#1

Strandspaziergang

in Philosophisches und Grübeleien 10.04.2011 15:03
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Wir wanderten tief in Gedanken
hinaus ans Meer. Am weiten Strand,
wo Boote leicht im Westwind schwanken,
beim Treibholz sich ein Bernstein fand,

der barg rings eingeschlossen Leben.
Die Burg, gebaut aus feuchtem Sand,
längst Wind und Wellen übergeben,
zerfallen ohne Widerstand.

alte Fassung:
Wir wanderten tief in Gedanken
hinaus ans Meer und dort am Strand,
wo Boote leicht im Westwind schwanken,
man unter Treibholz Bernstein fand,

der ringsum eingeschlossen Leben
birgt. Burgen bauten wir aus Sand,
die wir den Wellen übergeben,
und kennen keinen Widerstand.

zuletzt bearbeitet 12.07.2011 08:54 | nach oben

#2

RE: Stranspaziergang

in Philosophisches und Grübeleien 11.04.2011 07:23
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Wir wanderten tief in Gedanken...
also auch eingeschlossen, Gedankenkorsett, das uns aus unserem Herkommen seit unserer Geburt gefangen hält.
Denn so sehr sich der Geist auch zu mühen scheint, es besteht eben doch ein Zweifel, ob er denn als ein freier konzipiert wurde. Dies, obwohl er sich unablässig mühend, ausbreitend, wachsend, vermöchte er nicht die Panzerung der immer währenden Ungewißheit zu sprengen.

"...hinaus ans Meer und an den Strand"...

...und so sind wir nahe dem lebensspendende Medium schierer Unerschöpflichkeit, der Wiege des Lebens, den Strand betreten wir, wie einen Hafen kühnen Landung unseres begrenzten Aufenthaltes im endlichen Leben der Unfreiheit
der Gedanken, wie den Blinden sollten sie uns führen. Doch bleibt sicheres Wissen stets im Dunklen.

" Wo Boote leicht im Westwind schwanken,"...

... Und werden Zeuge von neuem, sich stets erneuerndem Leben, das sich versucht dem Strand anzunähern, unsicher noch, ob es geboren wird.

"fiel uns ein Bernstein in die Hand,"...


... ein Übergabeprotokoll, ein Vermächtnis des Lebens als Zeuge für die begrenzten Möglichkeiten bekommen wir
als Wegweiser: Auch Du wirst nicht frei sein, dein Leben wird Einschluß sein, eintropfen wirst du in die Zeit, nichts als Erinnerung, ja Mahnung für die Nachfolgenden wird von dir bleiben.

In der zweiten Strophe setzt sich die Einsicht fort, dass wir, wenn unsere zeit kommen wird, hinweggespült werden. Alles Eitle, das wir für die Ewigkeit planten, es wird hinweggespült werden. Glatt wird der Strand wieder sein, wie nach Kinderspiel, mögen unsere Sandburgen oder Pyramiden noch so sehr in unseren Kinderhimmel oder
in die behauptete Unsterblichkeit geragt haben. Nichts wird uns bleiben, denn nie waren wir anders als schwach und eitel in unseren Behauptungsversuchen...

"... und kennen keinen Widerstand."

Ein Gedicht wie ein Museumsbesuch, schau kleine Fliege, dich hält goldener Panzer, Fundstück aus dem Sortiment
allen Lebens, Vorübergänger.

Beeindruckend.

Gruß,

otto.

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#3

RE: Stranspaziergang

in Philosophisches und Grübeleien 11.04.2011 09:05
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Danke dir, Otto,

den Tippfehler hast du mir freundlicherweise nachgesehen und konservierst die erste Fassung von S1.

Der in die Hand fallende Stein wäre in einem Prosatetxt akzeptabel, fällt aber unter dichterischen Gesichtspunkten durch. Woher soll er wohl fallen? Vom Himmel sicher nicht...
Deshalb wurde die Zeile überarbeitet: "man unter Treibholz" genügt dem Anspruch lyrischen Sprachgebrauchs hoffentlich besser.

Heute morgen ist mir die Version mit dem auch Treibholz näher. So fühlt man sich manchmal... ja, an
eine Fliege hatte ich gedacht. Das Insekt beim Namen zu nennen, hätte den Gedanken ans Wegfliegen
nahe gebracht, was uns leider nicht gegeben. Danke der wunderschönen Interpretation. LG - mcberry

zuletzt bearbeitet 11.04.2011 17:09 | nach oben

#4

RE: Strandspaziergang

in Philosophisches und Grübeleien 21.04.2011 01:45
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo mcberry,
Otto hat ja dankenswerterweise bereits ausführlich interpretiert, sodass ich mich mehr der Bildsprache widmen kann.

"hinaus ans Meer" ist für mich eine unglückliche Verbindung stehender Begriffe, denn eigentlich heißt es "hinaus aufs Meer", weshalb "ans Meer" genügen würde, von den fehlenden Silben natürlich abgesehen.

"man unter ..." das verallgemeinernde Wörtchen "man" lese ich in lyrischen Texten eher ungern, weil es so profan klingt, es sei denn dies wird inhaltlich gewünscht, was hier nicht der Fall ist. Warum nicht ein "ich", denn danach wird ja auch ein bestimmter Bernstein beschrieben.

