Die Ballade vom Dummbidel
Algebra und Rechenschieber,
mancher liebt das Mathefieber.
Formeln büffeln – welch ein Spaß!
Nerds und Streber geben Gas.
Karsten Kötter aus dem Orte
war nicht ganz von dieser Sorte.
Lehrer Rawe blickte schnell:
Dieser Junge ist nicht hell.
Und es kam, was kommen musste!
Kindheit endet schnell im Fruste.
Für den Pauker leichtes Spiel:
Karsten quälen, wie’s gefiel.
Tafelgänge noch und nöcher.
„In der Birne doch nur Löcher!
Zirkelführung? – Lächerlich.
Aufgepasst, ich warne dich!“
Dieses ging Tag ein, Tag aus.
Für den Jungen war‘s ein Graus.
Höhnisch tönte bald die Kunde:
„Karsten dreht ne Ehrenrunde!“
So verließ er leis‘ die Penne,
floh verschämt aus Kattenvenne.
Zwei Dekaden, dann die Wende:
Rawes Herrschaft nahm ein Ende.
Seine Frau, die Gisela,
fand ihn ernsthaft sonderbar
und zu ihrem Herzverdruss
kam vom Gatten reichlich Stuss.
„Schatz, du musst jetzt tapfer sein,
hier dein Überweisungsschein.“
Schweren Mutes klopfte dann
Rawe bei der Neuro an.
Ärzte zeigten sich bemüht,
Sorgen drückten sein Gemüt.
Einsam zog er ins Quartier,
träumte bleiern und recht wirr:
Fühlte plötzlich Fäuste greifen
und ihn grob zur Tafel schleifen.
Lehrer, Schüler, alles stierte,
wie der Rektor ihn sezierte.
„Hier die Gleichung, Herr Kollege.
Zeig mir mal die Lösungswege!“
Und er zog ihn durch die Mangel.
„Wie? - Ich hör hier nur Gestammel?
Biste wieder bsoffen, Fritz?
Dein Beweis ja wohl ein Witz!
Nachtigall, ick hör dir trapsen!“
Rawes Kopf, er schien zu platzen.
Jetzt die Menge Beifall brüllte,
Schon der Saal sich weiter füllte,
als der Vorhang sich erhob
und man einen Grabstein schob:
Friedrich Rawe - Ruh in Frieden
vom Kollegium gemieden
Mathelehrer- Rest in Peace
war zu Schülern leider fies.
„Bewerft mein Lebenswerk mit Kot?
Denkt ihr denn, ich bin schon tot?
Vade retro, Teufelsbrut!“
krächzte Rawe krank vor Wut.
Dunkler Hass kam da geschlichen,
Daumen über Kehlen strichen,
als sie ihre Zähne bleckten,
Käuzchenrufe Rawe weckten.
Dann, mit viel Gebölk, Gewimmer,
fand er sich im Krankenzimmer.
Zügig kam ein junger Mann,
nahm sich seiner freundlich an.
„Pfleger, bitte schnell ne Pille!“,
Rawe spähte durch die Brille:
Oh – den Burschen kannte er!
„Moment mal, bist du nicht der - ?“
„Dummbidel!“ – Kötter lachte,
derweil er Rawes Betten machte.
„Fandest du mich etwa mies?“
„Nein, Sie waren sehr präzis,
doch tu ich mich mit Kalkulieren
immer noch verspekulieren.“
Langsam zählte Kötter Tropfen,
Morgenlicht fing an zu klopfen.
„Später ist noch Zeit zum Plaudern.“
Und der Alte, ohne Zaudern,
müd vom Träumen, nahm den Trank,
drückte Kötters Hand zum Dank.
Draußen roch es sanft nach Flieder.
Amseln sangen ihre Lieder.
Rawe sank in kühle Ruh,
sah sich selbst beim Schlafen zu.