#1

Ein Zittern auf die Blätter steigt (beste Frühjahrslyrik 2010)

in Ausgezeichnete Lyrik 14.03.2010 10:46
von Katerchen | 170 Beiträge | 170 Punkte

.




Ein Zittern auf die Blätter steigt

Wie Speck, der schmilzt, in einer schweren Pfanne
zerfließt der Sonne letztes Licht.
Welch Wesensart, welch unerreichte Wonne
verrätselt immer schon den Wald.
Er knistert Nacht im Zwischen seiner Rinden,
die alt geworden sind und krumm,
als mit der Würmchen ungenauen Lichter
ein Zittern auf die Blätter steigt
und mit den Sternverwandten schweigt. Bis tags
das Schweigen zuckt und leise fällt,
sich sticht und angenehm gespießt,
auf einer Silberdistel ruht
wie Köpfe edler Namen.








.


->perhaps there is nothing in this universe but I self<-

zuletzt bearbeitet 30.06.2010 22:59 | nach oben

#2

RE: Ein Zittern auf die Blätter steigt

in Ausgezeichnete Lyrik 14.03.2010 14:30
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Donnerlitschen, Katerchen,

du hast soviel Sprachgefühl. Diesem Text nimmt man den Speck in der Pfanne zusammen
mit zitternden Blättern in einem verwunschenen Wald ab. Für mich funktioniert der Text.
Obwohl ich sicher bin, diese Assoziationen in einem anderen Zusammenhang keineswegs
zu schlucken

Nominierung zum Frühjahrsgedicht?

Zur Schlußzeile fiel mir ein, daß sich Namen zu Köpfen vllt verhalten wie die Materialisation der Idee.

zuletzt bearbeitet 27.11.2019 02:21 | nach oben

#3

RE: Ein Zittern auf die Blätter steigt

in Ausgezeichnete Lyrik 14.03.2010 15:06
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

Zitat von Katerchen


Ein Zittern auf die Blätter steigt

Wie Speck, der schmilzt, in einer schweren Pfanne
zerfließt der Sonne letztes Licht.
Welch Wesensart, welch unerreichte Wonne
verrätselt immer schon den Wald.
Er knistert Nacht im Zwischen seiner Rinden,
die alt geworden sind und krumm,
als mit der Würmchen ungenauen Lichter
ein Zittern auf die Blätter steigt
und mit den Sternverwandten schweigt. Bis tags
das Schweigen zuckt und leise fällt,
sich sticht und angenehm gespießt,
auf einer Silberdistel ruht
wie Köpfe edler Namen.



oh, Leuchtkäfer oder auch Glühwürmchen genannt, anmutig in Naturlyrik verpackt, wie schön!

hallo K.

und welch gelungener Vergleich in den ersten beiden Zeilen! das gefällt mir.
weniger aber die Genitivkonstruktion in der zweiten Zeile, beim Zentralgestirn. ich fragte mich unmittelbar nach dem lesen ob es nicht besser funktionieren würde mit:
zerfließt das letzte Sonnenlicht.
oder
zerfließt das letzte Licht der Sonne
oder wolltest du den Endreim unbedingt vermeiden? darum der Genitiv? muss das sein?

später bei Zeile sieben folgt ja noch ein weiterer Genitiv bei den Würmchen. hier störte er mich nicht mehr so stark bei der Rezeption, aber wenn ich mir die Zeilen wiederholt durchlese, stelle ich fest, dass man es auch so formulieren könnte:
als mit den Würmchen ungenaues Blinken wie
gut, das ist ein erheblicher Eingriff in deine angeschlagene Rhythmik, aber ich streich den Vorschlag nicht mehr. du wirst ihn kommentarlos überlesen wenn er dir nichts gibt, nicht wahr?

