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Jahrestag
Rauchfahnen schmettern
auf Halbmast gekürzte Leerzeilen
erstarrt sind Blumen und Kränze
mit Zehenspitzen zertreten
zu gedächtnisfreien Trauerrändern
aus Wasser und Staub
Mahnende Klangschatten
die Zeitzeichen entwerteter Erinnerung
der Verwundungen bis in die Brunnen
die ungeritzten Steine voll Schwerfurcht
als Wegweiser nach Nirgendwo
und abgefeilte Namenslisten leerer Widmung
fälschen Kalender für Gedächtnisrituale
Taube Stimmen rufen
die Aufführung ungespielter Rollen
die blassen Striche an der Wand
die eine durchsichtige Schrift verschluckt
wo sie das Fehlen von Vergangenheit
in Jetztzeit fraglos übertüncht
4/8/V + 11/1/VI
Es wird immer besser, jetzt ist es bereits übersichtlicher als vorher, aber dennoch etwas - überladen.
wie auch immer, frohes neues, Tom
Rauchfahnen schmettern
auf Halbmast gekürzte Leerzeilen
erstarrt sind Blumen und Kränze
mit Zehenspitzen zertreten
zu gedächtnisfreien Trauerrändern
aus Wasser und Staub
Mahnende Klangschatten
die Zeitzeichen entwerteter Erinnerung
der Verwundungen bis in die Brunnen
die ungeritzten Steine voll Schwerfurcht
als Wegweiser nach Nirgendwo
und abgefeilte Namenslisten leerer Widmung
fälschen Kalender für Gedächtnisrituale
Taube Stimmen rufen
die Aufführung ungespielter Rollen
die blassen Striche an der Wand
die eine durchsichtige Schrift verschluckt
wo sie das Fehlen von Vergangenheit
in Jetztzeit fraglos übertüncht
4/8/V + 11/1/VI
Es wird immer besser, jetzt ist es bereits übersichtlicher als vorher, aber dennoch etwas - überladen.
wie auch immer, frohes neues, Tom
Hallo Kedio,
ehrlich gesagt, stand ich bei deinem Gedicht zunächst wie der Ochs vorm Tore. Aber irgendwie hält mich das nicht davon ab, immer wieder dagegen zu rennen. Deinen Anmerkungen entnehme ich, dass es frühere Versionen gab, die du auch schon veröffentlicht hattest?
Unübersichtlichkeit in formaler Hinsicht würde ich dir nicht vorwerfen - auch wenn du keine Satzzeichen verwendest.
In der ersten Szene sehe ich eine Begräbnisszenerie bzw. eine Begräbnisstätte und die verrottenden Überreste der Feierlichkeiten. Letztlich ist dies aber kein Ort der Erinnerung, denn man tritt nicht über den “Trauerrand”, hält sich auf Distanz und lässt sich nicht wirklich davon tangieren. Es könnte sich um ein (Kriegs-)Denkmahl handeln und die x-te Jahres-Gedächtnis-Feier. Dieses Ereignis dient aber zu guter letzt nur dazu, die Vergangenheit zu verfälschen, also zu übertünchen und da niemand bereit ist, sich die Geschehenisse der Vergangenheit wirklich zu vergegenwärtigen, bleiben die Rituale inhaltsleer..
Es gibt einige Formulierungen bei denen ich wirklich Kopfschmerzen kriege z.b. “auf Halbmast gekürzte Leerstellen”, “Verwundungen bis in die Brunnen”, “ungeritzte Steine voll Schwerfurcht”, wobei “Schwerfurcht“ eine Wortschöpfung sein müsste, wie “Trauerränder“, die besagt, dass die als Mahnmal dastehenden Steine eben auch Furcht bergen - auch vor echter Auseinandersetzung? Und die deswegen nicht als Richtungsweiser dienen, da niemand eine Lehre aus ihrem Dastehen zieht.
Die “Aufführung ungespielter Rollen” könnte ebenfalls ein Hinweis auf Verfälschung sein, dass man eben versucht das Geschehene rituell nachzustellen, es aber verfehlt. Es dient alles dazu, den Anschein zu wahren und den Mangel an Echtheit oder Authentizität zu verbergen.
Ok, vielleicht habe ich die Tür doch noch eingerannt..
Es würde mich noch interessieren, ob dein Gedicht generell Kritik übt an Denkmählern und Gedächntisfeiern oder ob es um die Art, wie solche durchgeführt werden, geht...
