#1

Saatgut

in Philosophisches und Grübeleien 10.05.2009 12:14
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte
Zeig mir den Baum,
der nicht in deinen Himmel wächst!
Kein Zweig erscheint zu abgerissen,
kein Strauch geduckt genug.

So grün ist dieser Daumen,
dessen Setzling Hoffnung heißt,
der nimmt den Spross als Blüte
und erntet wörtlich, was er sät.

Ich sehe dich tagein, tagaus
auf deinem Acker lesen,
doch deine Schober bleiben leer.

Trotz aller Fruchtbarkeit
wirst du verhungern,
und mir zuletzt die Felder überlassen.




Gedichte und Kommentare in allerbester Absicht

zuletzt bearbeitet 12.05.2009 20:36 | nach oben

#2

RE: Saatgut

in Philosophisches und Grübeleien 12.05.2009 16:20
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte

Ein ausgezeichnetes fließendes Gedicht, welches mir auf dem Herzen zergangen ist.
Die Ausgewogenheit in der Satzstellung geht einher mit der fast greibaren Bildwahl.

Lieben Gruß

Gem


Über mich erzählten sie endlose Schrecklichkeiten und Lügen, dass einem schier die Phantasie platzen wollte. Offenbar stärkte es sie innerlich, derart über mich herzuziehen, es brachte ihnen Gott weiß welche Art Mut, den sie brauchten, um immer erbarmungsloser zu werden, widerstandsfähiger und regelrecht bösartig, um durchzuhalten, um zu überstehen. Und auf diese Weise schlecht zu reden, zu verleumden, zu verachten, zu bedrohen, das tat ihnen ganz offenbar gut.

L.F Celine

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#3

RE: Saatgut

in Philosophisches und Grübeleien 12.05.2009 18:19
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Hallo Gemini,

ich will nicht verhehlen, dass dieses Gedicht mir selbst gefällt. Es ist schon ein paar Tage älter und ich sah es vorgestern verwaist in einem anderen Forum verschimmeln. Und da wollte ich es natürlich nach Hause holen. :)

Hab Dank für deinen überschwänglichen Kommentar, es hat mich gefreut!

Besten Gruß
O.





Gedichte und Kommentare in allerbester Absicht

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#4

RE: Saatgut

in Philosophisches und Grübeleien 12.05.2009 19:12
von Maya (gelöscht)
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Hi Oliver,

ich kenne das Gedicht bereits, bin aber gerade selbst unsicher, ob ich dazu mal einen Kommentar schrieb und hoffe, mir jetzt nicht selbst ein Bein zu stellen, indem ich eine gänzlich neue Interpretation zu deinen Zeilen abliefere.

Erst einmal muss ich Gemini zustimmen, auch mich überzeugen Wortwahl und Klang. Inhaltlich könnte ich mehrere Interpretationen anbieten, belasse es aber mal mit der, die mir am wahrscheinlichsten erscheint.

Offensichtlich wird hier ein Du beschrieben, das die Fähigkeit besitzt, selbst jene Dinge noch zum Wachsen zu bringen, für die kaum noch Hoffnung besteht, weil sie schon verloren oder eingegangen scheinen. Im übertragenen Sinne handelt der Text (für mich) von einem Menschen, der sich aufopferungsvoll um andere Lebewesen (seien es Menschen, Tiere oder Pflanzen) kümmert, sich und seine eigenen Bedürfnisse darüber aber gleichzeitig vergisst bzw. soweit zurückstellt, dass er selbst verkümmert. Im negativen Sinne könnte man vielleicht von einem „Helfersyndrom“ sprechen.

In Strophe 2 kritisiert das lyrI m.E. dieses Verhalten, spricht im weiteren Sinne von Verblendung oder Selbsttäuschung, wenn dem Du unterstellt wird, den „Spross als Blüte“ zu nehmen – und nicht, als das, was er ist. Der Ausgang dieser Strophe ist mir inhaltlich nicht ganz klar; das Du sät doch, müsste demnach ja auch ernten. Aber für die Felder scheint es wohl zu spät, da hilft wohl auch die größte Hoffnung nicht, um etwas zum Erblühen zu bringen, ja?

Erträglich ist die investierte Zeit und Arbeit nicht – man könnte auch an (zu späte) Erziehungsarbeit (Kinder) oder die ganz normale alltägliche Arbeit im Beruf denken – denn das Du kommt zu nichts und steht am Ende mit leeren Händen da (leere Schober). Vielleicht ist der Text auch eine Mahnung an zu viele emotionale Bauchentscheidungen (Hoffnungen, an die man sich klammert), d.h. seine Kraft und Zeit nicht in Dinge zu investieren, für die es eigentlich gar keine Hoffnung mehr gibt. Stattdessen sollte man lieber dazu übergehen, rationale Entscheidungen zu treffen, um nicht selbst auf der Strecke zu bleiben.

Die letzte Strophe ist eine Art Voraussage: Das Du wird, trotz aller Hingabe und Aufopferung (Herz), dem lyrI die Felder überlassen müssen (Kopf, Verstand).

Ja, also Form und Aufbau gefallen mir so gut, so dass ich das jetzt gar nicht weiter anreiße. Mich irritierte lediglich das Komma am Ende der ersten Strophe. Ist das nur ein Vertipper?

Mir gefällt das jedenfalls.

Grüße, Maya

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#5

RE: Saatgut

in Philosophisches und Grübeleien 12.05.2009 20:34
von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte

Hallo Maya,

ich denke nicht, dass man sich ein Bein stellte, schließlich wäre es eher angenehm, eine weitere Ebene in dem Gedicht zu entdecken. Allerdings bist du hier wieder so treffsicher, wie sonst auch. Ich dachte nun nicht unbedingt an die Gegegnüberstellung von Herz und Hirn, aber das lyrische Du beschreibst du schon recht treffend. Was soll ich noch sagen? Danke, und ja, das Komma ist natürlich ein Vertipper. Da kommt jetzt ein Punkt hin.

Beste Grüße
O.





Gedichte und Kommentare in allerbester Absicht

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#6

RE: Saatgut

in Philosophisches und Grübeleien 25.05.2009 16:37
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte

Das Gedicht sagt eigentlich aus, dass alles im Einklang ist. Du unterwirfst dich und bist trotzdem an der Spitze. Du ergibst dich und trotzdem erfährst du die Liebe. Es ist der Kreislauf der Erde und des wachsens der hier beschrieben wird. Keine Frucht gebiert ohne dem Keim. Alles ist in einem Universum.
Die Zärtlichkeit der Sprache unterstreicht diesen Zyklus.


Über mich erzählten sie endlose Schrecklichkeiten und Lügen, dass einem schier die Phantasie platzen wollte. Offenbar stärkte es sie innerlich, derart über mich herzuziehen, es brachte ihnen Gott weiß welche Art Mut, den sie brauchten, um immer erbarmungsloser zu werden, widerstandsfähiger und regelrecht bösartig, um durchzuhalten, um zu überstehen. Und auf diese Weise schlecht zu reden, zu verleumden, zu verachten, zu bedrohen, das tat ihnen ganz offenbar gut.

L.F Celine

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