#1

Die dunkelste aller möglichen Zeiten

in Gesellschaft 18.09.2005 18:49
von Roderich (gelöscht)
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Die dunkelste aller möglichen Zeiten


Es war die dunkelste aller möglichen Zeiten:
Die Fahnen hielten wir flatternd über den Köpfen
und spieen unseren Leichtsinn auf die Gestade,
stets kampfeslustiges Schnauben, bereit zu streiten.

Es war die dunkelste aller möglichen Zeiten
Fanfarenklänge wie Donner schmetterten tosend
in alle Ecken hinab, wo wir uns versteckten
um uns auf jenes Gemetzel vorzubereiten.

Es war die dunkelste aller möglichen Zeiten,
und trunken blickten wir auf die tanzenden Zahlen.
Verklärtes Grinsen von Haien, allseits Getümmel
im Saal, weil Aktien ins Unendliche gleiten.

Es war die dunkelste aller möglichen Zeiten
als wir das Menschsein in Geld zu pressen versuchten
und wir die Hungernden unbekümmert vergaßen.
Doch stumm in unserem Schatten werden sie schreiten.


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#2

Die dunkelste aller möglichen Zeiten

in Gesellschaft 19.09.2005 08:38
von kein Name angegeben • ( Gast )
Hi Roderich,

diese Wiederholung gefällt mir irgendwie, hat auch was mystisches für mich.

Nur der letzte Satz birgt für mich ein Rätsel. Was genau möchtest du damit verkünden? Es ist doch eh schon dunkel, wie kann man da einen Schatten sehen?

Oki, ansonsten gefällt es mir, auch wenn ich den Krieg und alles Leid verabscheue. Das Gedicht wirkt jedoch nicht so erschütternd auf mich, sodass ich es mit mehr Abstand gut lesen und nachvollziehen konnte!

Lieben Gruß
Süßchen

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#3

Die dunkelste aller möglichen Zeiten

in Gesellschaft 19.09.2005 19:14
von Roderich (gelöscht)
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Hallo Süßchen,

vielen Dank für deinen Kommentar und dass es dir gefallen hat. Zum letzten Satz: Die "dunkelste" aller möglichen Zeiten ist nicht wörtlich zu nehmen, insofern kann es auch Schatten geben. Was ich in der letzten Zeile meine - gut, da muss ich noch ein wenig ausholen. Ich glaube, du hast mein Gedicht ein wenig missverstanden, da es sich hier nämlich nicht um ein Gedicht über den Krieg handelt. Die ersten beiden Strophen lassen diesen Eindruck entstehen, das ist richtig, aber in Strophe 3 beschreibe ich (oder versuche zu beschreiben) die soziale Ungerechtigkeit unserer Welt. Die kriegsähnlichen ersten Strophen dienen zur Verdeutlichung, dass von einem menschlichen Standpunkt aus betrachtet unsere Gesellschaft nicht viel besser ist als eine im Krieg. Nur spielt sich alles etwas subtiler, undurchsichtiger ab. Gerade die Armen und Hungernden haben keine Stimme, aber sie leiden. Zwischen 1958 und 1962 verhungerten in China geschätzte 50 Millionen Menschen unter der Devise des "Großen Sprunges nach vorne" von Mao. Und Mao schaffte es, den Tod von 50 Millionen Chinesen in Friedenszeiten zu vertuschen. Erst Mitte der 80er Jahre kamen Demographen drauf, als in der chinesischen Bevölkerungspyramide ein ungewöhnlicher Einschnitt, der eben auf die Verhungerten von damals zurückzuführen ist, zu bemerken war! Insofern auch meine letzte Zeile "Doch stumm in unserem Schatten werden sie schreiten": Wir hören die Leidenden nicht, wir sehen sie nicht (durch den Schatten verdeckt), aber sie sind unser ständiger Begleiter, unsere ewige Hypothek.

Natürlich bezieht sich das nicht nur auf Hungernde, sondern auf alle Menschen, die aufgrund sozialer Ungerechtigkeit zu leiden haben.

Ich hoffe, ich habe ein wenig Klarheit schaffen können.

Grüße

Thomas

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#4

Die dunkelste aller möglichen Zeiten

in Gesellschaft 19.09.2005 20:47
von kein Name angegeben • ( Gast )
Hi Roderich,

jetzt wo Du es so schreibst, ist es mir völlig einleuchtend erschienen!!! Hm, war heute Morgen wohl noch zu schlaftrunken, sonst hätte ich es sicherlich noch besser deuten können ...

Schönen Abend noch!

Gruß
Süßchen

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#5

Die dunkelste aller möglichen Zeiten

in Gesellschaft 20.09.2005 00:00
von sEweil (gelöscht)
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Hallo Roderich

Mir schien es wie ein Resume über das 20. Jahrhundert.

Die erste Strophe - erster Weltkrieg
Die zweite Strophe - 2. Weltkrieg
Dritte Strophe - Eine Änderung der Gesellschaft - Der Mensch weicht dem Geld - die vierte als großer Abschluss unseres Kapitalismuses.

Nur auch mit der letzten Strophe hatte ich meine Schwierigkeiten.

Soviel von mir um diese Zeit.

Lg sEweil.

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#6

Die dunkelste aller möglichen Zeiten

in Gesellschaft 20.09.2005 21:01
von Roderich (gelöscht)
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Hallo sEweil,

du hast Recht, man könnte das Gedicht auch als Resümee des 20. Jh. lesen. Das ist ein Aspekt, den ich beim Schreiben zwar nicht bedacht habe, der aber aus dem Gedicht hervor geht.

Ich danke dir fürs Gelese und deine Gedanken, die auch zu später Stunde nichts von ihrer Präzision eingebüßt haben.

Grüße

Thomas

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