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von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Der Wald
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 14.06.2005 10:09von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Der Wald
Eine Art Fabel
Ich bin auf der Flucht. Und ob ich es schaffen werde zu entkommen - ich weiß es nicht. Ich werd‘s sehen. Ich habe eine Frau gegen mich aufgebracht, gelinde gesagt. Nun jagt sie mich und trachtet mir nach dem Leben.
Dabei wirkte sie ganz zahm und ruhig als ich sie kennenlernte. Sie streifte harmonisch durch ihre Wildbahn. Sie nahm nicht mehr von der Natur als sie zum Leben brauchte. Sie sammelte, jagte und fischte redlich durch die Jahres- und die Gezeiten, hütete den Wald und das Wild. Sie tötete nur für Nahrung und zur Verteidigung, nie zum Vergnügen oder aus Vergeltung, und pflanzte regelmäßig ein Bäumchen der Nächstenliebe. So begrünte sie das Antlitz der Erde in Ausübung ihres segensreichen Daseins.
Dann traf sie mich.
Ich, konsumorientiert, ja geradezu –infiziert, hauste auf den robust ummauerten Dielenböden einer fünfräumigen Neubauwohnung in der steinernen Stadt meines Herzens, welche stolz, doch undankbar glänzend in der Sonne aufragte – der Sonne, die im Gegensatz zu mir, stets selbstlos für uns alle schien. Ich nahm von den Lebenden und den Liebenden, vertilgte kostbare Lebenszeit und Lebensraum sowie industriell gefertigtes Allerlei. Und was gab ich zurück? Ich spendete allenfalls mal Schatten oder Spott auf Kosten bescholtener und auch gelegentlich unbescholtener Mitmenschen, gab immer wieder Pflanzen und andere Früchtchen auf dem dörrenden Grund meiner staubigen Zimmer dem existentiellen Niedergang preis. Ich stand definitiv am Ende der Nahrungskette, wo das Einzige, was einen verzehrt, der Zahn der Zeit und das Gewissen mit seinen verfressenen Gewißheiten ist.
Sie jedoch hatte sich erfolgreich einige Kettenglieder vorgearbeitet. So lebte sie in Eintracht mit den Wiesen und Seen ihres blühenden Waldes auf den ich niederfuhr wie saurer Regen, als ich sie dort in ihrer Schönheit erblickte. Ich sprach sie an und sagte: „Hallo, Du Schöne, ich sehe Dich strahlend in deiner friedlichen Landschaft, der soviel entspringt und erwächst wie auch gerade eben meine Liebe zu dir. Ich bewundere und begehre dich und möchte dir jeden Wunsch erfüllen, der dir auf dem Herzen liegt.“ Sie antwortete mir: „Gut. So verlasse meinen Wald und gehe in Frieden. Ich will deine Liebe nicht haben. Ich lebe mit mir und meiner Welt in Eintracht. Und du bist konsumorientiert, nimmst nur von den Lebenden und den Liebenden und spendest allenfalls mal Schatten oder spottbilligen Hohn auf unbescholtene Mitmenschen.“
Sie öffnete mir die Augen. Ich war mir dessen vorher nie so bewußt gewesen. In meinem bisherigen Weltbild war ich eigentlich ein ganz korrekter Typ, vielleicht noch nicht ganz ausgewachsen, der sich jedoch noch wie ein Rohdiamant an den rauhen Schleifbanden seiner vorüberziehenden Tage formend auf dem Weg zu einem wertvollen, vielleicht sogar glänzenden Lebenswandel befand.
Aber sie hatte eindeutig Recht. Ich hatte zwar für einen kurzen Augenblick meine vorsichtigen Zweifel an ihrer negativen auf mich bezogenen Sichtweise. Aber ihre nachfolgenden Argumentationen mit den Hinweisen auf jahrtausendelange patriarchalische Kultur und unbestreitbare historische Beispiele von hochgeschätzten, aber dennoch brandschatzenden und brutschändenden Vorvätern sowie derer unverwischbarer Spuren in meinem eigensten Denken und Handeln überzeugten mich schnell.
Nun liebte ich sie nicht mehr nur, nun betete ich sie an. Wie wunderbar wir uns ergänzten. Was ist der Produzent ohne einen Konsumenten? Ich will nicht sagen ‚sinnlos‘, aber macht nicht erst der Parasit den Wirt zum Wirt? Und ein Wirt ist beliebt.
Ich liebte sie außerordentlich. Und ich wußte sie würde es mir auch bald im Gegenzug gleichtun. Denn es gab auch an mir einiges zu schätzen. Auch ich besaß Tugenden, die sie sich wohl zum Vorbild nehmen konnte. So war ihre Position mir gegenüber nicht frei von einer gewissen Überheblichkeit, die mir jedoch in der Form fremd war. So wurde jeder ihrer lehrreichen Hinweise auf meine menschlichen Schwächen und ihre moralische Überlegenheit durch meine Zustimmung oder Beschweigung zu einer kleinen tugendhaften Niederlage ihrerseits. Das mochte sie zwar nicht, aber so waren ihre Vorträge sowohl lehrreich für sie, als auch für mich. Irgendwann bat sie mich nicht mehr ihren Wald zu verlassen. Sie beließ es bei dem Hinweis, ich solle doch nicht meinen Konsummüll achtlos überall hinwerfen, dann dürfe ich sie gerne wieder besuchen, aber ich müsse alles wieder so hinterlassen, wie ich es vorgefunden hätte. Ich bemühte mich keine Furche der Verwüstung hinter mir herzuziehen, was mir leicht viel, da ich auf dem fliegenden Teppich meiner Bewunderung für dieses weibliche Wesen durch ihre Welt schwebte. Sie nahm es mit wachsender Zuneigung zur Kenntnis.
