#1

Inuit

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 28.12.2009 23:57
von hans beislschmidt | 160 Beiträge | 245 Punkte

Inuit

Der alte Tousarfit hatte schon viele Winter gesehen. Liebevoll streichelte er das Fell von Nalalgak, seinem treuen Hund. Er war der einzige, der ihm noch geblieben war.

„Brav“, brummte er „nein, heute gehen wir nicht mehr hinaus“. Nalalgak streckte sich zu seinen Füßen aus, während der alte Tousarfit sanft seinen Rücken klopfte. Seine Augen waren kleine dunkle Schlitze, die tief verborgen in einem zerfurchten Gesicht lagen. Lange schaute er auf das weiße Fell vor seinem Eingang.

„Tapfer hast du dich gewehrt alter Nanuk, meinem Bruder sogar den Brustkorb aufgerissen“. Toursafit dachte einen Augenblick daran, wie das rote Blut der Menschen und das des Eisbären sich im Schnee vermischt hatten. Ihm, Toursafit gehörte nun das Fell des Nanuk. Die anderen Jäger hatten es so gewollt. Es war die letzte Ehre, die sie dem jungen Sekiliniak, seinem jüngsten Bruder erweisen konnten. Langsam stand der Alte auf und schlüpfte in seine Felljacke. Sein Blick fiel auf das scharfe Sawik-Messer. Nein, die Waffe würde er heute nicht brauchen. Sein Hund begann freudig mit dem Schwanz zu wedeln, als er sah, wie Toursafit nach seiner Harpune griff und sie prüfend in der Hand wog. Fast zwei Meter lang war sie. Kunstvoll aus dem Stoßzahn eines Narwals geschnitzt. Mit einer eigenen Inschrift, die der letzte Angakok von Nunavut mit Schamanensprüchen belegt hatte.

„Nein, du musst diesmal hier bleiben Nalalgak“ flüsterte der Alte seinem Gefährten zu. Toursafit schob sich durch den schmalen Eingang und äugte in die Nacht hinaus. Seine Augen begannen ob der Eiseskälte zu tränen und er zog sich seine Kapuze tiefer ins Gesicht. Langsam stapfte er den vom Mondlicht beschienenen Schneehügel hinauf. Nach etwa einer halben Stunde hatte er sein Ziel erreicht. Vom höchsten Punkt aus bot sich ihm der Blick in sein geliebtes Tal, welches wie gewohnt im Schneemantel lautlos und starr vor ihm lag. Seine Frauen Olou und Sika waren schon in den letzten zwei Jahren vor ihm gegangen und Toursafit glaubte, dies wäre der richtige Augenblick. Etwas umständlich setzte er sich in den Schnee und begann langsam seine Felljacke aufzuköpfen. Er wusste, dass die Eisvögel ihn sehr schnell mitnehmen würden, keine zwei Minuten würde es dauern. Er reckte seine faltigen Arme in den Nachthimmel.

„Sekilniak, Sekilniak“ rief der alte Inuit mit brüchiger Stimme. Danach sah er spitze Eiskristalle in seine Augen stürzen und hörte von fern, wie das Heulen der Wölfe näher kam.


Das Leben ist kurz aber es geht vorbei
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#2

RE: Inuit

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 01.01.2010 13:06
von mcberry • Administrator | 3.230 Beiträge | 3490 Punkte

Hallo Hans,
.................dergleichen lese ich natürlich gerne. Erstens gefällt mir der Text.
Zweitens halte ich etwas daran für zuviel des Guten.
Drittens suche ich nach einem Hintergrund, den ich nicht finde.

Gut getroffen scheinen mir die Stimmung und die sprachliche Gestaltung.Zwar bin
ich kein Kenner der Inuit Kultur, aber die Eisvögel, die den Protagonisten finden,
beeindrucken in ihrer schlichten Unmißverständlichkeit.

Die Fülle der Namen irritiert. Ich las den Anfang zweimal, bevor ich alle richtig
zuordnen konnte. Für den Fortgang der Geschichte war das nicht notwendig,
zumal mögliche Wortbedeutungen eine deutschsprachige Leserschaft nicht erreichen.

Dann suche ich den Grund, warum der Protagonist jetzt sein Ende herbeisehnt.
Er ist nicht verlassen, wurde mit einem Bärenfell geehrt. Der Tod des Bruders gerät
zum Anlaß. Bringt er sich spontan aus Kummer um?
Überwältigt ihn Überdruß angesichts seines harten Inuit Lebens?
Hat er denn keine sozialen Verpflichtungen? Was wird aus dem Hund?

Hier könnte der Text m.E. noch ausgestaltet werden.
Übersehe ich Hintergrundinformationen? LG mcberry

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#3

RE: Inuit

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 03.01.2010 01:31
von hans beislschmidt | 160 Beiträge | 245 Punkte

Hey Mcberry,

Es kam mir darauf an eine ruhige und gelassene Stimmung zu zeichnen. Der Text produziert einen Eindruck dessen, was da geschieht: - eine aktive Einleitung des Sterbeprozesses als Vollendung des Lebens und zwar voll Frieden und Würde. Der alte Toursafit (Inuit=der Lauschende) hat seinen Platz und den Zeitpunkt zum Sterben ausgesucht. Er ist alt und hat sein Leben gelebt. Die, die ihm nahe standen sind schon vorausgegangen. So war die Tradition bei den Inuit, bevor sie die Früchte der Zivilisation kosten durften.

Der Ruf nach seinem jüngeren Bruder Sekilniak (Inuit=die Sonne kommt) ist doppeldeutig und meint, dass er wieder eins wird mit seinen Ahnen und trotz der Kälte die Wärme im Tod fühlt. Der Hund Nalalgak (Inuit=Leithund) wird sicher nicht zugrunde gehen, denn er wird die anderen Inuit (sie ja leben in dörflichen Gemeinschaften) finden und bei ihnen weiterleben.

Vielleicht haben wir diese Art des Zusammenlebens vergessen, die letzte Eiszeit ist ja schon `ne Weile her. Mich hat dieses Thema vielleicht über das kollektive Unterbewusstsein angesprochen. Man könnte noch so viel sagen über die Schamanen (Inuit=Angakok) und den Jagdzauber aber es sollte ja eine Kurzgeschichte sein.

Für die Fülle der Namen sag` ich mea culpa - ich habe lange recherchiert. Übrigens, noch nicht mal Karl May hat die Namen der Pferde von Winnetou und Old Shatterhand ins Deutsche übersetzt und sicher weißt du genau wie ich wie die beiden hießen ... )

Danke für deine Gedanken und Anmerkungen.

Gruß vom Hans


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