#1

Tremola

in Düsteres und Trübsinniges 03.02.2005 23:21
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
    Tremola

    Als wir zur Spitze kommen; endet das Rot
    Und dunkelblau liegt schon der Süden.
    Zum Trinken gibt’s Schnee. Es fehlt uns das Brot.
    Wir stopfen Flinten voll mit Pulver und Schrot
    Und töten den geschwächten Rüden.

    „So eile nun flink, mein getreuer Schwager,
    Und hüte das Herz vor Gefahren.
    Schon lockt den Müden flaumig das Lager.
    Die Säcke sind leer, aus fett wurde mager,
    Verloren sind die, die wir waren.“

    Beklommen, einsam flüchtet er in die Nacht
    Und zornig schreit er diese Worte:
    „So Herr, zufrieden? Es ist nun vollbracht!
    Mein Kampf ist jetzt aus und verloren die Schlacht.
    Der Sünder steht vor deiner Pforte!“

    Und er stürzt sich hinab. Zersplittert am Stein,
    Sein Blut färbt die schneeweissen Wechten.
    Schon klart der Morgen mit gestreiftem Schein,
    Da hört man ein Gewisper, leise und fein:
    „Nun sitz ich am Fuss der Gerechten.“


    (c) Margot S. Baumann

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#2

Tremola

in Düsteres und Trübsinniges 04.02.2005 00:17
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
hallo margot.

ich weiß nicht, ob du wert drauf legst.. aber ich will (zumindest für mich) mal die metrik überprüfen:

str1:
xXxXxXxXxxX
xXxXxXxXx
xXxxXxXxxX
xXxXxXxXxxX
xXxXxXxXx

str2:
xXxxXxxXxXx
xXxxXxxXx
xXxXxXxxXx
xXxxXxXXxXx
xXxxXXxXx

str3:
xXxXxXxxXxX
xXxXxXxXx
xXxXxxXxxX
xXxxXxxXxxX
xXxXxXxXx

str4:
xXxXxXxXxxX
xXXxXxxXx
xXxXxXxXxX
xXxXxXxXxxX
xXxxXxxXx

so, ja.. ein wenig stolperhaft. natürlich ist die situation alles andere als harmonisch, so daß hier auch mal gerne ein paar wasserfälle, als ein vor sich hintröpfelnder bach sein.

der erste eindruck war ein flugzeugabsturz in den eisigen bergen.

weitere erste eindrücke:
1.str: der überlebenskampf beginnt. das dunkelblau liegt der nähe nah, das eisige also - während das rote (=wärme etc. pp.....ich sehs also jetzt eher im farbpsychologischen sinn) kurz vor einem umschwung endet. vielleicht ein beziehungskampf. hier auch das bild des beiderseits geliebten hundes, den man - nicht ohne moralapostel auf den plan zu rufen - zweiteilen kann. das brot fehlt - also nahrung, die man zweiteilen könnte.

str2: wahrscheinlich schickt das lyr. ich den schwager los, hilfe zu holen. jedenfalls ists ein vertrauter. ich bin mir nicht sicher, ob ab vers3 ein erzähler einspringt, der das lyr. ich beschreibt.. doch ist dies alles eine wörtliche rede. so daß sich diese frage erübrigt. ich denke, daß das lyr. ich über "dritte" erzählt. es wird den müden schlecht, aufgrund der gedanken an die nächste zu überstehende zeit. vielleicht kommt angst auf. erste veränderungen - in form des (wahrscheinlich) körperlichen aussehens - treten auf. vers4 bezieht sich aber auch auf den inneren menschen - so denke ich. die innere einstellung, sichtweisen ändert sich. prioritäten ändern sich.

str3: der "schwager" ist mit sich allein - er flüchtet in die dunkelheit. hier kommt ein ausbruch (vers3-5, weshalb der text für mich ab hier einen religiösen charakter bekommt. der mensch ist in der natur (=näher an gott), allein (allein mit sich und gott) und in der nacht (was die einsamkeit verstärkt). das verleitet das lyr. ich (es hat dann jetzt wohl gewechselt, wenn es der schwager ist), sich an gott zu wenden. es hat aber erkannt, daß es aus der gemeinschaft geflohen ist - aus der gemeinschaft, die mäßigung und zügelung verlangt. es sieht ein, daß es der aufgabe nicht gewachsen war. doch die wortwahl läßt ihm selbst eine hintertür offen - "verloren die schlacht". --> der krieg läuft noch.
währenddessen möchte der sich selbst betitelnde "sünder" die auseinandersetzung mit gott. dies wird durch vers5 noch einmal deutlich.

