
puh, ein Buchhalter! das ist auch hart. vielleicht hast du recht. wenn ein Kind mir einen ausgeschnittenen Papierschnipsel überreicht und mich fragt, was das sei, dann drehe ich ihn mir in der Hand so lange zurecht bis ich ein Tier erkennen kann, oder ein Möbel, eine Pflanze oder sonst einen Gegenstand. das gleiche geschieht beim Bleigiessen. vielleicht "lese" ich so auch viele Gedichte.
ich kann dir nur versichern, Renee, ich werde mich nicht verstellen: alle meine Lesarten sind authentisch und funktionieren (für mich zumindest), ansonsten käme nur ein "ich weiß es nicht" zurück.
und wenn ich etwas weiß, dann weiß ich, dass für mich das H-Wort weiterhin ein Unwort bleiben wird.
und bedenke Du bitte für deine Argumentation, dass ich ja vielleicht genau der Flüchtling sein könnte, den Du mit erhobenem Zeigefinger meinst.
Du sagst: "In diesem Gedicht geht es ums Freisein des Menschen."
ich sage: Dichter sollten im Zweifelsfall immer "ich" sagen und weniger "wir". und es den Lesern überlassen ob sie sich in derer Dichtung wiederfinden können. ob ein Wir-Gefühl zustande kommt, oder nicht, Dichter sollten den Lesern die Freiheit lassen, ein Wir-Gefühl von selbst zu entwickeln.
Bachmann dichtete mal "ich bin immer ich", und später (viel später): "Lösch die Lupinen!". und jedenfalls bin i c h bei Bachmanns hermetischem Machwerk, wie etwa "Die gestundete Zeit" nie auf die Idee gekommen den Lupinen irgend eine Bedeutung zu geben. vielmehr haben die Lupinen seit ich dieses Werk der Bachmann gelesen habe, eine neue Bedeutung für mich erlangt.
schaffst du das, Renee? schaffst du es, den von Dir gewählten Wörtern die Bedeutungen zu implementieren, welche Du intendierst? mach mir bitte keine Vorschriften, welches Wort ich mit welcher Bedeutung zu belegen habe - schreibe, korrigiere, optimiere, feile, aber schreibe mir, Leser, bitte nichts vor.
Gruß
Alcedo
@Mattes:
Celans erste Veröffentlichung war eine Übersetzung der Todesfuge in der Bukarester Zeitschrift "Contemporanul" im Mai 1947. das Gedicht beginnt mit dem Wort Milch:
"Laptele negru din zori ..." (analog: Milch, schwarze, der Frühe).
vom rumänischen Text ausgehend, tendierte ich deshalb bei meiner persönlichen Auslegung immer zur banaleren Schwarzmarktmilch und weniger zu biblischen Bezügen.
übrigens, eine zusätzliche Merkwürdigkeit war die Überschrift: "Tangoul Mortii", also deutsch: Todestango.
Ach, Alcedo, denk doch, was du willst. Wie käme ich dazu, dir was vorschreiben zu wollen. Kannst du den Satz (als Extraserviceleistung für eine Blöde) mal auf Deutsch schreiben: "Schaffst du es, den von dir gewählten Wörtern die Bedeutungen zu implementieren, welche du intendierst?"
Immer hübsch umständlich, hört sich so gebildet an, dein Wortungeheuer. Ich liebe sowas.
Herzlich, Renee
Immer hübsch umständlich, hört sich so gebildet an, dein Wortungeheuer. Ich liebe sowas.
Herzlich, Renee
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