So schwebte und lebte ich eine geraume Zeit bis ich ihre urigen Wälder, Lichtungen und gar ihre diversen Irrgärten erkundet und eine einigermaßen gute Orientierung gewonnen hatte. Ich grüßte die Füchse und Hasen, streichelte ihre Wölfe, ritzte auch schon mal ein freundliches Wort in einen ihrer Bäume. Fühlte mich also fast wie zu Hause.
Mich besuchte die Frau daheim kaum. Zu fremd war ihr meine Welt, obwohl wir mittlerweile ein Liebespaar waren. So brachte ich meine Welt zu ihr, um mich ihr näher zu bringen. Darum verteilte ich die Spuren und Sporen meines Lebenswandels in ihren Gärten der Hoffnung, auf dass sie diese so liebgewonnene Idylle befruchteten, damit unsere Universen noch stärker zusammenwüchsen. Hier einpaar Krümel, dort ein benutztes Hand- oder Taschentuch. Erst als ich diese Dinge von mir gab wo ich gerade stand oder ging realisierte ich, was ich auf diese Weise dieser strahlenden Idylle hinzufügen wollte, und zwar etwas, das mir sehr lieb und teuer war: Gemütlichkeit. Diese Art und Weise bewirkte aber im Gegenteil, dass die Frau sehr ungemütlich wurde und mich als rücksichtslosen, unreifen Schmutzfink beschimpfte. Das empfand ich nun aber als ungerecht, da dieses Verhalten meinerseits aufgrund meines vorangeschrittenen Lernprozesses nicht mehr einer Unwissenheit oder Rücksichtslosigkeit entsprang, sondern meinem dringenden Bedürfnis nach Authentizität meinerseits und dem Wunsch, meine Liebe zu bereichern und den Horizont meiner Liebsten über die Auen ihres Waldes hinaus zu erweitern. Ich tat es aus Liebe und nichts sonst. Darum widersprach ich ihr.
Und so wie meine Zustimmungen zu ihren Belehrungen über mich früher auf ihrer Seite Zuwendung und Verständnis gezeugt hatte, so gebar nun mein Widerspruch genau das Gegenteil. Sie zog sich zurück und regte sich furchtbar auf. Sie strampelte und zappelte im Geflecht unserer bereits gewachsenen Beziehungsbande. Erzürnt über die Erkenntnis von der damit entstandenen Unfreiheit vor mir fuchtelte Sie nur noch aufgeregter, nannte mich einen Waldfriedensbrecher, eine heimtückische Müllmade. Ich nannte sie eine hysterische Ökoschnepfe und einen dummen Baumpilz. Sie warf mich aus dem Wald. Sie warf mich einfach hinaus.
Sie jagte mich noch nicht. So weit waren wir noch nicht. Bis zu diesem Stadium war noch ein langer Weg zurückzulegen. Ich war in diesem Moment kurz davor sie zu jagen. So eine Unverschämtheit! Aber wir jagten uns nicht. Wir gingen uns traurig aus dem Weg.
Dann geschah ein kleines Wunder. Wir wurden gerettet.
Bald fielen wir uns wieder verständnisvoll in die Arme. Diese glückliche Wendung verdankten wir Farah der Füchsin. Geboren und herangewachsen zwischen Bäumen und Bächen besaß sie alle Tugenden der Waldwesen, wie die Frau auch, doch sie zeigte zudem eine ungeheure Neugierde und gar Begeisterung für die Errungenschaften und Beschaffenheiten meiner Welt. Dies gab ihr den Schlüssel zur Vermittlung zwischen uns. So sprach sie zu mir: „Mann, Du bist ein wundersames Geschöpf, geschöpft aus dem Brunnen einer fremden Welt, welche es stets von Neuem vollbringt mich zu faszinieren mit ihren Ecken und Kannten, Symbolen und Bauten. Dieser Brunnen ragt nun dank dir bis in unsere Welt hinein und tränkt meinen Durst nach Neuem und Erkenntnis. Doch so wie ich das Herz einer Forscherin in mir trage, die nach Wissen und Fortschritt strebt, so ist die Frau geschmückt durch das Herz einer Hüterin und Wächterin von allem, was die Flamme des Lebens von uns Waldwesen am Lodern hält. Sie opfert ihre ganze Kraft und Lebenszeit, den Boden zu bestellen, der uns mit dem ernährt, was uns vor allem andern erhält und vereint, der führsorglichen Liebe. Und diese Liebe ist groß. So schließt sie mich mit meinem Forscherdrang ein und dich, mit deiner Offenheit, deiner Entschlossenheit, deiner Sehnsucht, deiner Stärke. Durch euer Zusammentreffen bist du ein Teil von dieser Liebe und dieser Welt geworden.“
Ich erwiderte beleidigt: „Das reicht mir aber nicht. Ich will dass sie auch ein Teil von mir wird. Ich kann nicht nur ein Teil von etwas anderem sein, von der Welt eines anderen. Habe ich etwa nichts mitgebracht? Auch ich hüte eine Welt.“ Doch während ich diesen letzten Satz aussprach wußte ich schon, dass er nicht wahr war.
