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Fernweh
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 14.07.2010 23:00von Rainek Radar • | 360 Beiträge | 360 Punkte
Ich puste dir ins Ohr. Früher hast du das gemocht.
Heute sagst du nur noch: „Es ist zu heiß für solchen Blödsinn.“
Vom Kaminsims, vom sommerlich erkalteten, sehen wir uns selbst lachend entgegen. Unsere Haut ist braun und unsere Zähne funkeln weiß im Sonnenlicht. Am Strand. Der Typ, der uns fotografiert hat, versorgte uns an diesem Abend mit dem besten Gras von ganz Tunis Zumindest hat er das behauptet.
Wir haben uns zugedröhnt und sind dann nackt baden gegangen.
Das war der Abend an dem dich die Qualle erwischt hat. Du hast geweint und gelacht gleichzeitig, vor lauter Schmerz und weil du so stoned warst.
Ich hätte dir ja auf den Fuß gepinkelt, aber das wolltest du nicht.
„Das ist pervers.“
Ich weiß noch. „Pervers“ war eines deiner Lieblingsworte.
In den letzten Jahren wurde es ersetzt durch: „Lass das“ oder „Schluß jetzt“:
Wir waren im Krankenhaus, an diesem Abend, weil dein Fuß zu doppelter Größe angeschwollen ist. Das Personal im Krankenhaus hat uns behandelt, wie die letzten Vollidioten. Wahrscheinlich haben wir uns auch entsprechend aufgeführt, so dicht wie wir waren. Niemand konnte ein Wort Englisch dort. Nachdem wir drei Stunden im Wartesaal gesessen hatten und dein Fuß von selber wieder abgeschwollen war, sind wir zurück ins Hotel gefahren ohne einen Arzt gesehen zu haben.
Zurück auf unserem Zimmer habe ich noch eine Tüte gerollt. Zum Schlafengehen.
Ich hätte dann gerne mit dir geschlafen, also habe ich dir ins Ohr gepustet. Das war schon immer unser geheimes Zeichen für Sex.
Erst wolltest du nicht.
„Komm schon.“, sagte ich und zog an dem Joint. „Hab dich nicht so. Wir sind im Urlaub lass uns Spaß haben.“
Wir hatten Spaß, an diesem Abend und auch den restlichen Urlaub lang. Viel Spaß.
Ich schalte die Lampe auf meinem Nachttisch aus und puste erneut in dein Ohr.
„Heute nicht, Baby!“, murmelst du und bist dabei schon halb eingeschlafen.
„Morgen, vielleicht, morgen. Lass uns morgen Spaß haben.“
„Alles klar!“
„Morgen dann!“
Ich rolle mich aus dem Bett und gehe in den Keller, wo ich mein Gras vor dir versteckt halte, seitdem du geschworen hast nie wieder einen Joint anzugreifen.
„Gras macht blöd!“, waren deine Worte damals und: „Wir sind jetzt keine Kinder mehr!“
„Morgen! Scheiß auf Morgen!“ erzähle ich der kahlen, feuchten Wand vor mir und zünde meinen Joint an.
Ich blase den Rauch aus dem Kellerfenster, damit du nicht riechst, was ich hier treibe.
RE: Fernweh
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 14.07.2010 23:59von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte
Servus Rainek,
ich finds super sich zuzudröhnen und nackt baden zu gehen. Wusste nicht, dass mich das für die Mitgliedschaft im Club dümmster Touristen qualifiziert. Ist mir an der Stelle zu masochistisch, zu stark und auf mich nicht "authentisch" wirkend. Vor allem in der Ballung mit scheiß Personal und letzte Vollidioten. Also nicht dass ich was gegen Kraftausdrücke hätte - ich plädiere nur für ihre sparsame Verwendung. Die nutzen ihre Wirkung schnell ab. Wenigär wär authentischär.
Sehr schön die Stelle, wo sich der Ich-Erzähler erinnert, dass er auf ihren Fuß gepinkelt hätte. Da baut das Tetrahydrocannabinol ein zwei Hemmschwellen ab - schon erinnert sich der kultivierte Westler in Zeiten der Gefahr an Omas Hausmittelchen.
