#1

Ghasel

in Philosophisches und Grübeleien 08.07.2006 20:31
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Will dir eine Au nicht reichen?
Sehnsuchtslos fällts Tauchen schwer?
Stets flussabwärts musst du fliegen,
ohne Lust auf Wiederkehr.

Pfeilschnell sollst du Quellen flüchten,
dicht auf süßen Wasserflächen;
Wagenflaum der Urwaldriesen
stiebt dir wirbelnd hinterher.

Bis zur fernen Sternenwarte:
letzter Mündung treibend Schilffloß.
Such im Schatten aufzuspüren
junger Schuppen Schwarmverkehr.

Silbern ist die Oberfläche
durch die niemand stoßen sollte –
kein Geheimnis sättigt jemals,
nur das Blut versalzt noch mehr.

Da du trotzdem untertauchtest
klebt Kristall sich ins Gefieder,
wütend siegten alle Teiche
und die Ströme flossen leer.

Wolkenhimmel kröpft den Ozean,
Möwenschwingen werden bleicher,
Wanderdünen üben Angriff,
Walskelette Gegenwehr.

Einmal gibt es auch Erbarmen,
einmal darf es wieder regnen,
aber jetzt wird bloß gestorben
denn die Sonne legt sich quer.

Eines Nachts verliert die Dürre,
jemand wird den Tränen folgen
die das Ufer tieferwaschen,
ach, Undine weint so sehr.

Heute aber, musst du warten –
lösch den Durst mit deinem Hunger!
Komm, Alcedo, tauch nicht weiter,
sonst zerfrisst dein Blau das Meer!

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#2

Ghasel

in Philosophisches und Grübeleien 08.09.2008 18:54
von Erebus (gelöscht)
avatar
Hallo Alcedo,

ich nahm den oberen Link und da bin ich wieder.

Ich habe dieses schöne Werk gar nie gesehen, denn es lag für mich im lyrischen Neolithikum.
Schön dass du die Gelegenheit ergreifst, mich an das Gedicht heranzuführen. Schade, das es kein Ghasel ist, nicht in der bekannten Form. Es sei denn, du hast zuviel daran herumgebrochen.

Dafür aber ist es lang, das ist auch eine Qualität.
Ich habe es zunächst recht hilflos gelesen, konnte mich gar nicht recht einsortieren.
Mal angenommen, ich wäre LI, dann wüßte ich nicht, wieso mir eine Au nicht reichen sollte.
Klar, es käme letzten Endes auf die Größe an, aber Au, das ist doch solch ein zufriedenes Stück Land, darin die Sinne glücklich weilen, also etwas Schlaraffiges. Ich habe nicht mal eine Matratze von dort, und will es mir gar nicht weiter ausmalen. Die fliegenden Bratschweine mit Besteck im Rücken fand ich schon immer abstoßend. Nachkriegsgeneration, halt.
Aua! so ist das gemeint ...
Ja, dann kommt es zusammen. Mehr oder weniger.

Aber schließlich bin ich doch glücklich, dass du den Tauchgang abgebrochen hast.
Denn sonst wäre es wohl noch länger geworden, aber nicht unbedingt tiefer. Denn es ist so, als ob der Taucher die in der ersten Strophe erreichte Tiefe beibehält und munter über das Riff schnorchelt, dass sich farbenprächtig unter ihm ausweitet.
Die erste Strophe finde ich nämlich ganz gut, den Rest allerdings redundant und, vor allem: zwar sehr phantasievoll, aber auch sehr gesucht. Und alles in allem schwierig zu entschlüsseln, auch wenn das alles eine Berechtigung hat. Auch wenn man weiß, wohin die Reise geht. Das ist stellenweise ein Expertengedicht und dazu fehlt einem Otto Normalleser wie mir das richtigen adhoc-Verständnis. Dann rätselt man sich das zurecht, ein Stück weit hält man das wohl durch. Jedoch kommt mir der kröpfende Himmel und oder der Schwarmverkehr junger Schuppen im ersten und auch noch im zweiten Moment vor allem kurios vor. Dann erst stoße ich zum stimmigen Verständnis vor.
Besonders hervorzuheben ist übrigens in diesem Zusammenhang der Angriff der Wanderdünen. Das hat was. Star Wars.

"Schilffloß" liest sich so schlürfrig wie man eine Auster isst. Also, für solche Highlights sollte es eigentlich doch Punkte geben.
So, jetzt höre ich mal auf, sonst wird man meine brillante Textarbeit noch nominieren. Aber ein letzte Lob zolle ich noch den beiden letzten Versen. Ja.