Liebe Grüße,
Motte
ehrlich gesagt, stand ich bei deinem Gedicht zunächst wie der Ochs vorm Tore. Aber irgendwie hält mich das nicht davon ab, immer wieder dagegen zu rennen. Deinen Anmerkungen entnehme ich, dass es frühere Versionen gab, die du auch schon veröffentlicht hattest?
Unübersichtlichkeit in formaler Hinsicht würde ich dir nicht vorwerfen - auch wenn du keine Satzzeichen verwendest.
In der ersten Szene sehe ich eine Begräbnisszenerie bzw. eine Begräbnisstätte und die verrottenden Überreste der Feierlichkeiten. Letztlich ist dies aber kein Ort der Erinnerung, denn man tritt nicht über den “Trauerrand”, hält sich auf Distanz und lässt sich nicht wirklich davon tangieren. Es könnte sich um ein (Kriegs-)Denkmahl handeln und die x-te Jahres-Gedächtnis-Feier. Dieses Ereignis dient aber zu guter letzt nur dazu, die Vergangenheit zu verfälschen, also zu übertünchen und da niemand bereit ist, sich die Geschehenisse der Vergangenheit wirklich zu vergegenwärtigen, bleiben die Rituale inhaltsleer..
Es gibt einige Formulierungen bei denen ich wirklich Kopfschmerzen kriege z.b. “auf Halbmast gekürzte Leerstellen”, “Verwundungen bis in die Brunnen”, “ungeritzte Steine voll Schwerfurcht”, wobei “Schwerfurcht“ eine Wortschöpfung sein müsste, wie “Trauerränder“, die besagt, dass die als Mahnmal dastehenden Steine eben auch Furcht bergen - auch vor echter Auseinandersetzung? Und die deswegen nicht als Richtungsweiser dienen, da niemand eine Lehre aus ihrem Dastehen zieht.
Die “Aufführung ungespielter Rollen” könnte ebenfalls ein Hinweis auf Verfälschung sein, dass man eben versucht das Geschehene rituell nachzustellen, es aber verfehlt. Es dient alles dazu, den Anschein zu wahren und den Mangel an Echtheit oder Authentizität zu verbergen.
Ok, vielleicht habe ich die Tür doch noch eingerannt..
Es würde mich noch interessieren, ob dein Gedicht generell Kritik übt an Denkmählern und Gedächntisfeiern oder ob es um die Art, wie solche durchgeführt werden, geht...
Liebe Grüße,
Motte
Also: Erstmal herzlich Dank für deinen Kommentar.
Meistens schreibe ich meine Gedichte so, dass ich nicht im Voraus genau weiß, um was sie sich drehen - das ergibt sich meist durch die Bilder und Eindrücke, die ich darin verwende.
Aber das hier ist anderes:
Es soll von den Jahrestagen handeln, die man nicht begeht, weil die wichtigen Ereignisse, an die sie erinnern könnten, nie geschehen sind, sich nie ereignet haben.
Die Siege, die man nicht errungen hat, die Liebe, die man nicht verwirklicht hat, den Mut, den man nicht aufgebracht, sondern lieber den Mund gehalten hat.
Es ist eine surreale Idee eines Gedenktags, der daran erinnert, was nicht passierte - oder vielmehr nicht adaran erinnert. Ein Vergessenstag also.
Nun steht das aber ja nicht unbedingt in dem Text drin.
Und vielleicht sind die Blumen und Kränze, das Wasser und der Staub noch zu real, als dass sie von der Nichtexistenz erzählen könnten.
Als "Trauerrand" bezeichnet man einen schwarzen Rahmen um ein Bild von einem Verstorbenen o.ä., auch auf Briefmarken, deren Zähne dann nicht weiß, sondern schwarz bedruckt sind. Ist in sofern keine Neuschöpfung.
Dass die Leerzeilen von Rauchfahnen geschmettert werden, und zwar auf Halbmast gekürzt, gehört zu den surrealen Verfremdungen, ich kann zwar die Wörter einander zuordnen, aber das wird wohl keine Erklärung liefern - es sind unterschiedliche Sinneswahrnehmungen und eigenschaffeten, die nur begrenzt zusammenpassen, aber zusammen einen Eindruck geben sollen.
hm. Alles weitere ergibt sich aus der zugrundegelegten Intention. Und macht vielleicht dennoch zu viel Worte für etwas, das nicht erinnert, und zwar an nichts.
Nochmals: Danke für deinen Kommentar.
Ich muss, glaube ich, über diesen Text nochmal nachdenken.
Grüße, Tom
Meistens schreibe ich meine Gedichte so, dass ich nicht im Voraus genau weiß, um was sie sich drehen - das ergibt sich meist durch die Bilder und Eindrücke, die ich darin verwende.
