#1

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 13.07.2006 21:00
von Fabian Probst (gelöscht)
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Der Apfelbaum oder: Wind in den Taschen

Ich habe noch sein altes Bild
in meiner Hosentasche;
das Bild des Apfelbaums.
Und manchmal spür ich noch
das Rauschen in den Wipfeln;
den Lufthauch,
wie ein Flüstern durch die Zweige,
das von den alten Sagen sprach.

Darunter wir, den Blick
aus Kinderaugen nur nach vorn,
und nur die Welt war unser Ziel.
Nicht, dass wir große Pläne hatten,
doch war da irgendein Gefühl;
wir spürten noch das hohe Gras,
ein Meer aus Blüten, Duft
und Sonne in den Ritzen.

Und zwischen unsern Fingerspitzen
die Früchte, die wir klauten,
den Tag uns zu versüßen.
Die Zukunft zu den blanken Füßen;
wir kauten Stroh, und sogen Tage,
die Halme auf dem Feld geschnitten
oder einfach abgebrochen.
Das war uns doch genug.
Wir waren Räuber und Piraten.

Das Bild ist fast verblichen,
auch die Erinnerung fällt schwer.
Doch manchmal, durch vergilbte Sterne,
da seh’ ich, fern der Postmoderne,
Momentaufnahmen in der Nacht,
wenn ich die Augen schließe.
Dann ist es so als sei da mehr;
ein wohl vertrautes Rascheln, und
der Wind in meinen Taschen.


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#2

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 13.07.2006 21:25
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte
Klasse, Fabian, auch wenn ich den Juli jetzt abhake, weil ich nicht mehr weiß, was man noch alles zum Dickfischfang vorschlagen soll.

Wunderbare Erzählung in ungewöhnlichem und doch sehr einladendem, melodiösen Muster. Vier, wie zufällig eingestreute Reime, völlig zwanglos und dafür um so überzeugender. Inhaltlich kann ich jetzt außer der nostalgischen Kindheitserinnerung nicht mehr feststellen und das muss auch nicht bzw. brauche ich auch nicht. Es gefällt mir so sehr gut und ist so wenig larmoyant erzählt, dass es Spaß macht, sich mit dir da hineinfallen zu lassen.

Ich kann nicht behaupten, dass mich irgendetwas stört, selbst wenn ich die Zeichensetzung manchmal kreativ finde. Vielleicht nur S1Z6, wo ich die Zeilenschaltung nach dem Lufthauch begrüßen würde. Wegen des Klanges und wegen des dann einfacheren Bezuges in Z8. In S2Z3 wiederholt sich das "nur", was mir nicht so gefällt. Das sollte hier oder in der Zeile zuvor ausgewechselt werden.

Das war es auch. Vielleicht gibt es mehr, dann hätte mich dieses fabelhafte Gedicht darüber hinweg getragen.

DG
Mattes


P.S.: Eines noch: Die eingesogenen Tage gefallen mir außerordentlich gut!

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#3

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 13.07.2006 21:44
von Fabian Probst (gelöscht)
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Danke sehr, lieber Herr Mattes.

Meintest du den Zeilenumbruch so?
Habe auch an der Zeichensetzung mal etwas herum gedoktort. Was das angeht, habe ich echte Probleme.

In der 7 Klasse hat meine Lehrerin mal zu einem Aufsatz von mir folgendes gesagt:
"Inhaltlich ist er sehr gelungen, aber wenn du völlig auf Kommata verzichtet hättest, hättest du weniger Fehler gemacht, als, jetzt!" :=)

Das doppelte "nur" fand ich persönlich passend. Ich wüsste keine Alternative, wenn ich es überlege. Das zweite muss da stehen, finde ich.
Wenn du einen Vorschlag hättest, würde ich ihn gerne wissen.

lg, Fabian

PS: Oooch! Keine Dickfischnominierung? Wieder ein Abend, an dem ich mich in den Schlaf weinen muss!

