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Ungesehen
in Philosophisches und Grübeleien 08.03.2009 14:49von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Über mich erzählten sie endlose Schrecklichkeiten und Lügen, dass einem schier die Phantasie platzen wollte. Offenbar stärkte es sie innerlich, derart über mich herzuziehen, es brachte ihnen Gott weiß welche Art Mut, den sie brauchten, um immer erbarmungsloser zu werden, widerstandsfähiger und regelrecht bösartig, um durchzuhalten, um zu überstehen. Und auf diese Weise schlecht zu reden, zu verleumden, zu verachten, zu bedrohen, das tat ihnen ganz offenbar gut.
L.F Celine
Hallo Gemini,
Das Gedicht gefällt mir. Ist flüssig, das grundsätzliche Bild erschließt sich auf den ersten Blick schnell, lässt aber doch genügend Fragen offen zum Nachdenken.
Das Gedicht lässt das Bild einer vereinsamten und entfremdeten Gesellschaft entstehen. Ist es fiese fehlende Zivilcourage, von der wir alle wissen, wie falsch sie ist, oder ist es einfach Ignoranz, die Menschen so handeln lässt? Oder willst du sagen, dass es Angst ist, die dich wieder aufs Bett sitzen lässt? Das mit den Raffinerien und Gewerken passt irgendwie nicht - ist mir zu speziell. Und ich find schwierig, dass das "draußen" erst für - nach meiner Denke - einen Flur eines Mehrfamilienhauses benutzt wird und dann noch für die "Welt da draußen". Und ich wird zu uns? Ist das die Verallgemeinerung zu der Erfahrung, die weiter oben das Ich macht?
lieben gruß, fomima
RE: Ungesehen
in Philosophisches und Grübeleien 12.10.2009 20:53von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte
hi, hier haben wir zweifelsohne einen echten Gemini, Ungesehen ist ein starkes gedicht. die szene wird erst erst im detail skizziert, dann zeichnet der autor mit knappen strichen allgemeinere verhältnisse, die die persönlichen spiegeln. das lyrische ich ist erst stiller beobachter ohne erkennbare meinung oder gefühlsbewegung. nachdem es sich setzt, die neue erfahrung sich setzen lässt, erkennt es sich selbst als teil der szenerie. allerdings ohne eingriffsmöglichkeit. angst ist hier keine singuläre erfahrung, sondern ein lebensgefühl, aus dem es keinen ausweg zu geben scheint. atmosphärisch erinnerts mich an die ratlos-düster starrenden gestalten auf manchen von edvard munchs bildern. sehr ausdrucksstark, gefällt mir.
herzliche grüße
Kjub
Kjub, Du hast in letzter Zeit zu intensiv Worte nach den Bildern von Munch gesucht, scheint mir *lachtlaut*
Hallo Gemini,
mir ist das "uns" am Ende ein wenig zu aufgesetzt; stärker käme mir vor, wenn die Singularität des lI auch in der Angst betont bleibt, und das Ganze nur in der Übertragung zur Gesellschaftsskizze würde. Letzteres ist es ja eigentlich ohnehin durch das Draußen, dass doch recht vielschichtig gezeichnet wird. Allein erlebte Angst ist meiner Ansicht nach auch beeindruckender und ist es nicht letztendlich bedrückend, sich zu fragen, ob der eigene Blickwinkel kein verzerrter ist, als sich in einer Masse bestätigt zu sehen?
"Hände verschränken" hat auch etwas trotziges in sich; ggf. wäre auch da ein feinfühligeres Wortgefüge tragender? Ich zumindest sehe das lI da hilflos die Hände umeinander nesteln, nervös, auf Ablenkung bedacht, vielleicht auch ein wenig in Abwehrhaltung, aber jedenfalls nicht mit verschränkten Armen, oder Händen - da würde ich noch mal nachdenken wollen, auch wenn mir das passende Verb grad nicht auf der Zunge liegt.
