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Nietzsche, Friedrich Wilhelm 1844 - 1900
in Rumpelkammer 02.05.2009 14:01von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte
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Dichters Berufung
Als ich jüngst, mich zu erquicken,
unter dunklen Bäumen sass,
hört’ ich ticken, leise ticken,
zierlich, wie nach Takt und Maass.
Böse wurd’ ich, zog Gesichter, –
endlich aber gab ich nach,
bis ich gar, gleich einem Dichter,
selber mit im Tiktak sprach.
Wie mir so im Verse-Machen
Silb’ um Silb’ ihr Hopsa sprang,
musst’ ich plötzlich lachen, lachen
eine Viertelstunde lang.
Du ein Dichter? Du ein Dichter?
Steht’s mit deinem Kopf so schlecht?
– "Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter"
achselzuckt der Vogel Specht.
Wessen harr’ ich hier im Busche?
Wem doch laur’ ich Räuber auf?
Ist’s ein Spruch? Ein Bild? Im Husche
sitzt mein Reim ihm hintendrauf.
Was nur schlüpft und hüpft, gleich sticht der
Dichter sich’s zum Vers zurecht.
– "Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter"
achselzuckt der Vogel Specht.
Reime, mein’ ich, sind wie Pfeile?
Wie das zappelt, zittert, springt,
wenn der Pfeil in edle Theile
des Lacerten-Leibchens dringt!
Ach, ihr sterbt dran, arme Wichter,
oder taumelt wie bezecht!
– "Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter"
achselzuckt der Vogel Specht.
Schiefe Sprüchlein voller Eile,
trunkne Wörtlein, wie sich’s drängt!
Bis ihr Alle, Zeil’ an Zeile,
an der Tiktak-Kette hängt.
Und es giebt grausam Gelichter,
das dies – freut? Sind Dichter – schlecht?
– "Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter"
achselzuckt der Vogel Specht.
Höhnst du, Vogel? Willst du scherzen?
Steht’s mit meinem Kopf schon schlimm,
schlimmer stünd’s mit meinem Herzen?
Fürchte, fürchte meinen Grimm! –
Doch der Dichter – Reime flicht er
selbst im Grimm noch schlecht und recht.
– "Ja, mein Herr, Sie sind ein Dichter"
achselzuckt der Vogel Specht.
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Narr in Verzweiflung
Ach! Was ich schrieb auf Tisch und Wand
mit Narrenherz und Narrenhand,
das sollte Tisch und Wand mir zieren?...
Doch ihr sagt: "Narrenhände schmieren, –
und Tisch und Wand soll man purgieren,
bis auch die letzte Spur verschwand!"
Erlaubt! Ich lege Hand mit an –,
ich lernte Schwamm und Besen führen,
als Kritiker, als Wassermann.
Doch, wenn die Arbeit abgethan,
säh’ gern ich euch, ihr Ueberweisen,
mit Weisheit Tisch und Wand besch……
___
Im Süden
So häng’ ich denn auf krummem Aste
und schaukle meine Müdigkeit.
Ein Vogel lud mich her zu Gaste,
ein Vogelnest ist’s, drin ich raste.
Wo bin ich doch? Ach, weit! Ach, weit!
Das weisse Meer liegt eingeschlafen,
und purpurn steht ein Segel drauf.
Fels, Feigenbäume, Thurm und Hafen,
Idylle rings, Geblök von Schafen, –
Unschuld des Südens, nimm mich auf!
Nur Schritt für Schritt – das ist kein Leben,
stets Bein vor Bein macht deutsch und schwer.
Ich hiess den Wind mich aufwärts heben,
ich lernte mit den Vögeln Schweben, –
nach Süden flog ich über’s Meer.
Vernunft! Verdriessliches Geschäfte!
Das bringt uns allzubald an’s Ziel!
Im Fliegen lernt’ ich, was mich äffte, –
schon fühl’ ich Muth und Blut und Säfte
zu neuem Leben, neuem Spiel…
Einsam zu denken nenn’ ich weise,
doch einsam singen – wäre dumm!
So hört ein Lied zu eurem Preise
und setzt euch still um mich im Kreise,
ihr schlimmen Vögelchen, herum!
So jung, so falsch, so umgetrieben
scheint ganz ihr mir gemacht zum Lieben
und jedem schönen Zeitvertreib?
Im Norden – ich gesteh’s mit Zaudern –
liebt’ ich ein Weibchen, alt zum Schaudern:
"Die Wahrheit" hiess dies alte Weib…
___
Diesen ungewissen Seelen
Diesen ungewissen Seelen
bin ich grimmig gram.
All ihr Ehren ist ein Quälen,
all ihr Lob ist Selbstverdruss und Scham.
Dass ich nicht an ihrem Stricke
ziehe durch die Zeit,
dafür grüsst mich ihrer Blicke
giftig-süsser hoffnungsloser Neid.
Möchten sie mir herzhaft fluchen
und die Nase drehn!
Dieser Augen hülflos Suchen
soll bei mir auf ewig irre gehn.
__
Vereinsamt
Die Krähen schrein
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein. -
Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat!
Nun stehst du starr,
schaust rückwärts, ach! Wie lange schon!
Was bist Du Narr
vor Winters in die Welt entflohn?
Die Welt - ein Tor
zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
was du verlorst, macht nirgends halt.
Nun stehst du bleich,
zur Winter-Wanderschaft verflucht,
dem Rauche gleich,
der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
dein Lied im Wüstenvogel-Ton! -
Versteck, du Narr,
dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Die Krähen schrein
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein. -
Weh dem, der keine Heimat hat.
___
Nach neuen Meeren
Dorthin – will ich; und ich traue
mir fortan und meinem Griff.
Offen liegt das Meer, in’s Blaue
treibt mein Genueser Schiff.
Alles glänzt mir neu und neuer,
Mittag schläft auf Raum und Zeit –:
Nur dein Auge – ungeheuer
blickt mich’s an, Unendlichkeit!
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Friedrich Wilhelm Nietzsche
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Du versuchst deine Leser zum Denken zu zwingen.<< - E. E. Cummings zu Ezra Pound
RE: Nietzsche, Friedrich Wilhelm 1844 - 1900
in Rumpelkammer 25.10.2012 23:27von Gedichtbandage • Mitglied | 531 Beiträge | 525 Punkte
Der Einsame
33.
Verhasst ist mir das Folgen und das Führen.
Gehorchen? Nein! Und aber nein — Regieren!
Wer sich nicht schrecklich ist, macht Niemand Schrecken:
Und nur wer Schrecken macht, kann Andre führen.
Verhasst ist mir's schon, selber mich zu führen!
Ich liebe es, gleich Wald- und Meerestieren,
mich für ein gutes Weilchen zu verlieren,
in holder Irrnis grüblerisch zu hocken,
von ferne her mich endlich heimzulocken,
mich selber zu mir selber — zu verführen.
Friedrich Nietzsche
-
Die fröhliche Wissenschaft
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