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Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 07.09.2006 18:46von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Hirtenlied
Ich liebe die Wasser im düsteren Flusse.
Wie bade ich gerne in spielenden Wellen
und träume zufrieden bei diesem Genusse.
Genieße es blind, wie bei innigem Kusse
und hüte die Schafe an ufernden Stellen.
Ich liebe die Wasser im düsteren Flusse.
Vom anderen Ufer kam gestern ein Russe,
er wagte zu weiden – ich musste ihn fällen
und träume zufrieden bei diesem Genusse.
Die Hunde des Fremden, zu meinem Verdrusse,
begannen mir lauthals und durstig zu bellen:
Ich liebe die Wasser im düsteren Flusse.
Beschaute mir schlachtrote Herzblutergusse,
die fruchtbare Weiden mir netzten wie Quellen.
Ich träumte zufrieden bei diesem Genusse.
So spiele mir Flöte aus Baumhaselnusse!
Wie blinken die rötlichen Sterne, die hellen!
Ich liebe die Wasser im düsteren Flusse
und träume zufrieden bei diesem Genusse.
allein formal ist das schon ein Meisterwerk. Die Wiederholung der Zeilen "ich liebe die Wasser im düsteren Flusse / und träume zufrieden bei diesem Genusse" haben angesichts des Inhaltes eine sehr schaurige Wirkung. Gefällt mir ganz ausgezeichnet!
Nur mit dem "weiden" kann ich mich nicht so recht anfreunden, auch wenn das bei dem Hirtenszenario inhaltlich schon zu passen scheint.
Die Daktylen tragen sehr gut durch das Gedicht, es entsteht dadurch eine Art Singsang, der den Leser so richtig packt. So ist der Titel "Hirtenlied" auch wunderbar passend, denn dein Gedicht ist eine Art grimmiges Lied.
"Sehr gern gelesen" ist hier sogar eine Untertreibung. Ich bin ganz hin und weg!
Viele Grüße
Thomas
Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 07.09.2006 20:49von Richard III • | 868 Beiträge | 871 Punkte
Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 08.09.2006 05:24von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
das Formale ist nicht mein Verdienst. diese Form ist leider nicht so bekannt wie etwa die des Sonetts, sie hatte mich aber sehr gereizt.
das Metrum hab ich aber ganz alleine eingeflößt und war selber vom Singsang angetan.
natürlich weidet nicht der Mensch, sondern seine Herde. wenn es denn arg missverständlich ist, muss ich noch drüber nachdenken.
merci für die Nominierung.
- - - - - - - -
Harmlosigkeit versus Schaurigkeit?
warum nicht!
wunderbar, Ric, wunderbar!
liebe Grüße
Alcedo
Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 08.09.2006 08:47von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
eine Villanelle, wie schön! Diese Gedichtform liest man ziemlich selten, weniger selten wird das starre Gerüst jedoch als störend empfunden - woran aber oftmals einfach die Umsetzung schuld sein wird. Ich finde, Du hast das ziemlich überzeugend gemeistert, die immerwährenden Wiederholungen wirken weder anstrengend noch angestrengt, sondern passen sich ins Gesamtgefüge gut ein.
Etwas irritiert bin ich bei "schlachtrotes Herzblutergusse", das klingt gewöhnungsbedürftig. Beim ersten Lesen dachte ich, es heißt doch der Bluterguss, weshalb es an dieser Stelle "schlachtroten Herzblutergusse hätte heißen müssen. Dann habe ich verstanden, dass es um das Herzblut geht, das sich ergießt. Aber müsste es nicht dennoch auch der Erguss sein? An meiner gammatikalischen Irritation ändert sich daher nichts...
Ach ja: Baumhaselnusse finde ich nicht überzeugend. So sehr die nusse wegen des Reimes ans Ende muss, ist diese Mutation des Haselnussbaumes unschön. Einen angemessenen Gegenvorschlag kann ich leider gerade nicht bringen, aber dieser Stelle täte eine gute Idee wohl.
Trotz dieser Mäkeleien ein in meinen Augen gutes Gedicht mit vor allem auch einem ungewöhnlichen Thema, das somit aus dem üblichen Gedichte-Einerlei nicht nur hinsichtlich der Form, sondern auch durch den Inhalt herausragt.