Und die Füchsin hatte es schon zuvor durchschaut und sprach: „Es ist nicht dein einzig Gebot, ein Teil unserer Welt oder der Hüter deiner Welt zu sein. Deine Welt braucht keinen Hüter. Sie wird noch sein, wenn du schon lange nicht mehr bist – selbst wenn du sie morgen verließest, würde sie bestehen. Sie ist tot, war nie lebendig und ist dennoch unsterblich. Denn sie wurde erbaut von Mächten gigantischer Stärke über Jahrhunderte und Generationen hinweg. Sie ist ein Denkmal und Zeugnis der großen Kraft, der sie entsprungen ist, dieser Kraft, die jeder, der ihr entstammt, in sich trägt - so auch du, ja, diese Stärke ist es, die dich bestimmt, dich verheißt. Sie ist es, die dir die Macht verleiht Dinge zu wenden, zu richten und zu vollenden. Diese Macht benötigen wir Waldwesen. Und sie liegt in deiner Hand. Nur sie kann uns alle retten. Denn wir sind bedroht, schon seit langem.“
Ich begriff sogleich was Farah mit der Bedrohung meinte. Meine fahle Welt mit ihren Schatten, Mosaiken und Mauern war es, die den Wald bedrohte und es lag an mir mit meiner Stärke, welche meiner Welt ererbt war, diese mit der ihren in Frieden zu vereinen. Nun begriff ich, dass ich, hätte Farah mich nicht gewarnt, drauf und dran gewesen wäre, als Werkzeug der von ihr gefürchteten zerstörerischen Bedrohung zu wirken und nicht als Bote des Friedens zwischen beiden Mächten. Meine verstreuten Taschentücher waren keine weißen Flaggen der Verhandlungsbereitschaft, sondern Keimlinge der Leblosigkeit meiner Welt. Statt ihnen sollte ich die kreative Energie meines Ursprungs im Wald verbreiten. Und der Schlüssel dazu war die lebendige Liebe zwischen mir und der Frau. Und diese hatte ich fahrlässig in Gefahr gebracht.
So ging ich zur Frau, erflehte ihre Vergebung und erzählte ihr, was ich erkannt und wie mich Farah mit ihren Worten erhellt hatte. Und die Frau pries Farah, umschloß mich mit einem Blumenkranz ihrer bunten Liebe und meinte: „Es wird also doch endlich wieder alles gut.“
Doch was meinte sie mit „wieder“? Es standen doch viele Veränderungen bevor. Augenblicklich begann ich nun, mich geistig meiner neuen Bestimmung zu widmen. Endlich begann ich sie zu spüren, diese Kraft, die immer in mir geschlummert hatte, für die ich aber nie eine sinnstiftende Verwendung hatte. Ich wollte auch die Frau lehren, mit all ihrer Schöpfung und Fruchtbarkeit meiner Welt in Liebe zu begegnen, was nicht leicht war.
Bei dem Versuch ihren Lebensraum mit meinem zu verkuppeln sah ich mehr und mehr in Farah eine Schlüsselfigur. So begann ich mehr und mehr Zeit mit der Füchsin zu verbringen, was dieser nicht unangenehm war. Wir streiften durch die Wälder und philosophierten über den Frieden, über Erfüllung und Bestimmung, ersannen Strategien, schmiedeten Pläne oder guckten einfach bei mir zu Hause Filme aus meiner Video-Sammlung. Es war eine wundervolle Zeit, möglicherweise die glücklichste und erfüllteste meines bisherigen Lebens.
Als mir das eines Tages klar wurde erkannte ich, dass ich, obwohl ich mit der Frau zusammen lebte, mich doch in die Füchsin verliebt hatte. Doch darüber konnte ich mit der Frau nicht reden. Sie verstand mich nie. Aber mit Farah konnte ich darüber sprechen. Und als ich es tat, erfuhr ich, dass auch sie mich mittlerweile liebte. Es durchfuhr uns beide wie ein Blitz. Wir zerstoben in einer Explosion der Leidenschaft und wirbelten wie Staub durcheinander bis uns nichts mehr trennen konnte. Wir waren vereint, verschmolzen und verloren.
Plötzlich erfüllte uns unendliche Angst, was aus uns werden sollte. Wenn die Frau von unserer Liebe erführe, würde sie mich gewiß im Zorn endgültig des Waldes verweisen, und was würde dann aus unserer Aufgabe, unserer Bestimmung? Wären wir dazu verdammt in der Verbannung, in der Steinwüste meiner Welt unterzuschlüpfen, die mir mittlerweile bei längerem Aufenthalt das Gefühl gab, lebendig eingemauert zu sein? Ich konnte nicht mehr zurück. Die Frau konnte es ja, wenn sie ehrlich war, auch nicht mehr, aber sie würde, wie so oft, nicht in der Lage sein es zu erkennen. Sie würde mich fortjagen und ersetzen durch einen Spielkameraden, den sie sich wie eine Schmusepuppe aus den Splittern ihres Verlustes baute, um sich täglich an ihm zu zerschneiden.
