#1

Umbau bei laufendem Betrieb

in Philosophisches und Grübeleien 30.03.2006 10:25
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Umbau bei laufendem Betrieb

Mein Ich besteht aus Konstruktionen,
von denen keine länger stehen blieb.
Wie soll man auch in einer Durchfahrt wohnen?
Ich bau den Bahnhof um bei laufendem Betrieb.

Nur: mich durchrauschen keine Züge.
Kein Stahlbeton spannt meinen wirren Geist.
Was ich in Bilder fasse, ist schon eine Lüge.
Ich bin zugleich ein Haus, ein Zug und der, der reist.

So schnell, wie die Geschichten wechseln,
so fest verschnüre ich mich im Korsett.
Ich will die Flüchtigkeit in Sprache drechseln,
zwäng den Bewusstseinsstrom in ein Sonett.

Selbst wenn ich Klartext rede oder einfach schweige,
im lautesten Verkehr hör ich noch eine Geige.


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#2

Umbau bei laufendem Betrieb

in Philosophisches und Grübeleien 31.03.2006 16:57
von kein Name angegeben • ( Gast )
Wie schön... Ein Gedicht nach englischem Vorbild. Gefällt mir ganz gut. Die erten zwei Strophen gefallen mir sehr gut. Du beschreibst hier einen Menschen, der einfach keinen Halt in seinem Leben findet. Das Leben rauscht nur so an ihm vorbei, und er kommt eher schlecht als recht hinterher. Deswegen will er sich "umbauen".
Die letzten beiden Verse der dritten Strophe finde ich etwas unpassend. Was ist denn nun mit dem Umbau? Er will doch sich umbauen, nicht die Sprache, oder? Oder hab ich das jetzt falsch verstanden? Das Gedicht kommt mir dadurch irgendwie zweigeteilt vor.
Trotzdem: gutes Gedicht
Man liest sich...Kermit

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#3

Umbau bei laufendem Betrieb

in Philosophisches und Grübeleien 31.03.2006 19:16
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Hi Kermit, wie schön, dass du mein Gedicht schön findest. Deiner Deutung kann ich leider nicht ganz zustimmen, weil dann der Schluß keinen rechten Sinn macht. "Ich" spricht hier nämlich nicht von einem speziellen haltlosen Individuum. sondern von jedem Ich. Soll heißen, etwas überspitzt: Jedes Ich ist eine Lüge. Das Ich konstruiert sich immer wieder neu, richtet sich immer wieder in seinem Gedankengebäude ein, in meinem Bild: in einem "Bahnhof", und selbst dieser "Bahnhof" ist als Bild schon wieder eine haltlose Konstruktion...

Ich ist viel flüchtiger als es sich einredet, und wir Schreiber lügen uns besonders raffiniert was in die Tasche...

Das ist nicht moralisch gemeint, weil diese Art von Filtern und Konstruieren menschengemäß ist und lebensnotwendig und auch schön. Aber Ich wollte mich einfach noch mal daran erinnern, bevor ich wieder mal auf den Reim gehe...

Ich hoffe, das ist es jetzt etwas verständlicher ...

Grüße, Ulli

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