#1

Kam so, ging so:

in Mythologisches und Religiöses 09.02.2011 14:47
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Im meer, da bin ich geboren
aus nebel, stieg ich an land,
und nächtens sangen mir horen
aus wolkenwassern, charmant.

Thallo und auxo, die karpo:
blühen, früchte und werden,
klangen mich freuend, so klar so:
zeitenwechsel auf erden.

Am strand vermaß ich die schritte,
endliches muschelbedeckt.
und vor mir hallende tritte:
zeus hat die töchter geweckt.

Doch nach mir greinend gewimmer
zog mich in bann, engen raum,
nicht göttlich horengeschimmer,
schimärentrug mir im traum.

Ich stieg zurück in das blaue,
verlor die stimme, warum?
Das leben, kalte und laue,
verließ mich, ward fisch, nur stumm.

zuletzt bearbeitet 09.02.2011 15:01 | nach oben

#2

RE: Kam so, ging so:

in Mythologisches und Religiöses 09.02.2011 17:08
von Mila (gelöscht)
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Hallo otto,
wieder ein schönes mythisches Stimmungsbild! Ich dachte aber bisher, dass Auxo die Göttin des Wachsens war. "Werden" ist ja doch etwas tiefgreifender, was man vielleicht eher dem Gottvater und nicht seinen Töchtern zuschreiben müsste. Aber ich kann mich irren...
Einzig könnte man in Str2 die Göttinnen in Z1 mit deren "Übersetzung" in Z2 in Übereinstimmung bringen. Ich meine damit die Reihenfolge. Aber dann geht die Reimsuche wieder los...
Liebe Grüße von Mila

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#3

RE: Kam so, ging so:

in Mythologisches und Religiöses 10.02.2011 12:04
von Rubberduck | 558 Beiträge | 558 Punkte

Zitat
Im meer, da bin ich geboren
aus nebel, stieg ich an land,



Ich nehme mal an, das es nichts mit der Enstehungsgeschichte zu tun haben soll, sondern dass hier das Verlassen von sicherem Gelände in Ungekanntes gemeint ist.

Da ich in der griechischen Mythologie nicht sehr bewandert bin, möchte ich mich beim kommentieren auf nur einige Zeilen beschränken.

Zitat
Am strand vermaß ich die schritte,
endliches muschelbedeckt.

LI lotet aus, tastet ab. Muschelbedeckt? Eine Methapher für ewtas, das verborgen bleibt? Eine wundervolle Strophe!

Vor ihm hallt es, hinter ihm wimmert es - das muss dem Ohr befremdlich, beängstigend vorkommen.
Entäuscht, dass das vermeintlich Göttliche, Erwartungen unerfüllt ließ, zieht sich LI wieder zurück ins Meer, wo er herkam. Entwickelte sich zurück vom Menschen zum Fisch, ohne Stimme.
Ich hoffe ich kam mit meiner Interpretation ein wenig dem nahe, was dieses Gedicht auszudrücken versucht. Ein Versuch von mir, nachzuspüren....

Ein umwerfendes Gedicht!

LG
Rubber

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#4

RE: Kam so, ging so:

in Mythologisches und Religiöses 10.02.2011 12:26
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Liebe Bärbel!

Die Horen, Töchter des Zeus, sie stehen für die Jahreszeiten: mit dem Blühen( Frühling),den Früchten ( Sommer), und dem Werden und Wachsen. Ich habe versucht im Gedicht diesen Zyklus in den Prozeß der Evolution einzubinden: Der Mensch in der Entwicklung, das Leben kommt aus dem Meer. Manchmal dachte ich schon, dass es wie eine Vertreibung aus dem Paradies war, doch die Evolution bedeutet der ständigen Notwendigkeit der Anpassung
aller Lebensformen an sich ständig verändernde Rahmenbedingungen, um zu überleben.

Der Strandgänger, er findet vor sich am Strand auf seinen ... Gehversuchen (mühevolle Menschwerdung )nur die Kalkübereste von Lebensformen, Muschelkalk. Er erkennt die eigene Schwierigkeit sich zu behaupten, alles ist endlich, dies lehrt ihn der Weg, den er beschreitet. Doch hinter ihm, hört er, dass selbst die Göttinnen der Jahreszeiten ihre Not haben mit ihrer Bestimmung. Da begreift der Strandläufer, wie schwer es wird, sein Leben aus Selbstbestimmung zu leben. Und er beginnt zu zweifeln, weil er sich alles leichter vorgestellt hat. Er flüchtet in den Schein( Schimäre), den Traum, den Be-Trug.Schließlich wendet er sich enttäuscht zurück ( sein Leben wendet sich ... zurück ins Meer, er verstummt , ein Leben in der griechischen Unterwelt, zusammen mit den sterblichen Vorgängern seiner Art, die den Styx im Boot des Charon überquerten für letzte Fahrt.

Danke für Deinen lieben Kommentar,

Gruß otto.

PS.: Ich wollte Dich ja nicht mit dem Text umwerfen, nur ein bißchen als Wegbegleiterin mitnehmen.

zuletzt bearbeitet 10.02.2011 12:32 | nach oben

#5

RE: Kam so, ging so:

in Mythologisches und Religiöses 10.02.2011 12:30
von Rubberduck | 558 Beiträge | 558 Punkte

Hallo Otto,

danke für deine Erklärungen, du darfst mich ruhig umwerfen, ich kann ja schwimmen und tauchen, sogar retten darf ich... (Bronce, Silber, Gold Abzeichen) ;-))

LG,
Bärbel

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#6

RE: Kam so, ging so:

in Mythologisches und Religiöses 10.02.2011 23:29
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Otto,
was muss das für ein lyrisches Ego sein, das sich mit Göttern vergleicht und seinen Weg theatralisch bis in den Tod geht. So könnte man deinen Text kritisch betrachten, aber da das nicht mein Stil ist, suche ich nach Textstellen, mit denen ich mich identifizieren kann:

"zeitenwechsel auf erden" -> ja die Zeiten der Götter sind vorbei, zumindest die der griechischen, dafür haben wir jetzt andere.