Doch wir hatten keine andere Wahl. Wir mußten es ihr sagen. Wir mußten gemeinsam eine konstruktive Lösung finden. Es konnte die Frau ja auch nicht überraschen. So oft hatte sie in letzter Zeit meine Gedanken, Vorschläge und Gespräche zurückgewiesen. Sie hatte mich quasi in Farahs Pfoten getrieben. Und war Liebe nicht eine große Kraft? Und bedingten Kräfte für ihre Wirkung nicht stets eine ebenbürtige Gegenkraft? Konnte die Liebe der Frau dann überhaupt noch bestehen? Nein. Ihre Liebe mußte ebenso schon vergangen oder geschwächt sein wie die meine. Sie würde es verstehen. Sie würde sich freuen zu sehen, dass wir, Farah und ich, durch unsere Liebe trotz des Erkaltens ihrer und meiner Liebe zueinander, einen Weg gefunden hatten, unseren Traum vom Frieden unserer beider Welten fortzuführen. Und auch dafür liebten Farah und ich die Frau.
So traten wir gemeinsam vor sie und berichteten ihr freudig was geschehen war.
Doch was nun passierte, sprang mich an wie die Feuer der Hölle und versengte mein Antlitz für immer. Die Frau griff nach ihrem Zweiläufer, tötete Farah auf der Stelle mit einem Schuß und sagte kalt: „Wir haben zu viel Füchse diesen Sommer. Sie reißen sonst alle Hühner und Gänse.“ Dann blickte sie scharf in mein Entsetzen und sprach: „Was schaust du mich so an? Ich bin Wildhüterin. Das ist meine Aufgabe.“ Und ich sah drängelnde Tränen in ihren hasserfüllten Augen. Sie hasste nun sich und mich, uns beide - sich für ihre Liebe zu mir und mich für ihre Schuld, die sie auf sich geladen hatte. Farahs Tod hatte nichts mit Nahrungsbeschaffung und nichts mit Selbstverteidigung zu tun. Über einen guten Teil ihrer Seele war nun der stille allgegenwärtige Tod meiner steinernen Welt gekommen, hatte sie mit sich genommen und daraus einige weitere unsterbliche Mauern für sein Andenken gebaut. Was war aus unserer Bestimmung geworden? Unserer großen Aufgabe? Wir hatten jeder auf seine Weise versagt. Ich bildete mir ein, dass ich in diesem Moment alle ihre Empfindungen, all ihre Gedanken wahrnahm. In diesem Moment der größten Verzweiflung und der größten Niederlage spürten wir die stärkste Verbindung zwischen uns. Und wir realisierten beide, dass dieses Opfer nicht umsonst gewesen sein durfte. Jetzt, da wir unser Schicksal verraten hatten, erkannten wir, dass es alles war, was wir noch hatten, denn unsere Liebe füreinander besaßen wir nicht mehr. Ja, wir würden weiter kämpfen. Aber wir waren füreinander nur noch Quellen der Erfahrung, der Erinnerung, des Schmerzes und des Hasses.
„Ich will dich nicht töten“, sagte sie, „Aber noch größer als dieser Wille, ist meine Entschlossenheit, nicht noch einmal zu versagen. Ich gebe dir 30 Sekunden Vorsprung.“ Dann legte sie entschlossen ihre Flinte auf mich an. Ich begann zu rennen um mein Leben. Ich spürte, wie sie mich mit einigem Abstand verfolgte. Meine schwere Trauer bremste mich in meinem Lauf und nahm mir Kraft, doch ich hielt sie fest wie ein obszönes, entstelltes Relikt meiner vergangenen Liebe, deren altes Lächeln unwiederbringlich mit dem Blut Farahs verwischt und unter dem kalten Hass der Frau eingefroren war.
So begann meine Flucht – vor einpaar Stunden. Nun renne ich immer noch weiter und suche Schutz. Falls ich es schaffe, bis morgen den Wald zu verlassen, werde ich nicht mehr rennen. Ich denke, ich werde mich dann an die Arbeit machen - wie die Frau sicher ebenso. Ich denke, das hätte Farah gewiss auch gewollt. Es gibt ja so viel zu tun. Und es steht so viel auf dem Spiel.
(c) 2005 Gunter Scholtz
Eine Art Fabel
Ich bin auf der Flucht. Und ob ich es schaffen werde zu entkommen - ich weiß es nicht. Ich werd‘s sehen. Ich habe eine Frau gegen mich aufgebracht, gelinde gesagt. Nun jagt sie mich und trachtet mir nach dem Leben.
Dabei wirkte sie ganz zahm und ruhig als ich sie kennenlernte. Sie streifte harmonisch durch ihre Wildbahn. Sie nahm nicht mehr von der Natur als sie zum Leben brauchte. Sie sammelte, jagte und fischte redlich durch die Jahres- und die Gezeiten, hütete den Wald und das Wild. Sie tötete nur für Nahrung und zur Verteidigung, nie zum Vergnügen oder aus Vergeltung, und pflanzte regelmäßig ein Bäumchen der Nächstenliebe. So begrünte sie das Antlitz der Erde in Ausübung ihres segensreichen Daseins.
