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Marianne Enzweiler Hill
in Literatur 03.04.2009 22:37von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Marianne Enzweiler Hill
Blinde Zeit
Taschenbuch, 206 Seiten, erschienen im November 2008
es ist bereits der zweite Roman von Marianne Enzweiler Hill, erschienen beim Emons-Verlag. ich schreibe bewusst nicht Kriminalroman, da ich mich weigerte ihn als Krimi zu lesen und, zu meiner Freude, wurde ich nicht enttäuscht.
zwei mal hatte ich angesetzt beim lesen. das erste Viertel des Buches kann ich nicht durchweg als Lesegenuss bezeichnen. den ersten Satz mochte ich noch nicht. ich mag es auch nicht besonders Einleitungen und die Präsentation von Hauptdarstellern zu verfolgen. ich mag keine Rückblenden und ich mag keine Menschen, die Katzen fort geben. alles Gründe weshalb ich das Buch, nach etwa dem ersten Viertel, nicht widerwillig aus der Hand legte.
umsomehr überraschte mich die Sogwirkung die sich, Tage später, nach der Wiederaufnahme der Lektüre entwickelte. im nachhinein glaube ich, lag es weniger an der Hauptfigur (Kommissar Karter), deren walten ich zwar interessiert verfolgte, aber mit der ich mich als Leser nicht immer identifizieren konnte. es war vielleicht ein neuer Protagonist, der Junge (Christian), der im Verlauf eine immer größere Rolle spielte, und der mich sofort faszinierte und mein Lieblingsprotagonist wurde. sein Verhalten, durch feinziselierte Beschreibung der Autorin lebhaft dargestellt, zwar fast immer durch den mehr oder weniger professionellen Blick des Kommissars, und nur hin und wieder durch Bemerkungen und Andeutungen von Randfiguren, aber gerade dadurch, dass mit steigender Spannung, parallel eine Demontage des erfahrenen Profis erfolgt, bis hinab zu den seelischen Tiefen und Fundamenten seiner eigenen Kindheit, gerade daraus entspringt ein erzählerischer Reiz, dem ich mich nicht mehr entziehen mochte. da passte dann auch alles: schmalste Details bis zur breitesten Empathie - von sanft zerplatzenden Milchbläschen im Kaffee bis zum heftigen letzten Fick einer zerbrechlich gewordenen, krebskranken Frau. nichts störte mich mehr, nichts langweilte. die Buchstaben zogen mir flüssig vorüber und erzeugten authentisch wirkende Bildfolgen. zwei mal geschah es noch, dass ich das Buch kurz von den Augen nahm, aber nur um mit innerer Lesezunge vor Anerkennung zu schnalzen, und um mir hinten auf der letzten Seite was zu notieren, damit ich es hier bringen kann:
- Seite 179, als die Überschrift das erste Mal im Text erscheint, und zwar so passgenau und stringent, dass es eine Freude ist.
- und Seite 190, wo eine außerordentlich stimmige Passage, die ich hier unbedingt zitieren möchte, aufhorchen lässt, und gleichzeitig den weiter vorne eingebauten Bezug zu Wolfgang Borcherts bekannten Kurzgeschichte, "Nachts schlafen die Ratten doch", mehr als rechtfertigt. hier offenbarte sich mir die handwerkliche Geschicklichkeit der Autorin samt ihrer subtil eingewobenen lyrischen Begabung:
In Antwort auf:
Jede Lüge entmündigt mich. Macht mich zum Opfer. Macht es mir unmöglich zu trauern, zu hassen, oder zu verzeihen. Sie macht mich zum Spielball einer sentimentalen Anwandlung eines anderen.
und das, was vor langer Zeit als Provokation begonnen hatte, darf in einem wortlosen, verständnisvollen Zugeständnis münden. für mich, zweifelsohne einer der gelungensten Höhepunkte der Handlung, von welchen ich noch weitere persönliche hatte, die ich hier aber nicht verraten möchte. das Buch kann ich somit nur empfehlen.
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