weiter: wunderbar wummernde w-Alliterationen führen zum verrätselten Endwort Wald (Zeilen 2+3),
Rätsel welches schön klanglich aufgefangen wird durch stabende i-Vokale in den jambischen Hebungen der 5. Zeile: knistern, Zwischen, Rinden. das ist handwerklich hervorragend gemixt und hat gewiss Ohrwurmpotential.
der explizite Bezug (auf den Wald) mit "Er" ist am Anfang dieser Zeile 5 aber wohl nicht nötig. erstens lesen es die meisten sicher "Es" (ja, ich tat es auch beim ersten Lesen), zweitens wiederholt sich das männliche Pronomen sonst klanglich in "seiner" Rinden. ausserdem weiß es an der Stelle sowieso jeder, dass es um ihn geht, den Wald.

die Zitternzeile ist stark. sehr stark. kein Wunder dass sie zur Überschrift taugt. es steckt auch mehr darinnen als bloss erzitterndes Laub, oder Licht: die flügellosen Weibchen steigen/klettern buchstäblich ins Laub um die anfliegenden Männchen möglichst sichtbar anzulocken, und wenn diese Fliegenden Männer nur über je eine einzige Leuchtplatte am Unterleib verfügen, so haben die Weibchen mehrere (beim kleinen Leuchtkäfer auch seitlich) die ihre Signalwirkung nicht verfehlen. und eben durch die Bewegungen der Käfer, oder der des Beobachters, oder durch die Lüfte im Laub, wird ein zitterndes Blinken nie aufhören zu steigen und zu sein und im Fokus des Beobachters bleiben. das gefällt mir sehr.

und dann, mit einem Mal, fällt der Blick auf die Sterne. es bleibt die gleiche Perspektive, ja, aber da wird mit einem lapidaren Vergleich ein Wurm, oder ein Wurmgewusel mit dem Sternenhimmel in Verwandtschaft gesetzt. warum nur muss ich da gleich an Pascal denken, und ihn gedanklich gleich zitieren weil es so schön passt: Räumlich umfasst mich das Universum und umschliesst mich wie einen Punkt. Aber durch mein Denken umfasse i c h es.
ja, so ist es, ich, Leser, habe das Gefühl es umfassen zu können, jetzt wenn ich so einen lapidaren Satz, oder Vergleich lese wie den aus deinem Gedicht, K. und dieses Gefühl verursacht Erhabenheit und Schweigen. all das liegt in deinen Zeilen. zuviel des Lobes? egal. ich schreib nicht mehr. lass mich von Silberdisteln stechen und rätsle wie die letzte Zeile wohl gemeint sein mag.
und bleibe letztlich bei Pascal, ertappe mich aber doch wie ich in Suchmaschinen vergleiche ob diese Halskrausen wie bei Shakespeareportraits auch auf Pascal zutreffen. Halskrausen wie Silberdisteldolden. für edle Namen, ja, und damit hab ich meine Bilder wieder und bin zufrieden.
danke für die Präsentation.

Gruß
Alcedo


e-Gut
zuletzt bearbeitet 14.03.2010 15:10 | nach oben

#4

RE: Ein Zittern auf die Blätter steigt

in Ausgezeichnete Lyrik 14.03.2010 19:34
von Katerchen | 170 Beiträge | 170 Punkte

.

Hallo mcberry,

freut mich sehr, daß dir auch dieser Text zusagt.

LG
Katerchen




Hallo Alcedo,

Tja, was soll ich nur schreiben. Da komme ich von meinem
Abendspaziergang nach Hause und finde ein hartgekochtes
Ei mit scharfem Senf und die Komplexität einer Aubergine
vor. Ich entscheide mich für den simplen dünnen Draht,
den Motor und Exzentrizität, damit der Text zumindest in
Z2 besser funktioniert.

Zitat
zerfließt das letzte Licht der Sonne


Ich übernehme dankbar und verbleibe

mit Gruß
K.

