#1

Dürre

in Düsteres und Trübsinniges 10.07.2006 16:57
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Dürre

Erfüllt nur bis zum ersten Strich
mit Glück steht mein Gefäß der Zeit.
Drum frag ich, wie erfüllt bin ich,
der oft zu schnell die Stunden reiht

und sie nicht liebevoll gestaltet
nur hektisch schlingend isst und trinkt,
nicht vorher fein Servietten faltet
und vor dem Wein den Toast ausbringt?

Wie jeder schöpfe ich aus mir,
doch bin erschöpft - fast täglich mehr.
Ich saug mich voll wie Löschpapier,
bleib trocken, aber werde schwer.

Ich sehe, doch ich roll mich blind
am hellen Tag in dunkle Nacht.
Was ich dann tastend doch noch find,
ist was mich manchmal glücklich macht.

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#2

Dürre

in Düsteres und Trübsinniges 11.07.2006 15:01
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
GerateWohl!

...meinte ich diesem Gedicht nicht mehr zurufen zu müssen, es schien bereits so. Dann wollte ich nur schnell ein wenig Mäkelei los werden und stieß doch schneller auf Grund, als ich dachte:

Es fängt gleich mit einer gewöhnungsbedürftigen Syntax an, wobei ich unterstelle, dass du andere Wendungen überprüft hast. Ich tat es mit dem vorhandenen Material und endete auch immer wieder bei deinem Ergebnis. Ich kann es also nachvollziehen, so recht glücklich bin ich nicht. Mindestens würde ich nach Glück ein Komma setzen, frag den Don, ob das richtig ist. Wegen der doppelten Erfüllung rege ich zudem an, in der ersten Zeile ersatzweise ein „Gefüllt“ zu verwenden. Ich bilde mir ein, dass dann auch das Enjambement besser zu lesen, der Bezug zur ersten Zeile deutlicher ist.

Statt der Minuten würde ich die Stunden nehmen, denn das liebevolle Gestalten jeder einzelnen Minute erscheint grob unbillig! Hinter „gestaltet“ bitte ein Punkt oder Komma, so viel Zeit muss sein. Das schlingende Trinken muss erst noch erfunden werden, wie mir scheint (vielleicht „nur hektisch schlingt und gierig trinkt“).

Die Elision bei „ein’“ empfinde ich als grausam, hier hätte ich dann den bestimmten Artikel und im Folgenden den echten Toast vorgezogen. Wenn das lyrI nur aus sich schöpft, dann ist es doch kein Widerspruch, dass es erschöpft ist!? Dann folgen mehrere Elisionen direkt hintereinander (saug, bleib, wird, seh, find) und die allzu versöhnliche Conclusio will mir dann auch nicht so richtig zum Inhalt und zur Überschrift passen.

So habe ich am Ende durch die Kritikasterei ein mir zunächst sympathisches Werk kaputt gemacht? Oder sind es nur ein paar Dinge zuviel, die mir nicht gefallen und die größeres Lob verhindern? Ansonsten handelt es sich doch um ein annehmbares Carpe-diem-Motiv (das scheint momentan mehrere Gemüter zu bewegen) oder nicht? Jein. Ich weiß nicht. Vielleicht bin ich so unzufrieden, weil ich es weder groß loben, noch übel zerfetzen kann. Ich glaube, das ist es. Es wirkt sympathisch, doch unfertig. Ab in die Werkstatt damit und aufpolieren, verdient hätte es das Teil.

DG
Mattes


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#3

Dürre

in Düsteres und Trübsinniges 11.07.2006 18:24
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Mattes,

danke Dir für Deinen Kommentar, den ich mir sehr zu Herzen genommen habe, so dass ich mich doch gleich sehr mit Deinen Vorschlägen auseinander gesetzt habe. Einige Dinge standen bei mir auch schon auf der Kippe, so spieltest Du das Zünglein an der Waage. Zum Beispiel die Stunden statt Minuten hatte ich auch schon überlegt, aufgrund der Silbenzahl erschien mir Minuten zunächst eleganter, die Stunden sind aber inhaltlich besser. Auch der bestimmte Artikel beim Toast. Hab ich gleich übernommen.
Allerdings hänge ich doch sehr an dem doppelten "erfüllt", da mir so die Gegenüberstellung deutlicher erscheint. Ebenso finde ich, dass man sehr wohl hektisch schlingend sowohl essen als auch trinken kann. Das mag falsch sein, aber ich bin nicht ganz überzeugt davon dun finde die Beschreibung für das was ich meine nachwievor treffend.
Hingegen Deine Kritik bzgl. der Elisionen und dem "nur Schöpfen" fand ich sehr nachvollziehbar und habe einige dieser Wunden nun behelfsmäßig verbunden.
Danke Dir soweit.

Viele Grüße,
GW

P.S.: Ja das Thema scheint zu grassieren.

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#4

Dürre

in Düsteres und Trübsinniges 11.07.2006 19:17
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Hallo GW,

also auf Anlesen hin war auch ich sofort angetan, und da Mattes uns den undankbaren Job des Korinthenkackers wieder einmal abgenommen hat, kann ich mich ganz aufs Rosinenpicken konzentrieren. Warum du allerdings auf das erste "erfüllt" bestehst, ist mir ein Rätsel, weil die Analogie doch überdeutlich ist und keiner unschönen Doppelung bedarf!

Aber ich wollte ja loben. Es sind diese unscheinbaren Bilder, die meine Dichterseele glücklich machen. Das Ausbringen des Toastes als Dankbarkeitsgeste - da wird man als Ex-Kathole richtig neidisch. Das vollgesogene, dennoch trocken-steife Löschpapier - da werden Erinnerungen an die Schulzeit wach: und gut katholisch sehe ich in dem tintenklecksigen uansehnlichen Papier die von Schuldgefühlen übersprenkelte eigene Seele vor mir. Und zuletzt das wie zufällig im Dunkeln Ertastete, das "dich" "manchmal" glücklich macht - diesen lakonisch-selbstkritischen Ton macht dir so schnell keiner nach.

Dürre? Wer im Dunkeln zu den Quellen findet - um den muss einem nicht bange sein. Eher um die, die immer nur im Hellen suchen...

Ein Toast auf die Dürre,

Ulli


und - Vorschlag, S2Z2:

"nur hektisch schlingt und hastig isst" ?





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