;-)
LG
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#3

Ghasel

in Philosophisches und Grübeleien 08.09.2008 21:53
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Tag, Alcedo!

Von dieser Seite kannte ich Dich noch nicht; hier scheinst Du etwas aus Dir herausgegangen zu sein und hast beim dichterischen Spaziergang wenigstens den obersten Hemdknopf aufgemacht. Wessen Fährte Du gewittert hast ist für mich belanglos; ich sehe nur was und wie Du geschrieben hast.
Weitschweifende analytische Spekulationen unterlasse ich einfach, weil es auch viel bequemer ist, sie nicht ausführlich niederschreiben zu müssen,
handle mir dafür gerne den Vorwurf eines zu allgemein gehaltenen Kommentars ein.

Aus Dir bricht immer wieder der Ornithologe hervor. Es ist vieles treffend gelungen. Nur eine der Stellen zitiere ich, die es mir wert erscheint und
hier stellvertretend einen Deiner 'kleinen Lichtblitze' andeutet.

Zitat:

Silbern ist die Oberfläche
durch die niemand stoßen sollte –
kein Geheimnis sättigt jemals,
nur das Blut versalzt noch mehr.



Mit Gruß
Joame
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#4

Ghasel

in Philosophisches und Grübeleien 14.09.2008 10:08
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
@Erebus:
danke für den beachteten Fingerzeig und für die Beschäftigung mit dem Text.

freilich ist es ein Ghasel. die frühere Papiersparform habe ich auch drauf:

Will dir eine Au nicht reichen? Sehnsuchtslos fällts Tauchen schwer?
Stets flussabwärts musst du fliegen, ohne Lust auf Wiederkehr.
Pfeilschnell sollst du Quellen flüchten, dicht auf süßen Wasserflächen;
Wagenflaum der Urwaldriesen stiebt dir wirbelnd hinterher,
bis zur fernen Sternenwarte: letzter Mündung treibend Schilffloß.
Such im Schatten aufzuspüren junger Schuppen Schwarmverkehr.
Silbern ist die Oberfläche durch die niemand stoßen sollte –
kein Geheimnis sättigt jemals, nur das Blut versalzt noch mehr.
Da du trotzdem untertauchtest klebt Kristall sich ins Gefieder,
wütend siegten alle Teiche und die Ströme flossen leer,
Wolkenhimmel kröpft den Ozean, Möwenschwingen werden bleicher,
Wanderdünen üben Angriff, Walskelette Gegenwehr.
Einmal gibt es auch Erbarmen, einmal darf es wieder regnen,
aber jetzt wird bloß gestorben, denn die Sonne legt sich quer.
Eines Nachts verliert die Dürre, jemand wird den Tränen folgen
die das Ufer tieferwaschen, ach, Undine weint so sehr.
Heute aber, musst du warten – lösch den Durst mit deinem Hunger!
Komm, Alcedo, tauch nicht weiter, sonst zerfrisst dein Blau das Meer!

aber du wirst zugeben müssen, diese dröge Blockform ist nicht mehr zeitgemäss. mich überzeugt sie jedenfalls nicht, allein schon wegen der optischen Langeweile. und der heutige Leser mag es doch auch luftig und strukturiert. selbst der Schreiber ist heutzutage nimmer drauf aus, Papier zu sparen. der Verleger sowieso. die meisten Übertragungen (von Hafis und dessen Vorbild Omar Chajjam), die ich gelesen habe, hatten diese Form. ich werd mal was von Platen in die Rumpelkammer stellen.

deine Wechselwirkung mit dem Text habe ich interessiert verschlungen, vom Auenland über Nachkriegsgenerationen bis zum Krieg der Sterne und zum schönen Austernvergleich. kanntest du die Schilfflöße noch nicht? die treiben der Donau langsam aus dem Delta ins Schwarze Meer.

es ist eine der Eigentümlichkeiten von Ghaselen, dass der Autor sich in den letzten Versen manchmal selber auf die Schippe nimmt. das fand ich so Klasse, dass ich es unbedingt selbst mal ausprobieren musste. im Grunde bleibt das Ganze ja eine kleine (einmalige) Hommage an Hafis & Chajjam.

@Joame:
ja, selbstverständlich ist die ornithologische Perspektive angebracht.
danke für das Lob, Joame.

Grüße
Alcedo

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