#1

Mistral

in Düsteres und Trübsinniges 03.02.2006 15:29
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte


    Mistral


    das Tor war immer auf
    es lag an dir es zuzuschliessen
    doch durch die Winde fortgetrieben
    blieb nur ein alter Wisch
    auf dem die Lettern kranken

    das Tor war immer zu
    verständlich dass die Angeln rosten
    die Stürme haben sich gelegt
    und an den bleichen Pfosten
    verhungern meine Ranken



    (c) Margot S. Baumann

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#2

Mistral

in Düsteres und Trübsinniges 03.02.2006 16:27
von Motte (gelöscht)
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Hallo Margot,

mal zur Abwechlung ein zweistrophiges?
Sehr gelungen finde ich, dass du das Bild, das sich durch beide Strophe zieht, durchhälst und dass es stimmig bleibt.
Irritierend beim ersten Lesen war sicherlich, dass das Tor gleichzeitig offen und geschlossen sein soll - wie geht das? Aber da sich sinnmäßig bestimmt etwas dahinter verbergen musste, habe ich mir folgendes überlegt:
Das Tor steht für die Verbindung zwischen zwei Menschen. In der ersten Strophe strömen durch das offenstehende Tor aber nur kalte Winde (hab „Ministral“ nachgeschlagen: kalter Nordwestwind). Im emotinalen Austausch werden also nur „kalte“ Gefühle vermittelt, das Ich und das Du gehen herablassend, unfreundlich miteinander um. Der Wind steht aber schon dafür, dass etwas zwischen beiden passiert, es ist windig, gar stürmisch, geht hoch her... das könnte Ärger und Auseinandersetzung bedeuten. Die „kranken Lettern“ stehen für misslungene Kommunikation, vielleicht auch für einen Stillstand im Gespräch, da der „Wisch“ alt ist. Ich sehe bezogen auf das „krangen“ verwitterte, verflossene Buchstaben.

Die zweite Strophe beschreibt den Zustand ähnlich, nur dass hier das Tor geschlossen ist und es überhaupt keine Verbindung mehr gibt. Da es nie eine positive Verbindung gab, schließen sich die Bilder vom offenen und das geschlossenen Tor nicht aus. Die hungernden Ranken des lyrIch zeigen den Mangel an Nähe und Wärme an, sie sind nicht gehegt, bewässert worden und ohne Zuweundung von Seiten des lyrDu geblieben..

Jetzt, wo ich mir selbst erklärt habe, was ich darin sehe, leuchtet es mir noch besser ein. Ja, gefällt mir! Nur weiß ich nicht so richtig, wo das lyrIch und Du in dem Gedicht eigentlich sind. In S1/Z2 taucht das Du auf, das für das Schließen des Tores verantwortlich wäre. Wieso das so ist, ist mir nicht klar.. gibt da wahrscheinlich viele Möglichkeiten. Und das Ich taucht nur in den Ranken auf...

Zur Form: Die jeweils letzten Verse reimen sich und in der zweiten Strophe auch Vers zwei und vier. Vielleicht solltest du das in der ersten angleichen..

Liebe Grüße,
Motte

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#3

Mistral

in Düsteres und Trübsinniges 03.02.2006 16:33
von Gemini • Long Dong Silver | 3.094 Beiträge | 3130 Punkte
Ha, genau das ist es aber, was dieses Gedicht sehr lebendig erscheinen lässt und ihm einen melancholischen Touch gibt! Für meine Begriffe.
Das Gedicht besagt, dass das Lyri vorher aufgeschlossen und glücklich war. Erst als das Lyrdu die Türe schloss, verwelkte die Blume langsam.

Sehr schönes Gedicht. Sehr schöner Titel.

LG Gem


edit: Der Brief soll besagen, dass das Lyrdu dann gegangen ist und das Lyri alleine in der Einsamkeit zurückließ.

Oder..ne?

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#4

Mistral

in Düsteres und Trübsinniges 03.02.2006 17:23
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Hallo Margot!

Natürlich gefällt einem das, du verstehst ja dein Handwerk. Besonders angesprochen hat mich, dass du hier mehr spielst, als sonst und dir auch mehr Freiheiten gestattest. Das bekommt der Sache formal und klanglich gut und hebt sie neben der unprätentiösen Sprache aus der Gefahr der Weinerlichkeit souverän heraus.

