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Ungelöste Fragen
in Philosophisches und Grübeleien 06.04.2011 22:40von der.hannes • | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte
Ungelöste Fragen
Zum Grab ein tiefes Loch, von Spaten ausgestemmt,
bewahrt vor Wolfsgebiss, doch nicht vor dem der Maden.
Schon durch den kleinsten Riss, von dort auf beide Waden
zieht es die Viecher hoch, vor Hunger ganz enthemmt.
Sie laben sich am Fleisch, Gestank wirkt nicht zum Schaden
der kleinen weißen Brut. Gebein wird fortgeschwemmt
in stiller Fressenswut, im Grab, da wird geschlemmt.
Sie machen kein Gekreisch, wenn sie im Blute baden.
Seit alter Zeit bekannt, schreckt das die Menschen doch.
Sie glauben an den Tod, und schauen ganz gebannt
auf Sterbende in Not, weil Furcht in Herzen kroch.
Sie glauben nicht an Gott und betten sich galant
auf's eigene Schafott. Im Sarg wirkt dieses Loch
als Heim, als Heilsgarant. Ich lass es gern vakant.
RE: Ungelöste Fragen
in Philosophisches und Grübeleien 07.04.2011 10:22von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte
Hallo Hannes,
noch aus dem heillosen Schrecken zerfallenden Fleisches eine Supergaudi zu machen, das muß man können.
Das Thema baut sich sauber auf. Thematisch fixiert und unermüdlich leisten Maden ihren unverzichtbaren Beitrag zum Lebenszyklus, indem sie eine heitere Spur der Verwüstung ziehen. Die letzte Zeile ist der Knüller. Herzlich gelacht - mcberry
RE: Ungelöste Fragen
in Philosophisches und Grübeleien 07.04.2011 12:14von Rubberduck • | 558 Beiträge | 558 Punkte
mein.hannes,
nein, lachen konnte ich über dein Gedicht nicht.
Mir liegt es eher schwer im Magen, wenn ich daran denke was Menschen alles bereit sind zu tun, um sich die Furcht vor dem Tod zu erleichtern. Wenn, wie in deinem Gedicht beschrieben, sie neugierig anderen beim Sterben zusehen, um ihre Erkenntnisse zu erweitern, macht mich das eher betroffen.
Den Rest lass ich mal offen.
LG,
Rubber
RE: Ungelöste Fragen
in Philosophisches und Grübeleien 07.04.2011 19:45von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte
Zitat
Zum Grab ein tiefes Loch, von Spaten ausgestemmt,
bewahrt vor Wolfsgebiss, doch nicht vor dem der Maden.
Schon durch den kleinsten Riss, von dort auf beide Waden
zieht es die Viecher hoch, vor Hunger ganz enthemmt.
Sie laben sich am Fleisch, Gestank wirkt nicht zum Schaden
der kleinen weißen Brut. Gebein wird fortgeschwemmt
in stiller Fressenswut, im Grab, da wird geschlemmt.
Sie machen kein Gekreisch, wenn sie im Blute baden.
Seit alter Zeit bekannt, schreckt das die Menschen doch.
Sie glauben an den Tod, und schauen ganz gebannt
auf Sterbende in Not, weil Furcht in Herzen kroch.
Sie glauben nicht an Gott und betten sich galant
auf's eigene Schafott. Im Sarg wirkt dieses Loch
als Heim, als Heilsgarant. Ich lass es gern vakant.
Hallo Rubberduck, es war nicht meine Absicht, deine - oder anderer Leser - Gefühle zu verletzen.
Wir sollten unsere Interpretation natürlich begründen können, deshalb gehe ich mal in die Defensive: Wenn gebanntes Schauen auf Gläubigkeit und einer Furcht im Herzen beruht, wo findest du da Neugier zwecks Erkenntnisgewinn in den Zeilen?
Mit unserem Schrecken spielt das Gedicht und macht ihn erträglich durch seine Heiterkeit. Maden, als "Viecher" bezeichnet, schänden unsere letzte Ruhestätte durch ihren Lustgewinn: "in stiller Fressenswut, im Grab, da wird geschlemmt."
Dramatischen Ernst finde ich in diesen Zeilen nicht, die so selbstverständlich zwischen Gesichtspunkten von Menschen und Kriechtieren wechseln. Die notwendige Einsicht in den Beitrag eines Aufräumkommandos - betrifft nicht nur Maden, auch Bakterien und Geier - wird mit dichterischer Leichtigkeit vermittelt. Vllt ist es gerade ein beabsichtigtes Spiel mit dem Leser, mehr als eine Lesart zu gestatten. Schillernde Texte gefallen mir oft, dieser auf jeden Fall. - mcberry
RE: Ungelöste Fragen
in Philosophisches und Grübeleien 08.04.2011 19:09von Rubberduck • | 558 Beiträge | 558 Punkte
RE: Ungelöste Fragen
in Philosophisches und Grübeleien 09.04.2011 17:21von der.hannes • | 1.768 Beiträge | 1750 Punkte
Hallo mcberry, hallo Entchen,
letztlich ist es Galgen- oder schwarzer Humor, aber nicht nur. Es stecken natürlich auch echte Ängste dahinter, die dann schon a la "Singen im Walde" überspielt werden, z.B. "und betten sich galant
auf's eigene Schafott." Es ist aber auch Beobachtung, wie in "unserer Gesellschaft" mit dem Tod umgegangen wird, und dass man meist traditionelle Wege geht. Es gibt natürlich auch Alternativen zur Erdbestattung, z.B. Feuer- oder See-Bestattungen. Ich habe natürlich mit den Ängsten etwas gespielt und eine drastisch überhöhte Beschreibung der Maden etc. verwendet. Im Grunde stecken da aber unter- oder halbbewusste Befürchtungen dahinter.
Ich werde gleich noch ein Gedicht einstellen, dass ich direkt davor geschrieben habe, was inhaltlich und formal in komplettem Gegensatz zu dem dem hier steht, einem formal durchstrukturierten Sonett, das zumindest von der Reimstruktur in der ersten Hälfte der sechshebigen Zeilen ein eigenes Sonett sein könnte, ohne allerdings wirklich den Anspruch auf Spaltvers-Struktur zu erheben.
Vielleicht ist das andere Gedicht erhellend auch für die Stimmung, in der das vorliegende zustande kam.
Es grüßt
(euer.)hannes
PS: fahnenreiche reiche - ein risikoschwalltext habe ich mit dem anderen Gedicht gemeint.
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