Der Einstiegsvers ist saugut, weil darin mehr liegt, als der verkehrte Blick durch den Spion; das Ein- und Ausschließen, Gefängnis und Burg fallen mir zum Beispiel dazu ein. Auch die Reihenfolge von aufgeplatzen Nähten und Faustschlag hat charakter, immens viele Bilder möglich zu machen und das ist das, was ich an Deinen Texten sehr schätze: Man kann lange nicht aufhören, Kurzfilme draus zu entwerfen.
k
Nina
RE: Ungesehen
in Philosophisches und Grübeleien 14.10.2009 19:10von Kjub • 498 Beiträge | 499 Punkte
lines, immer auf dem laufenden, was? ... ich fühle mich ertappt. anstelle von verschränkt würde ich kein weicheres verb empfehlen, der text ist insgesamt sehr kantig, da passt zumindest mir das harte "verschränken". was du über weglassung und übertragung schreibst, ist logisch, aber fällt dir ein weg ein, das zu erreichen? einfach "uns" weg zu lassen funktioniert in meiner rezeption nicht. und jetzt?
kjubische grüße
RE: Ungesehen
in Philosophisches und Grübeleien 18.10.2009 15:06von oliver64 • Mitglied | 352 Beiträge | 352 Punkte
Hallo,
ein verständlicher Gemini, schau an. Ich verstehe nichts von Munch und sehe verschränkte Hände nicht als Ausdruck von Trotz, sondern sehr treffend als Zeichen hilfloser Angst. Insofern ist es fast schade, dass du zu verständlich sein wolltest und das mit der Angst noch einmal expressis verbis betonen musstest. Hier hätte ich ein Wiederholen der Nacht als stärker empfunden. Auch zu aufgesetzt wirkt dieses isolierte "Ja" in Zeile 3 und dass dieses verängstigte lyrische Ich die beobachtete Szene wirklich mit "Draußen spielt die Musik" kommentierte, erschließt sich mir nicht.
Vor meinem Auge entstand zunächst folgendes Bild: Da hockt ein Kind in seiner Kammer und beobachtet durch die Zimmertür (ich misinterpretierte das Guckloch als Schlüsselloch), wie die Mutter vom Vater erneut verdroschen wird. Zugegeben, das ist textfern, aber zu solcher Szenerie fand ich das mit dem "Ungesehen" und der über die Kinder schwappenden Angst/Nacht sehr treffend. Wenn ich jetzt genauer durch das Guckloch sehe und den Türspion erkenne, wird zwar die "Musik" verständlicher und auch die unpersönliche "Frau", aber dass das Ganze im Hausflur passiert und das lyrI nur seine eigene Erbärmlichkeit mit der schwappenden Angst zu kaschieren gedenkt und sich dann auch noch im Verbunde fühlt ("über uns"), das ist mir dann doch zu larmoyant.
Tut mir leid, gefällt mir auf den zweiten Blick nicht mehr.
Gruß
o.
Gedichte und Kommentare in allerbester Absicht
RE: Ungesehen
in Philosophisches und Grübeleien 20.10.2009 14:34von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Ahoi Freunde
ich habe mich lange geziert um hier eine Antwort zu geben. Eigentlich ist die Darstellung recht einfach. Trotzdem denke ich, dass durch die Antworten das ganze Gebilde recht kompliziert wird. Die Mischung aus Ansätzen scheint den meisten Kritikern Probleme zu bereiten. Ja sicher ist es ein einfaches Gedicht und es entspringt einer realen Situation. Das macht das Gedicht nicht besser oder schlechter. Eigentlich versuche ich hier die Realität mit dem Unfassbaren zu vermischen. Das Guckloch ist hier der Auslöser für die innere Tiefe. Das Gedicht handelt von der Unfähigkeit sich selbst zu finden. Für meine Begriffe eines der größten Mankos der Menschen. Das Verschränken kann viele Möglichkeiten bieten. Hier verwende ich es als die "Unfähigkeit". Daraufhin schwenke ich in die Allgemeinheit. Ich halte uns also für unfähig. Das Drinnen und Draußen bezieht sich auf den Geist, der ion zwei Ebenen gefangen ist. Es gibt hier keine Lösung, keine Perspektive.
Lieben Gruß
Gem
edit: Danke für eure Komments, hat mich gefreut.
Gem
Über mich erzählten sie endlose Schrecklichkeiten und Lügen, dass einem schier die Phantasie platzen wollte. Offenbar stärkte es sie innerlich, derart über mich herzuziehen, es brachte ihnen Gott weiß welche Art Mut, den sie brauchten, um immer erbarmungsloser zu werden, widerstandsfähiger und regelrecht bösartig, um durchzuhalten, um zu überstehen. Und auf diese Weise schlecht zu reden, zu verleumden, zu verachten, zu bedrohen, das tat ihnen ganz offenbar gut.
L.F Celine
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