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#1
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Lächeln
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.06.2005 23:23von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Sie hasste sich dafür, dass er ihr so nahe gekommen war. Das war nicht gut, war nicht gut für sie. Sie wusste genau, wie es ablaufen würde. Er würde sie enttäuschen, so, wie alle Menschen sie enttäuschten, früher oder später.
Letzte Nacht hatte sich sich schlaflos im Bett gewälzt und darüber nachgedacht, wie sie sich verhalten sollte. Im Grunde wäre es ganz einfach, das Problem zu lösen. Sie würde sich einfach nicht mehr melden. Bis jetzt war ja noch gar nichts geschehen, jedoch, und da war sie sich ganz sicher, würde bald schon einer von ihnen die Linie überschreiten. Es war bloss noch eine Frage der Zeit.
Sie hatte die Anzeichen bemerkt. Dieses Sehnen, diese Erwartungshaltung, dieses Innehalten – auf beiden Seiten. Es war wie Tauziehen. Jeder gab ein Stückchen von sich Preis und doch blieben beide ängstlich auf ihrer Seite. Wer würde zuerst derjenige sein, der nachgeben würde? Er? Sie? Im Grunde spielte es keine Rolle, denn es gab nichts zu gewinnen. Nur Schmerz, nur Enttäuschung, nur eine weitere Narbe. Wollte sie das? Wollte sie sich das wirklich antun, oder er? War es nicht viel einfacher, nichts zu tun, als das Falsche?
Das es falsch war, das wusste sie. Es gab keinen Weg für sie beide. Die Grenzen hatten schon zu Anfang bestanden und würden sich auch nicht ausdehnen. Man hatte gescherzt; darüber, dass sie – ähnlich den Königskindern – nie zusammen kommen könnten. Ja, man hatte gescherzt. Mit etwas Ironie war das Leben doch so viel leichter zu ertragen. Aber insgeheim hatten sich Wünsche aufgetan. Träume waren entstanden. Romantische, sinnlose, lächerliche Träume, wie sie zuweilen Teenager träumen.
An diesem Morgen war sie aufgestanden, hatte, wie jeden Tag, die Kaffeemaschine eingeschaltet und das Frühstück zubereitet. Ihr Mann und ihre zwei Kinder hatten sich an den Tisch gesetzt und wortlos gegessen. Sie hatte sie betrachtet. Drei Menschen, die von ihr erwarteten, dass sie funktionierte. Wie eine Maschine. Tag für Tag.
Sie hatte ihnen gewunken, als die drei das Haus verliessen. Einen schönen Tag hatten sie ihr gewünscht, und sie hatte sich artig bedankt. Sogar ein Lächeln hatte sie zustande gebracht. Es war so viel einfacher zu lächeln, als zu weinen. Weinen musste man erklären, Lächeln nicht.
Sie würde es beenden. Sie würde ihm sagen, dass es nicht mehr ginge, dass sie sich nicht mehr treffen könnten. Sie würden beide ganz sachlich darüber reden, schliesslich waren sie erwachsen und es war ja auch nichts passiert. Also, weshalb so ein Aufstand!
Als sie zum Handy griff, war eine Kurzmitteilung eingetroffen: Es ist weniger schlimm, die wahre Liebe nie kennen zu lernen, als sie zu finden und sie nicht halten zu können.
Er hatte es bereits gewusst. Sie lächelte, als sie die Nachricht löschte. Lächeln war so viel einfacher. Weinen musste man erklären, auch sich selber.
(c) Margot S. Baumann
Letzte Nacht hatte sich sich schlaflos im Bett gewälzt und darüber nachgedacht, wie sie sich verhalten sollte. Im Grunde wäre es ganz einfach, das Problem zu lösen. Sie würde sich einfach nicht mehr melden. Bis jetzt war ja noch gar nichts geschehen, jedoch, und da war sie sich ganz sicher, würde bald schon einer von ihnen die Linie überschreiten. Es war bloss noch eine Frage der Zeit.
Sie hatte die Anzeichen bemerkt. Dieses Sehnen, diese Erwartungshaltung, dieses Innehalten – auf beiden Seiten. Es war wie Tauziehen. Jeder gab ein Stückchen von sich Preis und doch blieben beide ängstlich auf ihrer Seite. Wer würde zuerst derjenige sein, der nachgeben würde? Er? Sie? Im Grunde spielte es keine Rolle, denn es gab nichts zu gewinnen. Nur Schmerz, nur Enttäuschung, nur eine weitere Narbe. Wollte sie das? Wollte sie sich das wirklich antun, oder er? War es nicht viel einfacher, nichts zu tun, als das Falsche?
Das es falsch war, das wusste sie. Es gab keinen Weg für sie beide. Die Grenzen hatten schon zu Anfang bestanden und würden sich auch nicht ausdehnen. Man hatte gescherzt; darüber, dass sie – ähnlich den Königskindern – nie zusammen kommen könnten. Ja, man hatte gescherzt. Mit etwas Ironie war das Leben doch so viel leichter zu ertragen. Aber insgeheim hatten sich Wünsche aufgetan. Träume waren entstanden. Romantische, sinnlose, lächerliche Träume, wie sie zuweilen Teenager träumen.
An diesem Morgen war sie aufgestanden, hatte, wie jeden Tag, die Kaffeemaschine eingeschaltet und das Frühstück zubereitet. Ihr Mann und ihre zwei Kinder hatten sich an den Tisch gesetzt und wortlos gegessen. Sie hatte sie betrachtet. Drei Menschen, die von ihr erwarteten, dass sie funktionierte. Wie eine Maschine. Tag für Tag.