Dann traf sie mich.
Ich, konsumorientiert, ja geradezu –infiziert, hauste auf den robust ummauerten Dielenböden einer fünfräumigen Neubauwohnung in der steinernen Stadt meines Herzens, welche stolz, doch undankbar glänzend in der Sonne aufragte – der Sonne, die im Gegensatz zu mir, stets selbstlos für uns alle schien. Ich nahm von den Lebenden und den Liebenden, vertilgte kostbare Lebenszeit und Lebensraum sowie industriell gefertigtes Allerlei. Und was gab ich zurück? Ich spendete allenfalls mal Schatten oder Spott auf Kosten bescholtener und auch gelegentlich unbescholtener Mitmenschen, gab immer wieder Pflanzen und andere Früchtchen auf dem dörrenden Grund meiner staubigen Zimmer dem existentiellen Niedergang preis. Ich stand definitiv am Ende der Nahrungskette, wo das Einzige, was einen verzehrt, der Zahn der Zeit und das Gewissen mit seinen verfressenen Gewißheiten ist.
Sie jedoch hatte sich erfolgreich einige Kettenglieder vorgearbeitet. So lebte sie in Eintracht mit den Wiesen und Seen ihres blühenden Waldes auf den ich niederfuhr wie saurer Regen, als ich sie dort in ihrer Schönheit erblickte. Ich sprach sie an und sagte: „Hallo, Du Schöne, ich sehe Dich strahlend in deiner friedlichen Landschaft, der soviel entspringt und erwächst wie auch gerade eben meine Liebe zu dir. Ich bewundere und begehre dich und möchte dir jeden Wunsch erfüllen, der dir auf dem Herzen liegt.“ Sie antwortete mir: „Gut. So verlasse meinen Wald und gehe in Frieden. Ich will deine Liebe nicht haben. Ich lebe mit mir und meiner Welt in Eintracht. Und du bist konsumorientiert, nimmst nur von den Lebenden und den Liebenden und spendest allenfalls mal Schatten oder spottbilligen Hohn auf unbescholtene Mitmenschen.“
Sie öffnete mir die Augen. Ich war mir dessen vorher nie so bewußt gewesen. In meinem bisherigen Weltbild war ich eigentlich ein ganz korrekter Typ, vielleicht noch nicht ganz ausgewachsen, der sich jedoch noch wie ein Rohdiamant an den rauhen Schleifbanden seiner vorüberziehenden Tage formend auf dem Weg zu einem wertvollen, vielleicht sogar glänzenden Lebenswandel befand.
Aber sie hatte eindeutig Recht. Ich hatte zwar für einen kurzen Augenblick meine vorsichtigen Zweifel an ihrer negativen auf mich bezogenen Sichtweise. Aber ihre nachfolgenden Argumentationen mit den Hinweisen auf jahrtausendelange patriarchalische Kultur und unbestreitbare historische Beispiele von hochgeschätzten, aber dennoch brandschatzenden und brutschändenden Vorvätern sowie derer unverwischbarer Spuren in meinem eigensten Denken und Handeln überzeugten mich schnell.
Nun liebte ich sie nicht mehr nur, nun betete ich sie an. Wie wunderbar wir uns ergänzten. Was ist der Produzent ohne einen Konsumenten? Ich will nicht sagen ‚sinnlos‘, aber macht nicht erst der Parasit den Wirt zum Wirt? Und ein Wirt ist beliebt.
Ich liebte sie außerordentlich. Und ich wußte sie würde es mir auch bald im Gegenzug gleichtun. Denn es gab auch an mir einiges zu schätzen. Auch ich besaß Tugenden, die sie sich wohl zum Vorbild nehmen konnte. So war ihre Position mir gegenüber nicht frei von einer gewissen Überheblichkeit, die mir jedoch in der Form fremd war. So wurde jeder ihrer lehrreichen Hinweise auf meine menschlichen Schwächen und ihre moralische Überlegenheit durch meine Zustimmung oder Beschweigung zu einer kleinen tugendhaften Niederlage ihrerseits. Das mochte sie zwar nicht, aber so waren ihre Vorträge sowohl lehrreich für sie, als auch für mich. Irgendwann bat sie mich nicht mehr ihren Wald zu verlassen. Sie beließ es bei dem Hinweis, ich solle doch nicht meinen Konsummüll achtlos überall hinwerfen, dann dürfe ich sie gerne wieder besuchen, aber ich müsse alles wieder so hinterlassen, wie ich es vorgefunden hätte. Ich bemühte mich keine Furche der Verwüstung hinter mir herzuziehen, was mir leicht viel, da ich auf dem fliegenden Teppich meiner Bewunderung für dieses weibliche Wesen durch ihre Welt schwebte. Sie nahm es mit wachsender Zuneigung zur Kenntnis.
So schwebte und lebte ich eine geraume Zeit bis ich ihre urigen Wälder, Lichtungen und gar ihre diversen Irrgärten erkundet und eine einigermaßen gute Orientierung gewonnen hatte. Ich grüßte die Füchse und Hasen, streichelte ihre Wölfe, ritzte auch schon mal ein freundliches Wort in einen ihrer Bäume. Fühlte mich also fast wie zu Hause.
