#1

Fremde

in Düsteres und Trübsinniges 20.06.2006 17:02
von Fabian Probst (gelöscht)
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Da ist ein Sprung in deinem Lächeln,
der mich unglaublich irritiert.
Und jedes Streicheln meiner Seele
wirkt statisch, automatisiert.

Als wär’ auf unserm Bild - zerbrochen -
ein nicht mehr auswaschbarer Klecks.
All deine Gesten - abgesprochen -
sie treffen mich wie ein Reflex.

Sogar dein Blick scheint wie gemauert,
um die Pupille ohne Glanz.
Als hätt’st du schon am Grab getrauert,
führst du mich nun zum letzten Tanz.

Entfremdet sehe ich erschrocken
nur noch Konturen jener Schatten,
die kalt du hinwirfst, wie die Brocken
der fernen Zukunft, die wir hatten.

Lass mich jetzt los, bevor ich sterbe,
die Un-Gewohnheit bringt mich um.
Und bring ich dich auch um dein Erbe,
schrei ich doch lieber laut als stumm.

Schließ diese Tür und alle Fenster,
wenn du dann gehst, blick nicht zurück.
Nimm sie nur mit, die Nachtgespenster,
sie leiten dich ein letztes Stück.


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#2

Fremde

in Düsteres und Trübsinniges 21.06.2006 13:16
von Motte (gelöscht)
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Hallo Fabian,

obwohl das Thema sicher eines der meist beschriebenen ist: Entfremdung, Beziehungsende, Loslösung, Abschied, haben mich deine Verse gleich in der ersten Strophe abgeholt und mitgenommen - Und ich finde, dass darin auch ihre Stärke liegt, weil man es dann auch lesen will. Denn im Gedicht tauchen immer wieder Bilder auf, die man so schon kennt und ich muss zugeben, dass ich beim Lesen nach solchen Mustern Ausschau gehalten habe, nach Ähnlichkeiten und “stereotypen“ Formulierungen. Aber irgendwie hälst du erstaunlich die Balance und gleitest nicht in diese Muster ab, wenn es auch das gesprungene Lächeln, das statische Steicheln, das zerbrochene Bild woanders schon tausendmal gegeben hat. (Es ist vielleicht nicht ganz fair dir das anzukreiden, denn diese Bilder werden ja nicht umsonst, eben ihrer Ausdrucksstärke wegen, so viel verwendet.)
Aber es passiert nicht, weil sich die Bilder in neuen Kombinationen zusammenfügen und doch sehr überlegt gewählt erscheinen, um diese bestimmte Trennungssituation zu beschreiben.
Wie mit den Bildern, so ist es auch mit der Grundstimmung: das lyrI beschreibt aus seiner Perspektive wie es das Entfremdetsein wahrnimmt und gerät in Zugzwang, sich aus dieser Situation - und auch der Athmosphäre - zu befreien... Ein bekanntes, durch Gedichte oft vermittelte Stimmung. Aber deines schafft es wirklich mit großer Intensität! Das liegt auch daran, dass das lyrI sehr bewusst wahrnimmt, reflektiert wirkt und gleichzeitig oder gerade deswegen mit dieser schwer lösbaren Notsituation umgehen muss.
Mir gefallen besonders auch Wendungen wie “Un-Gewohnheit”, die dem Ganzen noch eine größere Dimension gibt, weil sie besagt, dass garnicht die Gewohnheit Schuld trägt, sondern eine Beklemmung und Fremdheit, die sich entwickelt hat und alles andere als gewöhnlich ist.
Tja, und zur Form muss ich nix sagen: sauber, passend, rund, geschlossen.

Ein starkes Gedicht, das sich wohl gegen alle anderen seiner Art behaupten kann!

Liebe Grüße,
Motte


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#3

Fremde

in Düsteres und Trübsinniges 22.06.2006 10:07
von Fabian Probst (gelöscht)
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Vielen Dank für den nettten Kommentar.

Es ist wirklich nicht leicht, dieses Thema zu beschreiben, denn natürlich dreht es sich meistens um dieselben Muster und Mechanismen, die zu so einem Bruch führen.
Die Pararmeter für gefühlte Gleichgültigkeit sind eben in der Regel dieselben.

Schön, wenn es mir einigermaßen gelungen sein sollte.