"barg?" Er tut es noch immer, deshalb wäre birgt hier treffender.

"Burgen bauten wir aus Sand" tut mir leid, "Sand" ist so naheliegend, dass er entbehrlich ist.

"und kennen keinen Widerstand" Das mag sein, aber ich fände "leisten keinen Widerstand" als besser treffende Metapher für eine Hingabe.

Ich hoffe, du kannst mit meinen Hinweisen was Konstruktives anfangen.

LG
Perry

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#5

RE: Strandspaziergang

in Philosophisches und Grübeleien 21.04.2011 11:07
von Rubberduck | 558 Beiträge | 558 Punkte

Lieber Mac,

ich finde deine Zeilen sehr poetisch, sie muten mir wie ein Liebeslied an.

Bei deiner letzten Zeile bin ich mir nicht sicher wen du meinst, der keinen Widerstand kennt - die Wellen oder wir?

Wären es die Wellen, dann schwingt etwas endliches in den Zeilen, etwas dem man sich beugen muss, obwohl man nicht will
Kennen wir keinen Widerstand, dann wäre der Sinn eher der, das wir uns dem Unvermeindlichem bedingungslos ergeben.

Ich mag dein Gedicht, ich mag das Meer.

Lg,
Rubber

zuletzt bearbeitet 21.04.2011 11:07 | nach oben

#6

RE: Strandspaziergang

in Philosophisches und Grübeleien 21.04.2011 16:30
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo Perry, die Gesichtspunkte kann ich durchaus nachvollziehen.

Hinaus ist der eine Impuls, ans Meer der andere; es könnte auch "raus aus dem Haus" oder "ab in die Stadt" heißen. Insofern fand ich die dem Jambus geschuldete (xX xX) Gemengelage nicht überflüssig.

Das "Man unter" ist bewußt gewählt und zum Treibholz in Beziehung gebracht. "Land unter" oder "Mann über Bord" sind geläufige Wendungen. Ein Moment fehlender Steuerungsfähigkeit ist angedeutet.
Noch ein anderes Gegenargument zum "Ich": ein sinnierendes LI zeigt kaum genug Bewußtseinsfähigkeit die eigene Tragödie zum Gegenstand der Betrachtungen zu erheben; die melancholischen Ausführungen über der Fliege im Bernstein gelten der schicksalhaften Zerbrechlichkeit irdischen Seins.
Insofern kommt "kennen" aus - oder wie geht Widerstand gegen Zeit und Tod? Wir würden denselben gerne leisten, glaube ich, wenn es irgendwie ginge.
"Birgt" übernehme ich.
Mit dem Sand hast du natürlich Recht, Plastikdosen werden es kaum gewesen sein, aber ich brauche den Reim.

Hallo Rubberduck,

danke der Rückmeldung, meine Hoffnungen, eine Spur Atmosphäre vermittelt zu haben, feiern Urstände.
Darauf, daß auch die Wellen keinen Widerstand kennen, bin ich nicht gekommen, gefällt mir aber wegen
der schicksalhaften Verknüpfung von Opfer und Täter. - Euch allen herzlichen Dank- mcberry

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#7

RE: Strandspaziergang

in Philosophisches und Grübeleien 02.05.2011 23:39
von MarleneM (gelöscht)
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schönes Werk, lieber Mac, das mich an den ersten besuch meines Mannes und mir auf Usedom erinnert, wo wir sehr verliebt waren. Lächel
Atmospärisch geht bei dem Werk für menen Geschmack etwas verloren durch unglückliche Formfehler. Schau mal:

Wir wanderten tief in Gedanken
( hier hast du eine andere Metrik als in den anderen Zeilen)
hinaus ans Meer und dort am Strand, ( diese Verknüpfng zweier Orte oder Bezüge eignet sich mehr für humorige Gedichte. Heinz Erhadt hatte das gut drauf.) Hier wirkt es eher ungeschickt.

wo Boote leicht im Westwind schwanken,
man unter Treibholz Bernstein fand,
Warum man? Wäre schöner, wenn das Liebespaar den Bernstein fand.)

der ringsum eingeschlossen Leben
( der zeilensprung wirkt hier trennend und stört den Schwung des Gedichtes, das ja an sich shr lyrisch ist)

birgt. Burgen bauten wir aus Sand,

die wir den Wellen übergeben,
und kennen keinen Widerstand.

Hier wechselst du zugunsten des Reimss die Zeit.

Hoffe, ich konnte dir ein paar Anstöß geben.

LG von Marlene

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#8

RE: Strandspaziergang

in Philosophisches und Grübeleien 03.05.2011 09:59
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Damit kann ich etwas anfangen, MarleneM,

das ist wohl so, manchmal fällt die Entscheidung zwischen flüssiger Sprache und korrekter Metrik nicht leicht.
Dieses "man unter Treibholz" habe ich schon mehrfach kommentiert. Die darin enthaltene Auffassung setzt sich in der Übergabe unserer Burgen an die Wellen fort. Und das machen wir die ganze Zeit. Danke für dein Interesse. - mcberry

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