Mich besuchte die Frau daheim kaum. Zu fremd war ihr meine Welt, obwohl wir mittlerweile ein Liebespaar waren. So brachte ich meine Welt zu ihr, um mich ihr näher zu bringen. Darum verteilte ich die Spuren und Sporen meines Lebenswandels in ihren Gärten der Hoffnung, auf dass sie diese so liebgewonnene Idylle befruchteten, damit unsere Universen noch stärker zusammenwüchsen. Hier einpaar Krümel, dort ein benutztes Hand- oder Taschentuch. Erst als ich diese Dinge von mir gab wo ich gerade stand oder ging realisierte ich, was ich auf diese Weise dieser strahlenden Idylle hinzufügen wollte, und zwar etwas, das mir sehr lieb und teuer war: Gemütlichkeit. Diese Art und Weise bewirkte aber im Gegenteil, dass die Frau sehr ungemütlich wurde und mich als rücksichtslosen, unreifen Schmutzfink beschimpfte. Das empfand ich nun aber als ungerecht, da dieses Verhalten meinerseits aufgrund meines vorangeschrittenen Lernprozesses nicht mehr einer Unwissenheit oder Rücksichtslosigkeit entsprang, sondern meinem dringenden Bedürfnis nach Authentizität meinerseits und dem Wunsch, meine Liebe zu bereichern und den Horizont meiner Liebsten über die Auen ihres Waldes hinaus zu erweitern. Ich tat es aus Liebe und nichts sonst. Darum widersprach ich ihr.
Und so wie meine Zustimmungen zu ihren Belehrungen über mich früher auf ihrer Seite Zuwendung und Verständnis gezeugt hatte, so gebar nun mein Widerspruch genau das Gegenteil. Sie zog sich zurück und regte sich furchtbar auf. Sie strampelte und zappelte im Geflecht unserer bereits gewachsenen Beziehungsbande. Erzürnt über die Erkenntnis von der damit entstandenen Unfreiheit vor mir fuchtelte Sie nur noch aufgeregter, nannte mich einen Waldfriedensbrecher, eine heimtückische Müllmade. Ich nannte sie eine hysterische Ökoschnepfe und einen dummen Baumpilz. Sie warf mich aus dem Wald. Sie warf mich einfach hinaus.
Sie jagte mich noch nicht. So weit waren wir noch nicht. Bis zu diesem Stadium war noch ein langer Weg zurückzulegen. Ich war in diesem Moment kurz davor sie zu jagen. So eine Unverschämtheit! Aber wir jagten uns nicht. Wir gingen uns traurig aus dem Weg.
Dann geschah ein kleines Wunder. Wir wurden gerettet.
Bald fielen wir uns wieder verständnisvoll in die Arme. Diese glückliche Wendung verdankten wir Farah der Füchsin. Geboren und herangewachsen zwischen Bäumen und Bächen besaß sie alle Tugenden der Waldwesen, wie die Frau auch, doch sie zeigte zudem eine ungeheure Neugierde und gar Begeisterung für die Errungenschaften und Beschaffenheiten meiner Welt. Dies gab ihr den Schlüssel zur Vermittlung zwischen uns. So sprach sie zu mir: „Mann, Du bist ein wundersames Geschöpf, geschöpft aus dem Brunnen einer fremden Welt, welche es stets von Neuem vollbringt mich zu faszinieren mit ihren Ecken und Kannten, Symbolen und Bauten. Dieser Brunnen ragt nun dank dir bis in unsere Welt hinein und tränkt meinen Durst nach Neuem und Erkenntnis. Doch so wie ich das Herz einer Forscherin in mir trage, die nach Wissen und Fortschritt strebt, so ist die Frau geschmückt durch das Herz einer Hüterin und Wächterin von allem, was die Flamme des Lebens von uns Waldwesen am Lodern hält. Sie opfert ihre ganze Kraft und Lebenszeit, den Boden zu bestellen, der uns mit dem ernährt, was uns vor allem andern erhält und vereint, der führsorglichen Liebe. Und diese Liebe ist groß. So schließt sie mich mit meinem Forscherdrang ein und dich, mit deiner Offenheit, deiner Entschlossenheit, deiner Sehnsucht, deiner Stärke. Durch euer Zusammentreffen bist du ein Teil von dieser Liebe und dieser Welt geworden.“
Ich erwiderte beleidigt: „Das reicht mir aber nicht. Ich will dass sie auch ein Teil von mir wird. Ich kann nicht nur ein Teil von etwas anderem sein, von der Welt eines anderen. Habe ich etwa nichts mitgebracht? Auch ich hüte eine Welt.“ Doch während ich diesen letzten Satz aussprach wußte ich schon, dass er nicht wahr war.