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#4

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 13.07.2006 23:32
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Fabian, ich bin gerade Mattes' Spuren gefolgt und wurde sofort von deinen Versen eingesogen.
Ich habe nicht viel Zeit, aber wollte zumindest bemerken: Der Zauber dieser Zeilen wirkt. Sehr romantisch. Mir gefallen die scheinbar spontan eingestreuten Reime, vor allem

Zitat:


und Sonne in den Ritzen.

Und zwischen unsern Fingerspitzen



Ich kann mich nicht erinnern, je zwei Strophen klanglich so einfach und doch so wunderbar verbunden gesehen zu haben.

Nur so: "Die Postmoderne" gefällt mir nicht. Ich finde einfach dieses Fremdwort passt nicht in diese ansonsten fremdwortfreien Verse. Um so natürlicher die Wörter, umso schöner.

Grüßle

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#5

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 13.07.2006 23:57
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Fabian


Vielleicht hältst du mich jetzt für ein bisschen durchgeknallt – keine dummen Bemerkungen dazu Mattes! – aber evtl. kennst du das Lied „Mein Freund der Baum“ von Alexandra? Es stammt aus dem Jahr 1968 und ich war vier Jahre alt, als meine grosse Schwester sich diese Single (das waren so schwarze, runde Vinylscheiben *g) gekauft hat. Wir hatten damals eine grosse Tanne vor unserem Haus, unter der ich oft gelegen bin, und hinauf in die Äste geschaut habe. Eines Morgens kamen orange Menschen und haben die Tanne gefällt, weil die Strasse verbreitert werden musste. Ich war untröstlich und habe tagelang geheult und als ich mich so einigermassen wieder beruhigt hatte, kam meine Schwester mit diesem Lied nach Hause und das Drama begann von neuem.
Wieso erzähle ich das? Nun, wenn ich deine Zeilen lese, dann kommt das alles wieder hoch. Es ist eine meiner frühesten Erinnerungen und noch immer muss ich schlucken, wenn irgendwo dieses Lied gespielt wird. So geht es mir jetzt mit deinen Zeilen. Sie beamen mich zurück in die Kindheit. Toll erzählt und gut gemacht, mein Kompliment.

Sehr gern gelesen, erinnert und nochmals geschluckt.

Gruss
Margot


P.S. Und Mattes hat recht, nächsten Monat wird’s unheimlich schwer, eine Wahl zu treffen.


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#6

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 14.07.2006 00:53
von Wilhelm Pfusch • Administrator | 2.006 Beiträge | 2043 Punkte
Ich nochmal:

Wo Margot gerade von Ihren Kindheitserinnerungen spricht:

Kindheitserinnerungen sind immer etwas Magisches. Der Dichter kann niemandem dieses besondere Gefühl aufzwingen. Aber er kann es sanft wachstreicheln. Und genau das vermögen deine Zeilen. Bei mir hat es auch funktioniert.

Deshalb muss auch die "Postmoderne" weg. Kindliche, einfache, schöne Sprache kennt dieses Wort nicht. Meines Erachtens wäre der Sog der Nostalgie so verstärkt, da die Sprache unschuldiger wirkte.

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#7

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 14.07.2006 08:59
von Mattes | 1.141 Beiträge | 1141 Punkte

Zitat:

Margot schrieb am 13.07.2006 23:57 Uhr:
– keine dummen Bemerkungen dazu Mattes! –


Jawohl!

Die Postmoderne muss bleiben, da ja kein Kind spricht und es sich auch nicht um ein Kindergedicht handelt. Die Postmoderne ist gerade gut und verhindert u.a. das Abrutschen ins Sentimentale, was sehr wichtig ist! Die Postmoderne hält das Gedicht in der Gegenwart, hier bei mir als Leser und ich mag gerne zurückschauen und mich an den Baum erinnern. Tatsächlich zurückgehen will ich nicht, denn auf dem Baum saß auch einmal ein fieser Kerl, der mich erst verhöhnt und dann angerotzt hat, was ich aber vergessen hatte. Wenn ich tatsächlich zurückginge, wiederholte sich das auch und so toll war der Baum nun wieder nicht, dass ich das auch noch einmal haben müsste.

