#1

Wart ihr beim Arzt?

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 13.06.2010 11:04
von hans beislschmidt | 160 Beiträge | 245 Punkte

Kochen zuhause mit Freunden ist eine beliebte deutsche Freizeitbeschäftigung geworden. Dank Fernsehkoch Tim Mälzer ist das ja inzwischen auch sehr einfach: „Das hab ich schon mal vorbereitet.“

Einladungen zu Kochabenden bei Freunden können, abgesehen von der Kultivierung kulinarischer Fertigkeiten, eine unvorhergesehene Eigendynamik entwickeln. Ich denke jetzt nicht an die langweiligen Urlaubsdias, bei denen man die Gastgeberin mit Sauerstoff-Flasche an Korallenhängen im Roten Meer als amphibische Gesponsin von dicken Drückerfischen bewundern muss. Nein, es geht um unterschiedliches Kunstverständnis. Beim Raclette, am Tisch-Wok oder am Heißen Stein bemüht man sich artig um Small Talk, und was wäre besser geeignet, als die neuen Ölverbrechen der als Geheimtipp der regionalen Kunstszene gehandelten Malkurs-Abgänger zu bewundern.

Heinz und Marietta, eingeladen bei Familie Dorat-Sutter, bemühten sich wohlerzogen um anerkennende Worte für den jüngsten Seerosen-Zyklus. Nur ein Bild passte so gar nicht ins Gefüge. Heinz machte ein ziemlich ratloses Gesicht, als er davor stand.
„Das ist wohl informelle Malerei? Sieht so ein bisschen aus wie ein reduzierter Pollock“, begann er sich heranzutasten.
„Nein, das ist was ganz anderes", sagte Friedhelm etwas zögerlich.
„Aber informell ist es schon“, beharrte Heinz. „Na, du wirst das Geheimnis sicher gleich lüften.“
Friedhelm wand sich. „Nein, nicht so ganz – wir haben vergessen, es abzuhängen. Das ist einfach nur…“, Friedhelm zögerte etwas, „…die Fieberkurve meiner Frau.“
„Die WAS? Die Fieberkurve deiner Frau? Das ist ja sehr interessant.“ Heinz machte eine kurze Pause und bohrte dann weiter: „Ja, und kannst du das Kunstwerk vielleicht mal für den unwissenden Betrachter kommentieren?“
Friedhelm, der seine Befangenheit offenbar überwunden hatte, sagte: „Na ja, ihr wisst doch – wir probierten eine ganze Weile… Na, du weißt schon. Aber es ist, als ob sich die Natur sich dafür rächen wollte, dass wir solange damit gewartet haben: Zuerst wars das neue Haus, dann wurde Lisa persönliche Referentin. Wir waren beide nur noch am Arbeiten, haben den Kinderwunsch immer und immer wieder verschoben, und jetzt, wo wir endlich Zeit hätten und uns auch finanziell ein bisschen freigeschwommen haben – passierte nichts.“
„Und dann wart Ihr beim Arzt?“
„Na sicher, das ist es ja gerade. Das Bild hier ist noch aus der Zeit, in der wir Knaus-Ogino probiert haben.“
„Knaus–Oh-WAS?“ wollte Heinz wissen.
„Das ist das mit dem Fieberthermometer, da musst du jeden Tag das Fieber der Frau messen und eine Fieberkurve anlegen.“
„Und das ist dieser Pollock hier?“
„Genau. Und die roten Punkte sind die günstigen Tage der Frau.“
„Du meinst Eisprung und so? – Da hast du aber ganze Arbeit geleistet, sieht super aus. Aber schau mal hier – der 28. September: Da hattest du wohl keine Freude, hä?“
„Wieso?“
„Na, da war das Champions Leage-Halbfinale!“

Nach kurzer Pause und befreitem Lachen gings dann an den Heißen Stein, wo herrlich duftende Filetspitzen brutzelten. Das Thema war aber noch nicht ganz durch und Heinz fragte nach dem Digestif: „Na, und wie gings dann weiter?“
„Insemination. Gott sei Dank brauchten wir kein In-vitro.“
„Was ist das denn: Insemination?“
"Na ja, da müssen beide in die Praxis und der Mann muss dort das Ejakulat ganz frisch abgeben.“
„Das heißt, du musst vor den Augen der Sprechstundenhilfe...“
„Nein, da gibts einen extra Raum dafür.“
„Separee quasi?“
„Nicht so schwülstig. Das ist ganz nüchtern ausgestattet. Ein Waschbecken, ein kleiner Plastikbecher, ein paar Tittenheftchen – das ist alles.“
„Und wieviel musst du da abliefern?“ fragte Heinz mit süffisantem Grinsen.
„Na ja, ein Teelöffelchen voll sollte es schon sein.“
„Meine Güte, ein Teelöffelchen. Ich weiß gar nicht, ob ich das treffen würde.“
„Scherzkeks. Und das wird dann auf eine Spritze aufgezogen und dann in...“
„OK, OK – ich kanns mir vorstellen.“
„Ja, und das Teelöffelchen ist jetzt schon sechs Monate alt."
„Heißt aber Mariechen und Tobias, wenn ich richtig informiert bin.“
„Genau. Dann mal Prost – alte Flinte, zu große Streuung, wat?“
„Auf Mariechen und Tobias!“


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#2

RE: Wart ihr beim Arzt?

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 15.06.2010 23:10
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

Hallo nochmal, das Thema find ich ausgesprochen gut, Umsetzung mit Teelöffel- und Schrotflinten-Gag spritzig und die Einbettung in das Kunstverständnis des Bildungsbürgertums gibt ne amüsante Kulisse ab. Soweit alles in Ordnung. Nur eine kleine Mäkelei: Den Einstieg finde ich etwas hölzern, die klingt für mich nach dem Erklärbär am Nachmittag. Ich glaub das liegt am allwissenden Erzähler, der zumindest mir auch gern Mal zu nüchtern gerät. Vllt ließe sich an der Stelle durch einen schwungvollen Ich-Erzähler Abhilfe schaffen?
Grüße

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#3

RE: Wart ihr beim Arzt?

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.07.2010 12:00
von hans beislschmidt | 160 Beiträge | 245 Punkte

Hey Kjub,

auf den Einstieg könnte man verzichten, da hast du sicher recht. Danke für aufmerksames Lesen und konstruktive Kritik.

Gruß vom Hans


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