Und die Füchsin hatte es schon zuvor durchschaut und sprach: „Es ist nicht dein einzig Gebot, ein Teil unserer Welt oder der Hüter deiner Welt zu sein. Deine Welt braucht keinen Hüter. Sie wird noch sein, wenn du schon lange nicht mehr bist – selbst wenn du sie morgen verließest, würde sie bestehen. Sie ist tot, war nie lebendig und ist dennoch unsterblich. Denn sie wurde erbaut von Mächten gigantischer Stärke über Jahrhunderte und Generationen hinweg. Sie ist ein Denkmal und Zeugnis der großen Kraft, der sie entsprungen ist, dieser Kraft, die jeder, der ihr entstammt, in sich trägt - so auch du, ja, diese Stärke ist es, die dich bestimmt, dich verheißt. Sie ist es, die dir die Macht verleiht Dinge zu wenden, zu richten und zu vollenden. Diese Macht benötigen wir Waldwesen. Und sie liegt in deiner Hand. Nur sie kann uns alle retten. Denn wir sind bedroht, schon seit langem.“
Ich begriff sogleich was Farah mit der Bedrohung meinte. Meine fahle Welt mit ihren Schatten, Mosaiken und Mauern war es, die den Wald bedrohte und es lag an mir mit meiner Stärke, welche meiner Welt ererbt war, diese mit der ihren in Frieden zu vereinen. Nun begriff ich, dass ich, hätte Farah mich nicht gewarnt, drauf und dran gewesen wäre, als Werkzeug der von ihr gefürchteten zerstörerischen Bedrohung zu wirken und nicht als Bote des Friedens zwischen beiden Mächten. Meine verstreuten Taschentücher waren keine weißen Flaggen der Verhandlungsbereitschaft, sondern Keimlinge der Leblosigkeit meiner Welt. Statt ihnen sollte ich die kreative Energie meines Ursprungs im Wald verbreiten. Und der Schlüssel dazu war die lebendige Liebe zwischen mir und der Frau. Und diese hatte ich fahrlässig in Gefahr gebracht.
So ging ich zur Frau, erflehte ihre Vergebung und erzählte ihr, was ich erkannt und wie mich Farah mit ihren Worten erhellt hatte. Und die Frau pries Farah, umschloß mich mit einem Blumenkranz ihrer bunten Liebe und meinte: „Es wird also doch endlich wieder alles gut.“
Doch was meinte sie mit „wieder“? Es standen doch viele Veränderungen bevor. Augenblicklich begann ich nun, mich geistig meiner neuen Bestimmung zu widmen. Endlich begann ich sie zu spüren, diese Kraft, die immer in mir geschlummert hatte, für die ich aber nie eine sinnstiftende Verwendung hatte. Ich wollte auch die Frau lehren, mit all ihrer Schöpfung und Fruchtbarkeit meiner Welt in Liebe zu begegnen, was nicht leicht war.
Bei dem Versuch ihren Lebensraum mit meinem zu verkuppeln sah ich mehr und mehr in Farah eine Schlüsselfigur. So begann ich mehr und mehr Zeit mit der Füchsin zu verbringen, was dieser nicht unangenehm war. Wir streiften durch die Wälder und philosophierten über den Frieden, über Erfüllung und Bestimmung, ersannen Strategien, schmiedeten Pläne oder guckten einfach bei mir zu Hause Filme aus meiner Video-Sammlung. Es war eine wundervolle Zeit, möglicherweise die glücklichste und erfüllteste meines bisherigen Lebens.
Als mir das eines Tages klar wurde erkannte ich, dass ich, obwohl ich mit der Frau zusammen lebte, mich doch in die Füchsin verliebt hatte. Doch darüber konnte ich mit der Frau nicht reden. Sie verstand mich nie. Aber mit Farah konnte ich darüber sprechen. Und als ich es tat, erfuhr ich, dass auch sie mich mittlerweile liebte. Es durchfuhr uns beide wie ein Blitz. Wir zerstoben in einer Explosion der Leidenschaft und wirbelten wie Staub durcheinander bis uns nichts mehr trennen konnte. Wir waren vereint, verschmolzen und verloren.
Plötzlich erfüllte uns unendliche Angst, was aus uns werden sollte. Wenn die Frau von unserer Liebe erführe, würde sie mich gewiß im Zorn endgültig des Waldes verweisen, und was würde dann aus unserer Aufgabe, unserer Bestimmung? Wären wir dazu verdammt in der Verbannung, in der Steinwüste meiner Welt unterzuschlüpfen, die mir mittlerweile bei längerem Aufenthalt das Gefühl gab, lebendig eingemauert zu sein? Ich konnte nicht mehr zurück. Die Frau konnte es ja, wenn sie ehrlich war, auch nicht mehr, aber sie würde, wie so oft, nicht in der Lage sein es zu erkennen. Sie würde mich fortjagen und ersetzen durch einen Spielkameraden, den sie sich wie eine Schmusepuppe aus den Splittern ihres Verlustes baute, um sich täglich an ihm zu zerschneiden.
Doch wir hatten keine andere Wahl. Wir mußten es ihr sagen. Wir mußten gemeinsam eine konstruktive Lösung finden. Es konnte die Frau ja auch nicht überraschen. So oft hatte sie in letzter Zeit meine Gedanken, Vorschläge und Gespräche zurückgewiesen. Sie hatte mich quasi in Farahs Pfoten getrieben. Und war Liebe nicht eine große Kraft? Und bedingten Kräfte für ihre Wirkung nicht stets eine ebenbürtige Gegenkraft? Konnte die Liebe der Frau dann überhaupt noch bestehen? Nein. Ihre Liebe mußte ebenso schon vergangen oder geschwächt sein wie die meine. Sie würde es verstehen. Sie würde sich freuen zu sehen, dass wir, Farah und ich, durch unsere Liebe trotz des Erkaltens ihrer und meiner Liebe zueinander, einen Weg gefunden hatten, unseren Traum vom Frieden unserer beider Welten fortzuführen. Und auch dafür liebten Farah und ich die Frau.