Zitat
Also laß ich es.
den Satz brauchst du an der Stelle nicht.
Zitat
Vom Kaminsims, vom sommerlich erkalteten, sehen wir uns selbst lachend entgegen.
Gefiel mir. Sehr. Habs zweimal gelesen.
Insgesamt frage ich mich, wo der Text hin will und komm zu keinem rechten Schluss. Die Verknüpfung von Wehmut oder Melancholie, die der Ich-Erzähler transportiert, mit diesem seltsamen Ereignis, seinen Folgen und eben den für einen so kurzen Text häufig eingeworfenen bösen Wörtern, wirkt nicht so ganz rund. Gefällt mir trotzdem! Vielleicht stände ihm kräftige Überspitzung gut, oder vorsichtige Kantenglättung. Und vielleicht einen anderen letzten Satz suchen. Der überzeugt zumindest mich nicht.
Viele Grüße
Kjub
RE: Fernweh
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 15.07.2010 10:52von Rainek Radar • | 360 Beiträge | 360 Punkte
RE: Fernweh
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 15.07.2010 13:39von Ame&Umi (gelöscht)
Moin Rainek,
Ich hab jetzt nur die überarbeitet Version gelesen, gefiel mir sehr gut das Ganze. Nur mit dem Ende bin ich nicht ganz zu frieden, da fehlt mir irgendwie noch was. Vielleicht ein Streit, vielleicht sogar eine Trennung, ein zugespitztes Ende. Oder ein schöner Wendepunkt, der in deinen offenen Schluss überleitet.
Aber auf jedenfall gern gelesen :-)
Grüße, Umi
RE: Fernweh
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 18.07.2010 18:40von Rainek Radar • | 360 Beiträge | 360 Punkte
Hallo Ame und Umi
danke fürs lesen und kommentieren;
ich ahbe übrigens darüber darüber anchgedacht ob und wie ich dies zu einem anderen ende bringen könnte und kam zu dem schluß daß es (für mich nicht funktioniert;
ich habe den text als situatinsskizze gesehen und nicht als geschichte, wenn ich mich jetzt aber dransetze und ein ende dazuschreibe, wird es zu einer geschichte und müsste somit, vom beginn weg, zu einem völlig anderem text werden; griffigere charaktere und komponierte interaktion; da schreib ich lieber gleich was eigenes ! (was nicht heißt, daß ich diese skizze nicht in die eine der andere geschichte einfliessen lasse)
mfg
rainek
danke kjub!
lg
rainek
RE: Fernweh
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 12.08.2010 12:09von Ralfchen (gelöscht)
ein retrospektiver tagebucheintrag. fein und dicht erzählt, wie RR das üblicherweise kann. ich hab nur ein problem mit dem ausschnitt. er ist mir zuwenig. hier werden charaktäre angerissen und nicht mehr. ich gehe davon aus, dass der text autobio ist. und ich gebe der prot in einem punkt recht: gras verblödet auf die dauer, wie alk. letzterer ist billiger und leichter erhältlich. ersteres in den händen des oragnisierten verbrechens, dass man in unsren system nicht in den griff kriegt, solange man den shit nicht komplett legalisiert.
jede droge ist ein transportmittel zu flucht. einer vorübergehend kurzen, das ist das wesentliche, was mir der text vermittelt.
RE: Fernweh
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 12.08.2010 19:33von Rainek Radar • | 360 Beiträge | 360 Punkte
hallo ralfchen;
ja, du hast recht, ein handlungsbogen ist nicht existent in diesem textsplitter
er war mehr als übung gedacht;
die figuren sind mitunter noch zu eindimensional und die absichten nicht ganz nachvollziehbar...
jetzt, wo du es sagst (ich habe bis jetzt noch gar nicht darüber nachgedacht): ja, da ist sicher ein stückchen autobiographisches drinnen. (obwohl ich noch nie nacktbaden in tunis war)
"Feige ist, wer sich fürchtet und davonläuft, wer sich aber fürchtet und nicht davonläuft, der ist nur noch nicht feige. " (aus: "Der Idiot")
mfg
rainek
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