#1

Emigrant

in Wettbewerbe 24.01.2010 21:36
von Wettbewerbsbeitrag (gelöscht)
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.
Emigrant


Ich war verdammt im Rund zu leben,
auf einem Ball aus Styropor.
Trug dieses Schicksal gottergeben,
und träumte doch vom offnen Tor.

Die Jahre bleichten die Arena;
die gleiche Schau vor fremdem Blick.
Mein Fell verblasste zu Siena,
und Afrika lag weit zurück.

Doch eines Tags, die Trommeln bellten,
saß vorne links ein kleines Kind;
saß neben allen Angsterfüllten
und lächelte mir Steppenwind.

Mein Rücken blieb am Feuer kleben;
ich stürzte, Schreie gellten laut,
da fühlte ich die Erde beben
und Wüstensonne auf der Haut.

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#2

RE: Emigrant

in Wettbewerbe 25.01.2010 22:01
von Maya (gelöscht)
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Hallöchen,

dein Gedicht gefällt mir sowohl formal, klanglich als auch vom Inhalt her, selbst wenn ich nicht ganz ergründen konnte, um wen es sich hier handelt.

Der Titel "Emigrant" gibt schon einmal Hinweis auf einen Auswanderer.

Ich war verdammt im Rund zu leben,
auf einem Ball aus Styropor.
Trug dieses Schicksal gottergeben,
und träumte doch vom offnen Tor.


Der Einstieg ist großartig gelungen, sehr lyrisch, aber doch verständlich. Das lyrische Ich spricht in der Vergangenheitsform, hat das alte Leben also bereits hinter sich gelassen. Macht nichts, denn es schien eh trist gewesen zu sein: ein Tag glich dem anderen, Wiederholungen am laufenden Band. Daher auch der verständliche Wunsch, auszubrechen. Diesen Styroporball empfinde ich als besonders schlimm, weil ich diesen Kunststoff nicht anfassen kann bzw. es als äußerst unangenehm empfinde.

Die Jahre bleichten die Arena;
die gleiche Schau vor fremdem Blick.
Mein Fell verblasste zu Siena,
und Afrika lag weit zurück.


Aha, an dieser Stelle offenbart sich, dass es sich beim lyrischen Ich wohl um ein Zirkustier handelt, das gezwungen ist, jeden Tag vor fremden Menschen in der Arena aufzutreten. Nehme ich noch einmal den Ball dazu, könnte es sich um einen Bären handeln. Aber Afrika lässt wiederum eher an Löwen denken. Nur haben die ja schon von Natur aus ein helles Fell, das nicht mehr zu Siena verblassen könnte. Hm. Jedenfalls zeigt sich, dass das freiheitsliebende Tier wohl aus seiner natürlichen Heimat Afrika nach Europa verschleppt wurde und ein 'künstliches' Dasein führen musste.

Doch eines Tags, die Trommeln bellten,
saß vorne links ein kleines Kind;
saß neben allen Angsterfüllten
und lächelte mir Steppenwind.


Also die bellenden Trommeln sind mir gleich ins Auge gestochen und gefallen mir genauso wenig wie die Doppelung von "saß". Dagegen kann ich mit den unreinen Reimen in den Strophen 2 und 3 gut leben; man könnte sogar Absicht unterstellen - Ausbruchsversuche aus dem Rund (des gleichen Klangs/Lebens), sozusagen. Nur passt die Begründung leider nicht zur S1, da sie zwar vom Ausbruch träumt, aber reimtechnisch doch zu rund verläuft. :D

Aber nichtsdestotrotz finde ich den letzten Vers dieser Strophe einfach so großartig, dass er mich über die bellenden Trommeln ohne Weiteres hinwegtröstet. Tja, also die angsterfüllten Menschen und die Steppe sind nun ein weiteres Indiz dafür, dass es sich bei diesem Tier um einen Tiger oder Löwen handelt. Einzig die zu Siena verblassende Fellfarbe spricht noch dagegen, da diese Raubtiere ja eh schon heller sind als: Klick hier. Vermutlich stehe ich gerade auf der Leitung, ein hellsichtigerer Kommentator möge mir des Rätsels Lösung verraten.