So traten wir gemeinsam vor sie und berichteten ihr freudig was geschehen war.
Doch was nun passierte, sprang mich an wie die Feuer der Hölle und versengte mein Antlitz für immer. Die Frau griff nach ihrem Zweiläufer, tötete Farah auf der Stelle mit einem Schuß und sagte kalt: „Wir haben zu viel Füchse diesen Sommer. Sie reißen sonst alle Hühner und Gänse.“ Dann blickte sie scharf in mein Entsetzen und sprach: „Was schaust du mich so an? Ich bin Wildhüterin. Das ist meine Aufgabe.“ Und ich sah drängelnde Tränen in ihren hasserfüllten Augen. Sie hasste nun sich und mich, uns beide - sich für ihre Liebe zu mir und mich für ihre Schuld, die sie auf sich geladen hatte. Farahs Tod hatte nichts mit Nahrungsbeschaffung und nichts mit Selbstverteidigung zu tun. Über einen guten Teil ihrer Seele war nun der stille allgegenwärtige Tod meiner steinernen Welt gekommen, hatte sie mit sich genommen und daraus einige weitere unsterbliche Mauern für sein Andenken gebaut. Was war aus unserer Bestimmung geworden? Unserer großen Aufgabe? Wir hatten jeder auf seine Weise versagt. Ich bildete mir ein, dass ich in diesem Moment alle ihre Empfindungen, all ihre Gedanken wahrnahm. In diesem Moment der größten Verzweiflung und der größten Niederlage spürten wir die stärkste Verbindung zwischen uns. Und wir realisierten beide, dass dieses Opfer nicht umsonst gewesen sein durfte. Jetzt, da wir unser Schicksal verraten hatten, erkannten wir, dass es alles war, was wir noch hatten, denn unsere Liebe füreinander besaßen wir nicht mehr. Ja, wir würden weiter kämpfen. Aber wir waren füreinander nur noch Quellen der Erfahrung, der Erinnerung, des Schmerzes und des Hasses.
„Ich will dich nicht töten“, sagte sie, „Aber noch größer als dieser Wille, ist meine Entschlossenheit, nicht noch einmal zu versagen. Ich gebe dir 30 Sekunden Vorsprung.“ Dann legte sie entschlossen ihre Flinte auf mich an. Ich begann zu rennen um mein Leben. Ich spürte, wie sie mich mit einigem Abstand verfolgte. Meine schwere Trauer bremste mich in meinem Lauf und nahm mir Kraft, doch ich hielt sie fest wie ein obszönes, entstelltes Relikt meiner vergangenen Liebe, deren altes Lächeln unwiederbringlich mit dem Blut Farahs verwischt und unter dem kalten Hass der Frau eingefroren war.
So begann meine Flucht – vor einpaar Stunden. Nun renne ich immer noch weiter und suche Schutz. Falls ich es schaffe, bis morgen den Wald zu verlassen, werde ich nicht mehr rennen. Ich denke, ich werde mich dann an die Arbeit machen - wie die Frau sicher ebenso. Ich denke, das hätte Farah gewiss auch gewollt. Es gibt ja so viel zu tun. Und es steht so viel auf dem Spiel.
(c) 2005 Gunter Scholtz
#2
von sEweil (gelöscht)
Der Wald
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 23.06.2005 17:11von sEweil (gelöscht)
Hallo Gerate Wohl.
So lang musstest du nun ausha(a)r(r)en bis mein Bart gewachsen ist, dabei bin ich gar nicht befähigt soviel Feedback zu geben, aber es war mir beim ersten Lesen ein Anliegen.
eine fabel-hafte Geschichte, die ich sehr interessant und auch ein Stück weit lustig zu lesen fand. Nur das schnelle Ableben der Füchsin war ein kurzer Einschnitt. Die Vermischung der Welten, ein in sich geschlossenes System, das nach Einwirken von Außen nie wieder so sein wird, wie zuvor.
Gesellschaftliches steckt darin und etwas Lehrhaftes, ein Beispiel.
Den Schluss find ich schön, es endet nicht, es ist erst der Anfang, sollte er es schaffen heil raus zu kommen, ein neuer Anfang für beide.
hui.
Lg sEweil.
So lang musstest du nun ausha(a)r(r)en bis mein Bart gewachsen ist, dabei bin ich gar nicht befähigt soviel Feedback zu geben, aber es war mir beim ersten Lesen ein Anliegen.
eine fabel-hafte Geschichte, die ich sehr interessant und auch ein Stück weit lustig zu lesen fand. Nur das schnelle Ableben der Füchsin war ein kurzer Einschnitt. Die Vermischung der Welten, ein in sich geschlossenes System, das nach Einwirken von Außen nie wieder so sein wird, wie zuvor.
Gesellschaftliches steckt darin und etwas Lehrhaftes, ein Beispiel.
Den Schluss find ich schön, es endet nicht, es ist erst der Anfang, sollte er es schaffen heil raus zu kommen, ein neuer Anfang für beide.
hui.
Lg sEweil.
#3
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Der Wald
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 24.06.2005 09:50von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
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