Hat mich gefreut.

lg,Fabian

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#4

Fremde

in Düsteres und Trübsinniges 01.07.2006 14:23
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Fabian

Ja, das gefällt mir auch…. erinnert mich etwas an den Grönemeyer-Song ‚Gib mir mein Herz zurück …’. Über den Inhalt hat sich Motte ja schon geäussert, da muss ich nichts mehr anfügen. Ich stürze mich also auf das Formale … *g
Für meinen (persönlichen) Geschmack ist es zu lang. So zwei Str. könnte man da, ohne Probleme, weglassen und die Aussage bestünde weiter. Ich weiss, das schmerzt und du musst es ja auch nicht tun, aber es wäre sicher eine Überlegung wert. In Str. 5 fällt das zweimalige bringt/bring etwas unangenehm auf.
Ich wage mich auf Äste hinaus, wenn ich die Zeichensetzung bemängle, ich weiss, aber es ist wie ein Zwang!
In Str.1 könnte man das Koma vor ‚und’ weglassen. Str. 2 ein Koma vor ‚wie’. Das bringt mich gleich zum nächsten ‚wie’ in S3, da könntest du einfach ‚eingemauert’ schreiben und hättest ein ‚wie’ weniger. Bei Befehlssätzen würde ich ein ‚!’ setzten (S5+6). So, das wär’s auch schon mit der Meckerei …. Ah, nein, noch was, aber das ist auch etwas Subjektives und muss weder umgesetzt noch angenommen werden. Ich find’s nur unästhetisch, wenn man Elisionen kennzeichnet. Vor allem in der Lyrik sehe ich nicht ein, wieso man die Wörter mit Apostrophs (ist das die Mehrzahl?) verunstalten muss. Das wär's dann auch schon.

Gruss
Margot

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#5

Fremde

in Düsteres und Trübsinniges 03.07.2006 12:39
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Hi Fabian!

Ich sage es geradeheraus, ich fremdele mit diesem Stück. Auch wenn das streckenweise sehr gut klingt, sind mir zu viele Ungereimtheiten darin und zum Ende hin verläppert es, ich kann mir nicht helfen.

Über statischem Streicheln und zerbrochenen Klecksen frage ich mich, mit wem die Gesten abgesprochen sind, dass sie gleichzeitig reflexartig wirken können? Hättste die Elision doch ebenso weggelassen, wie die von wem auch immer geworfenen Schatten, die früher offenbar mehr, als Konturen waren und dadurch wohl glücklicher stimmten, obgleich es immer noch Schatten waren...!? Die hingeworfenen Brocken haben für mich die gleiche Problematik: Die negative Konnotation bezüglich einer glücklicheren Vergangenheit.

Ganz stark ist natürlich die Zeile 2 in Strophe 5 aber durch die gänzlich fremd und reimgeschuldet wirkende Zeile 3, die dann auch noch mit und und um arbeitet, bringst du dich um den Erfolg.

Die letzte Strophe löst für mich nichts auf und in mir nichts aus. Bleibt das lyrI in dem Haus, warum könnte/sollte das lyrDu die Fenster schließen? Welche und wessen Nachtgespenster sollte das lyrDu warum mitnehmen und warum leiten diese ein letztes Stück?

Es tut mir leid, mir bleibt das alles offenbar so fremd, dass mir der Zugang verwehrt ist. Insofern funktioniert das Werk vielleicht sogar aber irgendwie bin ich mir sicher, dass du das so nicht gemeint hast.

DG
Mattes

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#6

Fremde

in Düsteres und Trübsinniges 03.07.2006 14:04
von Fabian Probst (gelöscht)
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Danke erstmal.

@Margot: In S.1 ist ein Punkt, kein Komma.
Ein Komma in S.2 würde den Sinn verändern. Es würde bedeuten, dass ein Reflex grundsätzlich trifft, aber das wäre in meinen Augen abwegig. Ich wollte damit aussagen, dass die Gesten eben bei ihm ankommen als wären sie vorprogrammiert (abgesprochen), ohne Gefühl.

Auch "eingemauert" wäre eine starke Sinnveränderung, wenngleich sie sicherlich zulässig wäre. Es ging mir um den Blick selbst, nicht um seine Situation. Außerdem würde dann die nächste Zeile (um die Pupille ohne Glanz) komisch klingen. Jedenfalls für mich. Kann etwas "um" etwas "eingemauert" sein?

Vorschlag: "Sogar dein Blick wirkt starr, gemauert," (oder mit Gedankenstrichen?)

Damit wäre das "wie" auch beseitigt. Dieser Einwand von dir ist völlig verständlich.

Die Elisionen werde ich mal korrigieren. Da bin ich auch immer unsicher.

