#1

Spiegel

in Diverse 30.04.2006 16:15
von Krabü2 (gelöscht)
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spiegel

ich sehe dich
aufgesplittert
mit dreck am stecken
gelöst und frei
glasfasernerven
rüde und grausam

ich sehe sie, die
schulterflügel
bleifüße, heute
trägst du wieder
grauen schleier
mein kleines schwarzes
loch im kaleidoskop

schnurrend zerkratze
ich dir das gesicht
liebeäugele
bewundere dich
mit abscheu
deine fellweichen
giftstacheln und
wie du mir das blut
von der seele leckst
mit der rasierklinge
auf der zungenspitze

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#2

Spiegel

in Diverse 16.07.2006 13:57
von Maya (gelöscht)
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Hi Uschi,

ich frage mich, ob das Du im Gedicht das gespiegelte Ich oder tatsächlich eine andere Person ist. Geht das lyrIch hier mit sich selbst hart ins Gericht? Jedenfalls verstehe ich das so, denn der Titel „spiegel“ scheint ja darauf hinzuweisen.

ich sehe dich
aufgesplittert
mit dreck am stecken
gelöst und frei
glasfasernerven
rüde und grausam


Selbstanalyse. Man tritt gedanklich vor den Spiegel und schaut dem Selbst in die Tiefe. Was das Ich erblickt, scheint nicht so berauschend zu sein, es hat „dreck am stecken“. Die Glasfasernerven spiegeln das in aller Deutlichkeit gnadenlos wider („rüde und grausam“).

ich sehe sie, die
schulterflügel
bleifüße, heute
trägst du wieder
grauen schleier
mein kleines schwarzes
loch im kaleidoskop


Die Schulterflügel sind Bleifüßen gewichen. Ich deute das im Zusammenhang mit Dreck am Stecken haben aus der ersten Strophe. Durch irgendeine Handlungsweise ist aus dem Engel (Schulterflügel) ein Mensch geworden, der sich selbst Ketten angelegt und zu Boden gerissen wurde. Den begangenen Fehler versucht das Ich zu vertuschen, indem es sich einen „grauen schleier“ überwirft. Die Zeilen mit dem Kaleidoskop gefallen mir, sie sagen wohl aus, dass die lebendigen, bunten Bilder, die mal vorhanden waren, einem Schwarz (seelisch?) gewichen sind. Vielleicht schwärzen Selbstvorwürfe das einst bunte Leben und berauben ihm Kraft.

schnurrend zerkratze
ich dir das gesicht
liebeäugele
bewundere dich
mit abscheu
deine fellweichen
giftstacheln und
wie du mir das blut
von der seele leckst
mit der rasierklinge
auf der zungenspitze


Das Schnurren assoziiere ich sogleich mit einer Katze. Irgendwie finde ich aber, dass dieser animalische Aspekt nicht so gut zum Vorherigen passt. Na, egal. Jedenfalls versucht das Ich, seine Vergangenheit (wo es den Fehler gemacht hat) auszulöschen, sich diese Tat vom Gesicht oder aus der Seele zu kratzen, weil das schlechte Gewissen es eventuell in seiner Lebendigkeit beschränkt. Aber warum dann die Bewunderung? Irgendwie passt das nicht – und ich fürchte, dass ich die Zeilen irgendwie fernab Deiner Intention verstehe. Ist „liebeäugele“ bewusst mit *e* geschrieben? Gerade die letzte Strophe scheint doch Indiz dafür, dass hier von einem wirklichen Du die Rede ist. Es ist schwer, help me .

LG, Maya

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