Aber das hier ist anderes:
Es soll von den Jahrestagen handeln, die man nicht begeht, weil die wichtigen Ereignisse, an die sie erinnern könnten, nie geschehen sind, sich nie ereignet haben.
Die Siege, die man nicht errungen hat, die Liebe, die man nicht verwirklicht hat, den Mut, den man nicht aufgebracht, sondern lieber den Mund gehalten hat.
Es ist eine surreale Idee eines Gedenktags, der daran erinnert, was nicht passierte - oder vielmehr nicht adaran erinnert. Ein Vergessenstag also.
Nun steht das aber ja nicht unbedingt in dem Text drin.
Und vielleicht sind die Blumen und Kränze, das Wasser und der Staub noch zu real, als dass sie von der Nichtexistenz erzählen könnten.
Als "Trauerrand" bezeichnet man einen schwarzen Rahmen um ein Bild von einem Verstorbenen o.ä., auch auf Briefmarken, deren Zähne dann nicht weiß, sondern schwarz bedruckt sind. Ist in sofern keine Neuschöpfung.
Dass die Leerzeilen von Rauchfahnen geschmettert werden, und zwar auf Halbmast gekürzt, gehört zu den surrealen Verfremdungen, ich kann zwar die Wörter einander zuordnen, aber das wird wohl keine Erklärung liefern - es sind unterschiedliche Sinneswahrnehmungen und eigenschaffeten, die nur begrenzt zusammenpassen, aber zusammen einen Eindruck geben sollen.
hm. Alles weitere ergibt sich aus der zugrundegelegten Intention. Und macht vielleicht dennoch zu viel Worte für etwas, das nicht erinnert, und zwar an nichts.
Nochmals: Danke für deinen Kommentar.
Ich muss, glaube ich, über diesen Text nochmal nachdenken.
Grüße, Tom
Hallo Tom,
irritierend an deiner Deutungsweise ist nur, dass der Jahrestag tatsächlich mit Blumen und Kränzen begangen wird. Ich verstehe jetzt, worauf die Leerstellen und die “gedächtnisfreien Trauerränder” hindeuten sollen. Aber da man eher darauf kommt, etwas zu betrauern, dass gewesen und vorbei ist, als etwas, das niemals gewesen ist.. führt ein diese Bild auf die falsche Fährte.
Es ist ja auch nicht das schlechteste, wenn der Text eine weitere Deutungsmöglichkeit eröffnet, aber es werden da halt einige der Bilder “aktiviert” und vor anderen bleibt man ratlos, weil sie die Deutung nicht wirklich ergänzen. Mit den “Leerstellen” konnt ich erst was anfangen, nachdem ich deine Antwort gelesen hatte.
Aber ich muss sagen, dass mich deine Zeilen faszinierten, wohl gerade wegen der Verfremdungen, die wie eine Art “Zugangssperre” wirken, aber einem doch irgendwie weismachen, dass es einen Durchlass gibt... gerade weil da etwas nicht so ganz zusammenpasst.
Naja, bevor meine Ausführungen zu esoterisch werden..
Liebe Grüße, Motte
#5
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Jahrestag
in Düsteres und Trübsinniges 19.01.2006 09:08von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hi Tom,
Deiner Gedanken kann man im Text folgen, wenn man Deine nachfolgenden Ausführungen gelesen hat. Ich glaube, ansonsten wäre mir zumindest das nicht gelungen. Dummerweise habe ich Deine Erläuterungen schon gelesen und zudem zu wenig Zeit, mich eingehend mit Deinem Gedicht zu beschäftigen - und ich glaube, da bräuchte man ein Weilchen, um die zahlreichen Metaphern zu entschlüsseln. Ob der dann entschlüsselte Text dann noch mit Deiner Intention harmoniert, mag dahingestellt bleiben. Wobei das ja auch egal ist, wenn man sich zumindest eine stimmige Lesart erarbeiten kann...
Meine erste Assoziation gingen auch eher in die Richtung Opfer- oder Kriegstotengedenkstätte. Die "schwerfürchtigen" (schönes Wort) Steine ließen mich an das Holocaustdenkmal in Berlin denken und ich fragte mich, ob in dem Gedicht die Scheinheiligkeit solcher Gedenkstätten und -tage hinterfragt wird. Natürlich werden die Fahnen auf Halbmast gesetzt, Kränze niedergelegt etc. pp., aber eigentlich sind das nur noch leere Gesten ohne wirkliches Gedenken. Deshalb sind die Trauerränder gedächtnisfrei und Leerzeichen finden sich an den Masten...