(Nachtrag 15.3.; der Genitiv stört nicht wirklich, schön)


Zitat
und welch gelungener Vergleich in den ersten beiden Zeilen! das gefällt mir.
weniger aber die Genitivkonstruktion in der zweiten Zeile, beim Zentralgestirn. ich fragte mich unmittelbar nach dem lesen ob es nicht besser funktionieren würde mit:
zerfließt das letzte Sonnenlicht.
oder
zerfließt das letzte Licht der Sonne
oder wolltest du den Endreim unbedingt vermeiden? darum der Genitiv? muss das sein?

später bei Zeile sieben folgt ja noch ein weiterer Genitiv bei den Würmchen. hier störte er mich nicht mehr so stark bei der Rezeption, aber wenn ich mir die Zeilen wiederholt durchlese, stelle ich fest, dass man es auch so formulieren könnte:
als mit den Würmchen ungenaues Blinken wie
gut, das ist ein erheblicher Eingriff in deine angeschlagene Rhythmik, aber ich streich den Vorschlag nicht mehr. du wirst ihn kommentarlos überlesen wenn er dir nichts gibt, nicht wahr?

weiter: wunderbar wummernde w-Alliterationen führen zum verrätselten Endwort Wald (Zeilen 2+3),
Rätsel welches schön klanglich aufgefangen wird durch stabende i-Vokale in den jambischen Hebungen der 5. Zeile: knistern, Zwischen, Rinden. das ist handwerklich hervorragend gemixt und hat gewiss Ohrwurmpotential.
der explizite Bezug (auf den Wald) mit "Er" ist am Anfang dieser Zeile 5 aber wohl nicht nötig. erstens lesen es die meisten sicher "Es" (ja, ich tat es auch beim ersten Lesen), zweitens wiederholt sich das männliche Pronomen sonst klanglich in "seiner" Rinden. ausserdem weiß es an der Stelle sowieso jeder, dass es um ihn geht, den Wald.

die Zitternzeile ist stark. sehr stark. kein Wunder dass sie zur Überschrift taugt. es steckt auch mehr darinnen als bloss erzitterndes Laub, oder Licht: die flügellosen Weibchen steigen/klettern buchstäblich ins Laub um die anfliegenden Männchen möglichst sichtbar anzulocken, und wenn diese Fliegenden Männer nur über je eine einzige Leuchtplatte am Unterleib verfügen, so haben die Weibchen mehrere (beim kleinen Leuchtkäfer auch seitlich) die ihre Signalwirkung nicht verfehlen. und eben durch die Bewegungen der Käfer, oder der des Beobachters, oder durch die Lüfte im Laub, wird ein zitterndes Blinken nie aufhören zu steigen und zu sein und im Fokus des Beobachters bleiben. das gefällt mir sehr.

und dann, mit einem Mal, fällt der Blick auf die Sterne. es bleibt die gleiche Perspektive, ja, aber da wird mit einem lapidaren Vergleich ein Wurm, oder ein Wurmgewusel mit dem Sternenhimmel in Verwandtschaft gesetzt. warum nur muss ich da gleich an Pascal denken, und ihn gedanklich gleich zitieren weil es so schön passt: Räumlich umfasst mich das Universum und umschliesst mich wie einen Punkt. Aber durch mein Denken umfasse i c h es.
ja, so ist es, ich, Leser, habe das Gefühl es umfassen zu können, jetzt wenn ich so einen lapidaren Satz, oder Vergleich lese wie den aus deinem Gedicht, K. und dieses Gefühl verursacht Erhabenheit und Schweigen. all das liegt in deinen Zeilen. zuviel des Lobes? egal. ich schreib nicht mehr. lass mich von Silberdisteln stechen und rätsle wie die letzte Zeile wohl gemeint sein mag.
und bleibe letztlich bei Pascal, ertappe mich aber doch wie ich in Suchmaschinen vergleiche ob diese Halskrausen wie bei Shakespeareportraits auch auf Pascal zutreffen. Halskrausen wie Silberdisteldolden. für edle Namen, ja, und damit hab ich meine Bilder wieder und bin zufrieden.
danke für die Präsentation.



.


->perhaps there is nothing in this universe but I self<-

zuletzt bearbeitet 15.03.2010 06:45 | nach oben


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