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menschlich
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 06.10.2018 19:22von gugol • | 248 Beiträge | 130 Punkte
Er sass allein in der Sonne und blickte über den Fluss. Ob ich mich setzen dürfe, fragte ich zögernd. Man weiss bei alten Männern nie so recht, wie gern sie Gesellschaft mögen. “Sicher”, erwiderte der Alte, und ich liess mich neben ihm nieder, weit genug, um ihn nicht zu bedrängen und doch so nah, dass ein Gespräch möglich wäre.
Ob ich ihn gesehen hätte, den Eisvogel, wollte er wissen. Ich hatte, oft schon, im Grunde jedes mal, wenn ich an den Fluss kam. Er sei allein, seltsamerweise immer allein, meinte der Mann weiter. Das sei ungewöhnlich, denn Eisvögel seien nicht gern allein. “Aber was heisst schon gern”, korrigierte er sich selber, “gern und ungern, das sind menschliche Kategorien und Tiere sollte man nicht vermenschlichen.” 'Sollte man nicht', dachte ich bei mir selber, sprach es aber nicht aus, denn eben fiel mir ein, wie ich vor wenigen Minuten über die “streitlustigen” Erpel gelacht hatte, die sich um die Entendamen gekabbelt hatten wie picklige Halbwüchsige auf dem Hof des Regionalgymnasiums um die schönsten Mädchen. Streitlustige Jungs, streitlustige Enten – menschliche Kategorien also. “Können Menschen anders als in menschlichen Kategorien denken?” fragte ich. Nein, wenn ich mich recht erinnere, äusserte ich auch diesen Gedanken nicht laut, jedenfalls erhielt ich keine Antwort. So sassen wir eine Weile schweigend da.
“Sind Sie einsam?” entschlüpfte es mir. Mein Sitznachbar nickte. In seinem Alter sei das ja nicht ungewöhnlich, er sei nicht einsamer als andere alte Menschen. Einsam halt, nicht mehr und nicht weniger. Ob es ihm etwas ausmache, fragte ich weiter. Das Alleinsein habe viele Vorteile. Er könne zum Beispiel ohne Rute hier sitzen, einfach nur sitzen, ohne einen Grund dafür erfinden zu müssen: “Schauen sie die Fischer da drüben”, sein braungefleckter Finger deutete zum anderen Ufer, “keiner hat in der letzten Stunde seine Rute berührt. Sie wollen nur einfach allein dort sitzen. Aber wie sollen sie diesen Wunsch ihren Ehefrauen erklären?” Ich lächelte, denn ich war ja selber eine Ehefrau, und ich sass eben einfach nur da, hätte für solch ein Männerbedürfnis also durchaus Verständnis gehabt. War ich etwa einsam, einsam trotz Ehemann, der für Dinge wie Fischen keine Zeit hatte? Auch der Eisvogel sass nie still und hatte immer “etwas zu tun”. Vielleicht gab es ja doch ein Weibchen, seines, und es sass irgendwo, weil es gern allein sein "wollte"? Wieder Denken in menschlichen Kategorien...
“Es war nett, Sie getroffen zu haben”, sagte der Mann in die Stille meiner Gedanken hinein. Im selben Moment hörten wir einen scharfen, hohen Pfiff und zwei Eisvögel schossen direkt vor uns pfeilschnell knapp über die Wasseroberfläche.
RE: menschlich
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 22.10.2018 14:19von TheMonkeyPaw (gelöscht)
Eine schöne Idee. Du strapazierst den Spannungsbogen aber zu sehr. Die Angst des Tormans vor dem Elfmeter. Als würdest du eine Nutte ohne Liebe vöglen.
Der Text weiß nicht genau was er ist. Gedicht? Prosa? Erzählung? Ein Spannungsbogen wie ein Gedicht. Eine lyrische Art wie Prosa. Ein Hybrid.
RE: menschlich
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 22.10.2018 15:02von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte
Jetzt erinnere ich mich wieder, liebe Gugol,
daß ich diesen Beitrag kommentieren wollte. Als Prosaschreiber kommt mir die freie Rede entgegen.
Vorab eine Information zum Verhalten dieser Spezies: Sie sind Einzelgänger. WikiLink: Eisvogel
Das heißt aber nicht, daß ein paarweises Auftreten unmöglich wäre. Also nix gegen den Schluß.
Dann möchte ich Absätze empfehlen: Im 2. Block vor "'Sollte man nicht'," und vor Beginn der Rede,
also mit "“Können Menschen anders". Und im 3. Block vor " Ich lächelte," mit dem Wechsel zur Seite
der Betrachtung der Protagonistin. Im Übrigen liest es sich gut.
Inhaltlich könnte eine Unterscheidung zwischen alleine und einsam, gerade für alte Menschen bedeutsam,
noch ergänzt werden. Bevor Demenz nach uns greift, sollten wir im Laufe von Jahrzehnten innere Strukturen
aufbauen, die Realpräsenz wichtiger Zeitgenossen für unseren Bezugsrahmen nicht durchgehend erfordert.
D. h. auf Deutsch, dass sich nicht jeder Mensch, der alleine rumläuft, notwendigerweise einsam fühlen muß.
Wenn du noch eine Message willst: Aufrichtiges Interesse kann Einsamkeit jederzeit durchbrechen.
Genau wie du es beschrieben hast. Gerne gelesen. HG - mcberry
RE: menschlich
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.10.2018 10:38von gugol • | 248 Beiträge | 130 Punkte
@ mcberry: Tatsächlich fragte ich mich, ob ich "allein" einfach so mit "einsam" umschreiben darf. Deine Anmerkungen dazu sind interessant.
Was den Eisvogel anbelangt: Er ist kein Schwarmvogel, also so gesehen ein Einzelgänger. In der Brutzeit betreut ein Männchen bis zu fünf Weibchen und deren Brut. Ich habe dieses Jahr viele Stunden mit der Beobachtung und dem Fotografieren der Eisvögel zugebracht. Oftmals sah ich sie zu zweit, auch nach der Brutsaison (auf dem Bild gibt einer dem anderen einen Fisch). Und einmal erlebte ich genau das Beschriebene: Kaum 2m vor mir pfitzten zwei wie die Raketen an mir vorbei. Ob sie sich mochten oder der eine den anderen verfolgte, kann ich natürlich nicht sagen.
Formal neige ich zu wenig Absätzen in Flliesstexten, nachdem sich die Unart verbreitet hat, nach jedem längeren Satz einen Zeilenumbruch zu machen. Aber kann man geteilter Meinung sein.
@TMP: Aus meiner Sicht hat der Text nichts Lyrisches, fällt also klar unter Prosa/Erzählung. Was ist an einem lyrischen Spannungsbogen anders als an einem in Prosa?
@ alba (präventiv): Krallen weg von meinen Eisvögeln
LG gugol
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