Ich für meinen Teil bleibe in der Postmoderne und denke erwachsenen Geistes darüber nach, welche zweite Sinnebene sich dadurch noch erschließen lässt.

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#8

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 14.07.2006 09:36
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
*g Mattes, brav!

Ich würde das auch so belassen. Zwar ist die Postmoderne eine kulturgeschichtliche Periode, ich sehe sie hier aber eher als ein Begriff für die Realität an, das Jetzt und Heute. In der Postmoderne gibt's keine Nostalgie, keine Sentimentalität etc. .... doch, das passt schon so.

Und wie Mattes sagt, das schöne an Erinnerungen ist doch, dass alles Negative verwischt. Denn, wenn wir an die Orte gehen, die uns früher so viel bedeutet haben, sind es doch meist eben nur Orte, wo wir zwar nach dem Vergangenen suchen, es aber nicht mehr finden können.

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#9

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 14.07.2006 10:02
von Fabian Probst (gelöscht)
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Ich kann gar nicht beschreiben, wie ich mich freue, dass so angeregt darüber geschrieben wird.

Tatsächlich sind das Kindheitserinnerungen von mir, etwas in sprachlichen Klang gebracht.
Neben unserem Haus war ein Kirschbaum (das passte melodisch nicht, und es spielt auch eine untergeordnete Rolle), eine große Wiese darum, in der das Gras nicht gemäht wurde. Dort lagen wir sehr oft unter dem Baum und versteckten uns vor den Erwachsenen. Der Baum war irgendwie magisch.
Die geklauten Früchte waren dann wirklich Äpfel aus dem Nachbargarten (der Besitzer war gefürchtet und ein Apfel vom Baum eine begehrte Trophäe), obwohl die roten Kirschen noch besser waren.
Mein Nachbar war Sohn eines Bauers. Er musste häufig mit aufs Feld, und ich bin manchmal mitgefahren. So eine Fahrt auf dem Hänger, der voller Strohballen ist, werde ich auch nie vergessen.

Der Baum musste irgendwann dem neuen Feuerwehrhaus weichen, die Wiese wurde zur asphaltierten Einfahrt!
Was denkst du, Margot, wie ich geflucht und geweint habe?

Das Lied sagt mir was. Heißt das nicht "Mein Freund, der Baum, ist tot" oder so?
Übrigens hatte ich eine große Plattensammlung.

Was die "Postmoderne" angeht, so empfand ich es eben so, wie Mattes es erklärt hat. Es soll als Kontrast den BLick zurück untermauern, der eben aus einer anderen Welt stammt als die beschriebene. Die Postmoderne, mit all ihren bedeutungsschwangeren Auswucherungen, steht für das Künstliche (was ich damit nicht schlecht machen will), und so dem kindlichen Charakter in der Erinnerung gegenüber, die noch durch Phantasie geprägt war.
Heute beschäftig uns Geist und Kultur. Ich bin ja als Schreiber ein Teil dessen, und doch sehne ich mich manchmal wieder unter den Baum, wo alles unbeschwert war und wir nichts wussten von Verantworung und Pflichten.

Danke euch allen!

lg,Fabian




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#10

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 14.07.2006 10:04
von Fabian Probst (gelöscht)
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@MArgot: das meinte ich.