Sie hatte ihnen gewunken, als die drei das Haus verliessen. Einen schönen Tag hatten sie ihr gewünscht, und sie hatte sich artig bedankt. Sogar ein Lächeln hatte sie zustande gebracht. Es war so viel einfacher zu lächeln, als zu weinen. Weinen musste man erklären, Lächeln nicht.
Sie würde es beenden. Sie würde ihm sagen, dass es nicht mehr ginge, dass sie sich nicht mehr treffen könnten. Sie würden beide ganz sachlich darüber reden, schliesslich waren sie erwachsen und es war ja auch nichts passiert. Also, weshalb so ein Aufstand!
Als sie zum Handy griff, war eine Kurzmitteilung eingetroffen: Es ist weniger schlimm, die wahre Liebe nie kennen zu lernen, als sie zu finden und sie nicht halten zu können.
Er hatte es bereits gewusst. Sie lächelte, als sie die Nachricht löschte. Lächeln war so viel einfacher. Weinen musste man erklären, auch sich selber.
(c) Margot S. Baumann
#2
von Richard III • | 868 Beiträge | 871 Punkte
Lächeln
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.06.2005 23:44von Richard III • | 868 Beiträge | 871 Punkte
#3
von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
Lächeln
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 12.06.2005 00:44von Arno Boldt • | 2.760 Beiträge | 2760 Punkte
#4
von olaja (gelöscht)
Lächeln
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 12.06.2005 11:38von olaja (gelöscht)
Das "selber" im letzten Satz würde ich in ein "selbst" umwandeln, auch wenn ich dir nicht genau erklären kann, warum. Meines Erachtens klingt es einfach besser.
Liebe Grüsse,
olaja
Liebe Grüsse,
olaja
#8
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Lächeln
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 14.06.2005 14:03von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Margot,
erstmal will ich sagen, dass mir der Schluss der Geschichte mit der SMS gut gefällt. Ich musste auch ein bißchen an den Grönemeyer-Song "Weine, wenn's nicht zum Lachen reicht."
Ich merkte allerdings, dass ich mich beim ersten Lesen etwas durch den Anfang gekämpft habe. Denn es ist schnell klar worum es geht, wie sie sich fühlt. Die Geschichte könnte auch bei "Es gab nichts zu gewinnen..." beginnen und es würde meiner Meinung nach inhaltlich nichts fehlen.
Ausserdem finde ich, dass der Selbsthass vom Anfang für jemanden, der wie die Frau in der Geschichte große Gefühle vermeiden will, etwas zu stark ist. Das passt da nach meinem Gefühl nicht so gut zu dem Rest.
Aber ab "Sie hatte ihnen gewunken..." bekommt das ganze Fahrt. Ab da gefällts mir gut.
Schöne Grüße
GerateWohl
erstmal will ich sagen, dass mir der Schluss der Geschichte mit der SMS gut gefällt. Ich musste auch ein bißchen an den Grönemeyer-Song "Weine, wenn's nicht zum Lachen reicht."
Ich merkte allerdings, dass ich mich beim ersten Lesen etwas durch den Anfang gekämpft habe. Denn es ist schnell klar worum es geht, wie sie sich fühlt. Die Geschichte könnte auch bei "Es gab nichts zu gewinnen..." beginnen und es würde meiner Meinung nach inhaltlich nichts fehlen.
Ausserdem finde ich, dass der Selbsthass vom Anfang für jemanden, der wie die Frau in der Geschichte große Gefühle vermeiden will, etwas zu stark ist. Das passt da nach meinem Gefühl nicht so gut zu dem Rest.
Aber ab "Sie hatte ihnen gewunken..." bekommt das ganze Fahrt. Ab da gefällts mir gut.
Schöne Grüße
GerateWohl
#10
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Lächeln
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 15.06.2005 11:05von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hi Marge,
ja, das mit den stilistischen Feinheiten, die dann im Endeffekt doch über Leben oder Sterben eines Textes beim Lesen entscheiden, kenne ich auch. Die einzige Möglichkeit für mich das halbwegs in den Griff zu kriegen ist, nach dem Schreiben drei, vier Tage liegen lassen, mit Abstand nochmal lesen, korregieren, wieder liegen lassen...etc. Beim 7. Mal fallen mir immernoch Klopper auf, die ich vorher nicht sah.
Wie Du schon sagst, da hilft wahrscheinlich nur Üben, Üben, Üben.
Was gab es eigentlich zuerst? Dein "Gefängnis" oder diesen Text hier? Die sind ja thematisch sehr nah beieinander, wobei die Geschichte hier ja noch einen kleinen Schritt weiter geht. Aber würde mich mal interessieren.
Grüße
GerateWohl
ja, das mit den stilistischen Feinheiten, die dann im Endeffekt doch über Leben oder Sterben eines Textes beim Lesen entscheiden, kenne ich auch. Die einzige Möglichkeit für mich das halbwegs in den Griff zu kriegen ist, nach dem Schreiben drei, vier Tage liegen lassen, mit Abstand nochmal lesen, korregieren, wieder liegen lassen...etc. Beim 7. Mal fallen mir immernoch Klopper auf, die ich vorher nicht sah.
Wie Du schon sagst, da hilft wahrscheinlich nur Üben, Üben, Üben.
Was gab es eigentlich zuerst? Dein "Gefängnis" oder diesen Text hier? Die sind ja thematisch sehr nah beieinander, wobei die Geschichte hier ja noch einen kleinen Schritt weiter geht. Aber würde mich mal interessieren.
Grüße
GerateWohl
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