Allerdings funktionierte diese Deutung nur zum Teil, weil die verschiedenen Bilder nicht recht zusammenpassten. Zwar schien es in allen um Trauer und Gedenken zu gehen, aber zT persönliche, zT gesellschaftliche Situationen widerzuspiegeln. Mit dem von Dir gelieferten Hintergrundwissen macht das Sinn, mir blieb das unverständlich.
Ist aber ein interessantes Gedicht mit einigen schönen, zu Interpretationen einladenen Formulierungen, gern gelesen,
Don
Deiner Gedanken kann man im Text folgen, wenn man Deine nachfolgenden Ausführungen gelesen hat. Ich glaube, ansonsten wäre mir zumindest das nicht gelungen. Dummerweise habe ich Deine Erläuterungen schon gelesen und zudem zu wenig Zeit, mich eingehend mit Deinem Gedicht zu beschäftigen - und ich glaube, da bräuchte man ein Weilchen, um die zahlreichen Metaphern zu entschlüsseln. Ob der dann entschlüsselte Text dann noch mit Deiner Intention harmoniert, mag dahingestellt bleiben. Wobei das ja auch egal ist, wenn man sich zumindest eine stimmige Lesart erarbeiten kann...
Meine erste Assoziation gingen auch eher in die Richtung Opfer- oder Kriegstotengedenkstätte. Die "schwerfürchtigen" (schönes Wort) Steine ließen mich an das Holocaustdenkmal in Berlin denken und ich fragte mich, ob in dem Gedicht die Scheinheiligkeit solcher Gedenkstätten und -tage hinterfragt wird. Natürlich werden die Fahnen auf Halbmast gesetzt, Kränze niedergelegt etc. pp., aber eigentlich sind das nur noch leere Gesten ohne wirkliches Gedenken. Deshalb sind die Trauerränder gedächtnisfrei und Leerzeichen finden sich an den Masten...
Allerdings funktionierte diese Deutung nur zum Teil, weil die verschiedenen Bilder nicht recht zusammenpassten. Zwar schien es in allen um Trauer und Gedenken zu gehen, aber zT persönliche, zT gesellschaftliche Situationen widerzuspiegeln. Mit dem von Dir gelieferten Hintergrundwissen macht das Sinn, mir blieb das unverständlich.
Ist aber ein interessantes Gedicht mit einigen schönen, zu Interpretationen einladenen Formulierungen, gern gelesen,
Don
Hi Don,
Normalerweise gebe ich nix auf Intention.
Und normalerweise versuche ich dann auch nicht, meine Texte an einer Textaussage auszurichten - sondern nur meine Bilder stimmig zu halten.
Naja. Das das rituelle Gedenken total fürn Hintern ist, stellt für mich kein gutes Ergebnis des textes dar.
Muss doch nochmal zurück ans Reißbrett.
Vielen Dank für deinen kommentar
Grüße, Tom
Normalerweise gebe ich nix auf Intention.
Und normalerweise versuche ich dann auch nicht, meine Texte an einer Textaussage auszurichten - sondern nur meine Bilder stimmig zu halten.
Naja. Das das rituelle Gedenken total fürn Hintern ist, stellt für mich kein gutes Ergebnis des textes dar.
Muss doch nochmal zurück ans Reißbrett.
Vielen Dank für deinen kommentar
Grüße, Tom
Entwurf 4
So. Noch etwas mehr entrümpelt.
Dass es mir immer noch sehr ausgeschmückt vorkommt,
hängt an den vielen Adjektiven, aber die lassen sich nicht wegsäbeln.
Na, was solls.
Grüße, Tom
Zitat: |
Jahrestag Rauchfahnen schmettern auf Halbmast gekürzte Leerzeilen abgetragen sind die Wortschleier die Phrasenkränze vertreten zu Trauerrändern, gedächtnisfrei in erstickten Atempausen Mahnende Klangschatten ungeritzte Steine voll Schwerfurcht als Wegweiser nach Nirgendwo linieren abgefeilte Namenslisten für verweigerte Kalendertage mit öffentlich leerer Widmung Nebelstimmen schildern die Aufführung ungespielter Rollen mit blassen Strichen an der Wand von durchsichtiger Schrift verschluckt wo sie das Fehlen von Vergangenheit beinahe fraglos übertüncht 20/01/VI |
So. Noch etwas mehr entrümpelt.
Dass es mir immer noch sehr ausgeschmückt vorkommt,
hängt an den vielen Adjektiven, aber die lassen sich nicht wegsäbeln.
Na, was solls.
Grüße, Tom
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