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Reimschema: A-B-B2-C-D E-F-G-F-D

Die Geschichte ist schon bitter, beschreibt sie doch das Scheitern einer Nicht-Beziehung. Hie das lyr. Ich, immer offen für diese Beziehung, drüben das lyr. Du, das eigentlich immer verschlossen war und diese Verschlossenheit lag auch offen (schriftlich?) zutage, doch ging dem lyr. Ich diese Botschaft bei der stürmischen Begegnung der beiden offenbar verloren. Dieser alte Wisch symbolisiert irgend eine Verpflichtung des lyr. Du, an der dieser eigentlich krankt, jedoch nicht lassen kann. daher war dessen Tor an sich immer zu und das lyr. Ich signalisiert sogar Verständnis, dass es jetzt zu spät ist, daran etwas zu ändern, die Angeln sind eingerostet. Nun haben sich die Stürme zwangsläufig gelegt und die finale Enttäuschung lässt alles Ranken verhungern.

Sehr traurig, keine Frage. Ebenso fraglos wunderbar dargestellt, wenn ich auch zugeben muss, dass ich an der ersten Strophe extrem knacken musste, um es konsistent in ein Bild hinein zu bekommen. Dieser von den Winden fortgetriebene Wisch ist geeignet, einen selbst fortzutreiben. Aber das soll keinen Mangel bezeichnen, mir gefällt es in meiner Interpretation ausnehmend gut.

Nicht gefallen will mir der dämliche Mistral, denn der weht wirklich nur in eine Richtung und so ganz kann das (zumindest in meiner Deutung) nicht angehen und ist zudem eiskalt bzw. geeignet, es ganz gewaltig abkühlen zu lassen. Das trifft ganz sicher die jetzige Situation aber doch nicht den geeigneten Wind, um diesen Wisch und die beiden Protagonisten forttreiben zu lassen.

Insofern ist der Titel zwar interessant und erfüllt auch seinen Door-Opener-Effekt, richtig anfreunden kann ich mich aber nicht. Ansonsten aber sehr. Respekt.

DG
Mattes

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#5

Mistral

in Düsteres und Trübsinniges 03.02.2006 18:01
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Leute

Vielen Dank für die Interpretationen und die Kommentare. Es freut mich natürlich, dass auch mal etwas Untypisches von mir gefällt. Ihr habt sehr gut erkannt, was ich ausdrücken wollte. Natürlich geht’s (wie könnte es auch anders sein ) um eine gescheiterte Beziehung. Von falschen Erwartungen, Enttäuschungen, Resignation ... etc. etc. Ich muss das ja gar nicht mehr gross ausführen.

Zum Titel. Ich weiss nicht, ob ihr den Mistral je am eigenen Körper erlebt habt. Es ist ein unheimlicher Wind, der die Menschen ganz kirre macht. Ich habe ihn ein paar Mal erlebt und man muss sich vor ihm in Acht nehmen..... wirklich, auch wenn’s etwas pathetisch klingt. Ich fand daher, er würde bestens als Titel und auch als Bild für diese Zeilen passen. Natürlich ist’s auch ein Aufhänger, ganz klar.

Zu den Reimen und dem Aufbau. Ich hatte – man möge mich dafür schlagen – kein Konzept, als ich diesen Text schrieb. Er floss heraus und die Reime sind eher zufällig entstanden. Natürlich bin ich, als alte Reimerin, vorbelastet und es ist mir manchmal gar nicht mehr möglich, nicht zu reimen. Ich möchte dem Text die Spontanität aber lassen und (@ Motte) daher auch das „Reimschema“ nicht anpassen.

Danke nochmals.
Liebe Grüsse
Margot

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#6

Mistral

in Düsteres und Trübsinniges 03.02.2006 23:51
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
Auch ich will nicht versäumen meinen unwesentlichen Beitrag zu leisten.
Also der Mistral ist ein Teufelswind (Mittelmeerwind ablandig aus Nordwest bis Nordost im Seegebiet zwischen den Balearen und Korsika z.T. verstärkt durch den Düseneffekt des Rhonetals), der urplötzlich von Land , mit grosser Geschwindigkeit auf das Mittelmeer hinunterfährt. Er ist schon so manchem Segler zum Verhängnis geworden.
Zum Inhalt, nun der hat auch etwas davon Das Schema ganz erfrischend unreimisch aber alles wie gewohnt, gekonnt.(und das Grundthema auch )
Gruss
Knud

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#7

Mistral

in Düsteres und Trübsinniges 04.02.2006 13:18
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Knud

Ah sieh, der Fachmann spricht. Gell, das "Lüftchen" hat's in sich.
Danke für den Kommentar. Ich weiss, meine lyr. Protagonisten sind halt recht oft so arme Schweine....

Gruss
Margot

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