Mein Rücken blieb am Feuer kleben;
ich stürzte, Schreie gellten laut,
da fühlte ich die Erde beben
und Wüstensonne auf der Haut.


Das Tier springt wohl durch eine Art Feuerring, doch gerät das Fell dabei in Brand. Und so traurig es ist, fühlt sich das Tier in diesen Sekunden schmerzlich an seine Heimat erinnert, denn dieses Feuer erinnert an die Wüstensonne. Warum die Erde bebt, weiß ich nicht. Ist es doch ein Elefant, der da stürzt? Passt der durch einen Feuerring? Wenn er die Ohren anlegt, vielleicht. Ich weiß es nicht und vermag es nicht aufzulösen. Vielleicht stürzt auch das Zelt ein oder die Zuschauer geraten in Panik und laufen davon. Keine Ahnung, da ist Vieles denkbar. Ich frage mich auch, ob das Tier nun starb und auf diesem Wege wieder seine Freiheit erlangte?

Naja, auch wenn ein paar Fragen offen bleiben, hat mir das Gedicht wirklich gut gefallen.

Grüße
Maya

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#3

RE: Emigrant

in Wettbewerbe 26.01.2010 09:52
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Und auch hier grüßt Rilke, vielleicht sogar noch deutlicher, weil ein Raubtier im Rund gefangen ist. Sehr schön, sehr souverän, sehr öde. Der Wettbewerb hat genau die Beiträge, die er verdient. Aus starken Schwächen wurden schwache Stärken. Platz 1 im Look-alike-Wettbewerb, im Circus Lyricus eine tolle Nummer mit Vierfach-Salto. Und Netz. Und doppeltem Boden. Schade.





Gedichte und Kommentare in allerbester Absicht

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#4

RE: Emigrant

in Wettbewerbe 26.01.2010 20:33
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte

hallo Wettbewerbsteilnehmer

von allen Zirkustieren eignen sich Löwer und Löwin wohl am ehesten für diese Manege. ich hatte aber auch kurz an einen Pavian denken müssen. der kann auch furchteinflössend die Zähne blecken. letzterer passt mir auch besser zur betexteten Vermenschlichung. braten lassen sich aber beide Spezies.

Gruß
Alcedo


e-Gut
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#5

RE: Emigrant

in Wettbewerbe 31.01.2010 15:43
von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte

hm, dieses gedicht gefällt mir schon, obwohl es mich nicht ganz überzeugt. zwei punkte stören mich: das lyrische ich, das im rund auf einem ball aus styropor gefangen ist (zirkusbälle sind doch bestimmt nicht aus styropor aber wie Maya geschrieben hat deutet der gesamtkontext auf nen zirkus und styropor hast du möglicherweise nur wegen des reimes geschrieben) und der titel auf einen emigranten hinweist. solche gehen zwar nicht immer freiwillig, aber doch aus eigenem antrieb und nicht wie raubtiere, die leider gefangen werden. trotzdem macht im ganzen gesehen für mich nur die interpretation von einem tierschicksal sinn. wenn ichs so lese, stören mich die beiden angesprochenen stellen allerdings erheblich, da sie aus der ansonsten schlüssigen inhaltlichkeit hervorstechen. und lächelte mir Steppenwind schlug bei mir allerdings auch gleich ein, schon beim ersten flüchtigen lesen letzte woche. diese zeile ist auch ein ausreißer, den empfinde ich allerdings positiv. na, und der von oliver bemängelte rilkesche gestus - wenn ers denn ist - stört mich nicht. ich lese und höre seine lyrik zwar, allerdings selten, bini da also nicht übersättigt.

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#6

RE: Emigrant

in Wettbewerbe 03.02.2010 14:49
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte

Mit Hinblick auf das wilde unbarmherzige Ereignis, darf nicht verwundern wenn die Erde bebt. Gut und geschickt geschrieben mit der Hand eines Könners. Die Trommeln, so sehe ich es, kündigen offenbar den Beginn des Rennens an. In so wenigen Zeilen viel zu vermitteln, das ergibt ein weiteres Plus. Wenn auch der einfache Schnapstrinker auf Anhieb nicht den Inhalt durchschauen kann, insgesamt äußerst gut formuliert, so wie es ein Lyriker eben kann.

Gruß
Joame

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