Wegen der Länge magst du auch Recht haben. Man könnter das kürzer schreiben. Ich persönlich fand es aber nicht so, dass es ZU lang klingt.

Danke dir für die Anregungen. Wieder weiß ich mehr über das Gedicht, was wichtig ist.

@mattes: Ist doch klasse, wenn du deine ehrlich Meinung schreibst.

"statisches Streicheln" finde ich absolut logisch.
"zerbrochen" ist das Bild. Ob da Gedankenstriche gut oder falsch sind, weiß ich nicht.
Den Einwand mit dem abgesprochenen Reflex kann ich absolut nachvollziehen.
Aber es ging um etwas programmiertes, ohne Gefühl.
Da steht ja nicht, dass es Reflexe sind sondern dass sie ihn treffen wie Reflexe. Das Eine ist also das, was scheinbar in ihr vorgeht (abgesprochen), das Andere das, wie es bei ihm ankommt (wie ein Reflex). Insofern ist das kein absoluter Widerspruch, aber trotzdem verstehe ich dein Unbehagen beim lesen. Man hätte das besser lösen können.

Schatten wirft man immer, das bleibt nicht aus. Es ist hier eine Steigerung, da er sogar von ihren Schatten nur noch Konturen sieht. Sollte die geistige und emotionale Distanz spiegeln. Vielleicht unverständlich, aber in meinen Augen schlüssig.
Mit dem "hinwerfen" erfolgt eine Überleitung zu den "Brocken", die für die Überreste der Beziehnung stehen. Damit erfolgt eine gewisse Schuldzuweisung. Ich persönlich finde diese Strophe mit am besten, muss ich wiederum geradeheraus sagen. Sie schließt mit den Worten "fernen Zukunft, die wir hatten" ab. Eine Meisterleistung der Zeit-Wort-Akrobatik. *auf Schulter klopf*
Es bedeutet auch, dass lyrich an diese Zukunft lange geglaubt hat.

S.5 werde ich wahrscheinlich noch mal umschreiben, nachdem auch Margot diese angesprochen hat.
Mein Versuch, mit dem doppelten "bring um" eine Art Kontrast zu erzeugen, ist offensichtlich glatt in die Hose gegangen. Gut, dass ich ds jetzt weiß, denn ich war mir da auch nie sicher.

Auch die letzte Strophe gefällt mir persönlich sehr.
"Fenster" sind für mich ein Symbol von letzten Ein- oder Ausstiegsmöglichkeiten, gerade in der Liebe. Durch das Schließen wird endgültig besiegelt, dass es vorbei ist, von Seiten des lyrichs.
Das Haus, das du hier siehst (davon steht ja nichts im Gedicht), ist letztendlich der Zustand des "Zusammen sein". Durch das "gehen" wird er aufgelöst. Es ist also kein "Zurückbleiben" sondern einfach ein Abbrechen der Verbindung.
Wenn du jetzt anmerkst, dass doch er selbst gehen müsste, hast du nicht Unrecht, aber idealistisch gesehen, kann eine Auflösung nur geschehen, wenn sie auch aktiv wird.
Ist das verständlich?

Mit den "Nachtgespenstern" ist all das gemeint, was schwer auf dieser Beziehung gelastet hat. Lyrich schließt damit ab und glaubt, dass auch die Angesprochene nach dem Verlassen bald von ihnen befreit ist. Sie selbst hat die Beziehung ja nicht beendet, deshalb wird sie, seiner Meinung nach, noch kurz von ihnen begleitet, um dann frei zu sein. Ob es ihr egal ist, oder ob sie darunter leidet, weiß lyrich nicht. aber er will es auch nicht mehr erfahren.

So much for Pathos ...

@All: Natürlich verteidigt man sein Kind immer mit allen Mitteln. Aber ich denke, einige Dinge habe ich durchaus eingesehen und freue mich auch darüber, dass ihr eure Sichtweisen dargelegt habt. Sowas ist unglaublich wichtig für uns alle. Auch wenn ich vieles anders sehe, bringt es doch auch mich zum Nachdenken und öffnet neue Sichtweisen. Als Autor hat man ja immer eine sehr beschränkte Perspektive zu seinen Werken, und somit einen schlechten Zugang dazu.

Deshalb noch mal vielen Dank, auch oder gerade für die Kritik.

lg,Fabian

PS: Habe das mal schnell hin geschrieben, also nicht so sehr auf Fehler in der Rechtschreibung oder Zeichensetzung achten. Ich über auch gerade das Zehn-Finger-System.

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