str4: hier fällt mir die szene der "Historia von 'D. Johann Fausten" (1587) ein, in der faust vom teufel auseinander gerissen wurde. hier natürlich nur die light-version. mein beschränkter horizont vermutet selbstmord. es ist also nicht mehr nur eine verlorene schlacht, sondern ein beendeter, verlorener krieg.
vers5 läßt mich zaudern.. ich denke, daß das lyr. ich die menschen meint, die ihre gerechtheit höher als die von gott einschätzen, die selbstbewußt sind und sich nicht von gott lenken lassen wollen - kurz: die hochmütigen.


das sind meine ersten gedanken hierzu. also bitte nicht totschimpfen. ich muß erst noch prüfen, ob dies mein roter faden sein soll...

aber vielleicht hilfts ja ein wenig.

EDIT: der hund könnte auch ein hinweis auf die dominikaner sein. (fiel mir gerad so ein.) dann paßt dies ja alles ganz gut. und den beziehungskampf kann man zwischen gott und lyr. ich sehen.
EDIT2: du sagtest, daß tremola die paßstraße über den st. gotthard - tunnel ist. das läßt mich jetzt vermuten, daß dies eher ein erfahrungsbericht ist. und ich erinnere mich gerade an den brand 1999 und an das gerichtsverfahren, das jetzt in der sache beginnt. allerdings kann ich den brand nicht in die nähe deines gedichtes rücken, so daß ich dies nicht weiter beachten werde.. ist mir nur gerade eingefallen.


grüße.
arno.

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#3

Tremola

in Düsteres und Trübsinniges 04.02.2005 09:13
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Arno

Vielen Dank für die ausführliche Kritik und die Überlegungen. Vieles trifft meine Intention. Es war ein harter Kampf, diesen Text zu schreiben. Ich weiss auch nicht so recht, weshalb er "raus" musste, aber bei mir ist das ja oftmals noch so.

An der Metrik habe ich eigentlich nicht gross gefeilt (Schande über mich *g), sie erschien mir irgendwie zweitrangig (nochmals Schande!), jedoch ist's gar nicht so schlimm, wie ich zu Anfang dachte. Ich werde mal sehen, ob ich da noch das eine oder andere hinbiegen kann.

Wie gesagt, würde es wahrscheinlich gut in "Religiöses" passen, da hast Du Recht. Wie immer, bin ich diesem Thema wieder verfallen. Das man auch so schwer aus seiner Haut kann ... tz tz

Ich füge mal ein Bild von der Tremola ein. Es verdeutlicht und vertieft auf seine Weise den Inhalt der Aussage. Im Weiteren ist's halt ein wahnsinnig schönes Wort, nicht? Es zergeht quasi auf der Zunge.

Nochmals danke für die investierte Zeit.

Gruss
Margot


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#4

Tremola

in Düsteres und Trübsinniges 04.02.2005 17:34
von Ahsil (gelöscht)
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meine Anmerkung ist nur, dass ich ein neues Wort kennen gelernt habe, Wechte. Das passt hier wirklich wie die Faust aufs Auge. Ist zwar nicht Deutsch aber die Schweiz gehört ja fast dazu .
Das Gedicht gefällt mir vom Lesen her gut, auch wenn es nicht herkömmlich zu lesen ist. Auf jeden Fall hat es einen komplexen und auch subtilen Inhalt.
Grüße

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#5

Tremola

in Düsteres und Trübsinniges 05.02.2005 10:54
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Irgendwann werden wir wohl sowieso von Euch annektiert werden, so ist's schon mal ein Beitrag zur Verständigung. *g

Apropos: Wörterbuch der deutschen Sprache
Wech|te [f] : angewehte überhängende Schneemasse an Graten oder Steilhängen

.... und um den Einwand von Arno auch gleich zu beantworten, sind die Wechten (alte Schreibweise Wächten) eben nicht immer schneeweiss. Aber woher sollen Flachländler sowas auch wissen, gelle.

Danke für den Kommentar Ahsil.

Gruss back
Margot

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#6

Tremola

in Düsteres und Trübsinniges 07.02.2005 03:44
von Arno Boldt | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
ja, es war nur "schneeweiße schneemasse".. klang im ersten augenblick.. anders.. hat bei mir auch die bedeutung des "weißen" hervorgehoben.
--> zumal es dann rötlich verfärbt wurde.

grüße.
arno.

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