"Am strand vermaß ich die schritte,
endliches muschelbedeckt.
und vor mir hallende tritte:" -> lese ich als Versuch Unendliches zu vermessen, was natürlich zum Scheitern verurteilt ist, weil Muscheln/Vergänglichkeit und die "hallenden tritte" des Schicksals dies verhindern.
Konstruktiv, halte ich die "hallenden Tritte" in Verbingung mit Strand nicht für gelungen.

Soweit meine Sicht auf dein sowohl von Inhalt und Form her "klassisches" Gedicht.

LG
Perry

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#7

RE: Kam so, ging so:

in Mythologisches und Religiöses 11.02.2011 08:23
von otto | 637 Beiträge | 645 Punkte

Lieber Perry!

Natürlich ist es nicht m e i n lyrisches Ich, das sich mit Göttern vergleicht. Es waren die Griechen, die sich ihr Götter schufen, und sie mit menschlichen Eigenschaften ausstatteten: mit solchen, die ihnen als tugendhaft galten, aber auch solchen, die ihre Götter, wie menschlich, fehlen ließen. Sie eifersüchtelten mit ihren selbsterschaffenen Projektionen, weil sie starke Vorbilder suchten, mit denen sie sich ihr eigenes Leben erklären wollten. Doch diese vermenschlichten Götter statteten sie mit übermenschlicher Macht aus, und damit verschoben sie ihre persönliche Verantwortung für ihr Leben auf die Götter: diese waren ja nach ihren Fähigkeiten sehr wohl fähig tugenhafter als die Menschen zu leben, die sie mit dieser Macht ausgestattet hatten. Ein Schöpfungsakt also, in den hinein die Menschen ihre Ängste und Sorgen, ihre Wünsche und Hoffnungen projezierten. Das schien ihnen ein probates Mittel zu sein die eigenen Fehlleistungen zu relativieren. Wenn also selbst den Göttern Schuld nachweisbar war, dann mußten sie ( die Menschen) milde von den Göttern beurteilt werden, konnte man sich von ihnen Gnade wünschen, ja fordern. Trickreich waren diese antiken Menschen, opferten sie doch ihren selbst erschaffenen Göttern,
um sie für sich gut zu stimmen, ja mit Gaben zu korumpieren. Es bestand also eine Eifersucht erzeugende Melange zwischen den Menschen und ihren Göttern. Zwar gaben sich die Menschen ihren Göttern gegenüber devotisch, doch hinter dieser Maske scheinbarer Unterordnung verbarg sich auch der Machtanspruch über andere/ anderes zu gebieten: Krankheit, Liebes, Kriegsglück, Naturkatastrophen, Tagesgeschäfte, alles wollte man im Griff behalten. Und lange suchten diese Menschen diesen Weg, um sich von ihrer Unwissenheit, ihren Zweifeln, Ängsten abzusetzen. Sie suchten sich also ein Erklärungsmuster, um mit den Widrigkeiten des Lebens zurecht zu kommen. Doch die
Philosophen ihrer Zeit entwarfen neue, aufklärerische Bilder das eigene Wissen zu erweitern. Damit wurden solche Vordenker natürlich der Priesterkaste gefährlich, die mit marmornen Standbildern von Göttern die Macht verwalteten.
Sokrates wurde zu gefährlich, oder nehmen wir Pythagoras von Samos, sie waren die Ketzer der Antike, die es galt
in Schach zu halten. Dieses Spiel zwischen Macht und Ohnmacht hat sich ganz natürlich bis in unsere Zeit fortgesetzt: aktuelles Beispiel ist hier die ägyptische Revolution. Wir erleben erneut eine Phase der Aufklärung, wo insbesondere die Jugend revoltiert und den alten verbrauchten Göttern..."den Marsch bläst".

Soweit eine nachgereichte Interpretation zu menschlicher Befangenheit, die, wie Du selbst anmerkst, ständig aktualisiert wird.

Mein Text ist nicht nur der Versuch in klassischer Form zu schreiben, sondern auch klassische Themen aus dem vergangenen Zeitgeist zu transportieren. In einem Satz noch einmal: nicht einer steigt aus dem Meer und läuft suchend am Strand, vielmehr wird er "herausgestiegen und gelaufen". Das eben ängstigt den Menschen der versucht
mit Selbstbewußtsein eigene Entscheidungen zu treffen, ohne sich Götter zu schaffen.

Danke für Deinen Kommentar,

liebe Grüße,

otto.

zuletzt bearbeitet 11.02.2011 08:27 | nach oben

#8

RE: Kam so, ging so:

in Mythologisches und Religiöses 12.02.2011 14:04
von perry • Mitglied | 1.417 Beiträge | 1417 Punkte

Hallo Otto,
ja es sind noch viele "Aufklärungen" in unserer Welt nötig und noch viele Götter zu stürzen.
Was mich gestört hat, ist die "Ich-Erzählung", denn wer soll dieses LI sein, der Gottesanbeter, der Aufrührer? Den "Menschen" gibt es in der Neuzeit nicht mehr, viele haben keinen herkömmlichen Gott-, bzw. Götterglauben mehr, sie erheben anderes zu ihren Götzen.
LG
Perry

zuletzt bearbeitet 12.02.2011 14:05 | nach oben


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