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#11

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 14.07.2006 19:42
von Ulli Nois | 554 Beiträge | 554 Punkte
Hi Fabian,

deinem Namen zur Ehre: das ist wirklich fabelhaft geschrieben. So frei mit der Form umgehen, muss man sich erst einmal trauen. Zwei Achtzeiler, dann zwei Neunzeiler. Offenbar kein intendiertes Schema. Das tut dem Ganzen gut. An zwei Stellen nur bin ich ein bisschen skeptisch. Dass Kinder das Flüstern in den Zweigen hören, nehme ich ihnen ab. Aber welche Fabeln hören Kinder da sprechen? Ich glaube, solches Baumflüstern passt eher zu wehmutfähigen Erwachsenen: "Der Wind hat mir ein Lied erzählt" (Zarah Leander) oder meinetwegen Hofmannsthal ("Es läuft der Frühlingswind durch kahle Alleen"). Aber du darftst mich gerne eines Besseren belehren

Die zweite Stelle, die ich nicht zusammenkriege, sind die durch vergilbte Sterne gesehenen Momentaufnahmen in der Nacht. Wieso kommt die Erinnerung an den Baum durch den Blick in den Nachthimmel? Weil du als Kind auch nachts unter den Baum lagst? Da fehlt mir der Bezug. Und auch die auf Sterne gereimte Postmoderne kommt mir zu unvermittelt daher.

Sicher kannst du mir auch hier auf die Sprünge helfen.

Mehr als Alexandra hat mich als Jungmensch Cat Stevens`"King of tree" angerührt (und tut es immer noch) :

He was the king of trees, keeper of the leaves,
a deep green god of young love stained memory,
we used to meet by him far from the hustling town,
I loved you, now they`ve come to cut you down...

Aber das ist dann eine spätere Geschichte

Lieben Gruß, Ulli



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#12

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 17.07.2006 13:45
von Fabian Probst (gelöscht)
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Danke auch dir, Uli.

Vielleicht hast du Recht, wenn du anmerkst, das Kinder darin nicht direkt so etwas wie "Sagen" (wie kommst du auf Fabeln?)
hören. Es ging nur um die Fantasie, die entsteht, wenn man so unter dem Baum liegt und das Rauschen verfolgt. Dann ist es so als erzähle er dir was oder flüstert dir was zu. Vielleicht untermauert er seine Worte mit wilden Gesten, die man in den Bewegungen der Äste und Blätter sehen könnte.
Fakt ist, dass man sich dann nicht vorstellt, er spräche von Mathematik oder der Schiefe der Ekliptik.
Wenn ein Baum spricht, erzählt er etwas Fantastisches.
So war es gemeint. Dein Einwand ist nachvollziehbar. Meine Erklärung hoffentlich auch ein wenig.

Das mit den Sternen ist wiederum einfach die Vorstellung, dass ein erwachsener Mensch oft so sehr die Augen auf die achso wichtigen Dinge im Leben gerichtet hat, dass er gar nicht mehr so etwas wie Fantasie wahrnimmt.
Es passt nicht mehr ins Konzept. Wir versuchen nur noch, uns zu produzieren, etwas zu erreichen und auf das zu schauen, was uns befriedigt, schaffen uns künstliche Räume.
Der banale Blick auf die Sterne wird nicht mehr gepflegt.
Dazu kommt, dass man am ehesten in den Nächten daran erinnert wird bzw. sich selbst daran erinnert, wie es doch früher einmal gewesen ist. Der ganze Trott kommt mit der Nacht zum Stillstand, wird zumindest etwas runter gefahren. Manchmal spürt man dann, dass die Sterne vergilbt sind, weil das alles so lange zurück liegt, dass Erinnerungen verblassen.
Und doch ist da etwas, was wir vermissen.
Ist das verständlich?

Ein direkter Bezug zwischen dem Blick auf die Sterne und dem Baum ist nicht da, da hast du Recht.

lg,Fabian

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#13

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 17.07.2006 19:32
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
mich erinnert es auch etwas an "Herr von Ribeck auf Ribeck im Havelland,
ein Birnbaum in seinem Garten stand..."


Wehmütig, fröhlich betäubende Rückblende in die Vergangenheit, hat mir gefallen.
Gruss
Knud


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#14

Der Apfelbaum

in Philosophisches und Grübeleien 17.08.2006 08:09
von Fabian Probst (gelöscht)
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schon wieder übersehen!

wenn es an so ein großes Werk erinnert, ist das ein schönes Kompliment.

Hab Dank.

Gruß, Fabian

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