Gern gelesen,
Don
P.S.: Auch wenn ich diese Verweise auf Eigenes üblicherweise unter fremden Gedichten nicht angemessen finde, wegen der eher seltenen Form wollte ich dennoch mal auf mein Gedicht Vertraute Wut verweisen, bei dem ich mich auch an einer Villanella versucht habe.
Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 09.09.2006 11:57von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
gut, dass du auf deinen Versuch (vor meiner Zeit hier) hinweist. kannte ich noch nicht. werde das mal bei Gelegenheit unter die Lupe nehmen.
vielleicht muss man es gesehen haben: frisches Blut im Gras, sprudelndes Blut.
später wenn es anfängt zu stocken ist es kein besonders schöner Kontrast mehr.
schlachtrot steht also bei mir auch für "frisches" arterielles Blut.
zu dem Baumhasel habe ich auch keine Alternative gefunden, zumal ich das Flötenmotiv aus der Folklore des Karpatenraumes habe, dies auch behalten möchte. vielleicht würde auch "Haselnuss" reichen, hatte es aber nicht stimmig einbauen können.
das inhaltliche Herausragen hab ich mit Genugtuung vernommen.
Gruß
Alcedo
Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 11.09.2006 09:19von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
als Kenner der Materie würde ich mich nun nicht unbedingt bezeichnen, aber ich fand diese Gedichtform zumindest ganz reizvoll und habe mich auch schon daran versucht. Wobei ich feststellen musste, dass sich darüber nur wenig finden lässt, unter anderem hatte mich interessiert, ob ein bestimmtes Metrum vorgeschrieben ist. Anscheinend ist aber wohl "nur" die Wiederholung der Zeilen festgelegt - aber das reicht ja .
Das Flötenmotiv gefällt mir auch, dass Du daran hängst, kann ich verstehen und ich würde es auch nicht kicken wollen. Vielleicht fällt ja irgendwann noch eine Eingebung vom Himmel, wie man diese Stelle trotz der Zwänge des Reimes und der Metrik runder gestalten kann. Aber es schmälert für mich ohnehin nur in kleinem Maße.
Gruß,
Don
Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 12.09.2006 05:21von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
du kanntest die Form, das reichte mir schon um dich zu titulieren. jetzt haben wir beide die Tümpler damit bekanntgemacht. bestimmt quält sich schon der eine oder die andere mit den Wiederholungen, bekommt was hin, oder verzweifelt daran - das reicht doch a u c h, oder?
und ja, das Metrum scheint offensichtlich offen zu sein für solche Versuche. es ist im übrigen hochinteressant mit den Zeilenlängen zu experimentieren um stringente Wiederholungen überhaupt aufbauen zu können. ich behaupte mal nur eine Zeile die einem Nachts das Einschlafen verzögert ist geeignet dazu - kann mich aber natürlich auch täuschen.
Gruß
Alcedo
hier kann man sich kurz und knapp halten: ein wunderbares Werk...
die Wahl des Metrums empfinde ich persönlich als sehr gelungen und man tanzt nur so durch die Zeilen..eben ein Hirtenliedchen...die Akzente werden auf die WiederholungsReime gelegt, super
ich finde es schade, dass dein Tänzer den Styx bevorzugt, aber somit erlangt das Werk einen sehr aufklärerischen Stil, was mir sehr zusagt...die Synthese der scheinbar vom Wasser fernen Idylle ist trügerisch, da hinter dieser versteckten Idylle die Gefahren lauern....ich finde dieses werk super
LG bas[ti]an
Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 07.11.2007 21:18von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
freut mich, dass dich das saltatorische Metrum mitreissen konnte.
wurde dir sogar ein Tänzer vorgegaukelt? der Protagonist ist ja bloss Hirte und Flötenspieler. und ich hatte lediglich an einen moldawischen Grenzfluss gedacht, nicht an den Styx. das macht aber nix. ich möchte deinen Assoziationen ihre Berechtigung belassen.
danke fürs Feedback.
Gruß
Alcedo
RE: Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 14.08.2009 17:40von gheggrun • | 377 Beiträge | 377 Punkte
Hi, Alcedo!
Ein tolles Liedchen hast du gemacht -stelle mir das in den rum. Karpaten vor.
Dort sind die Leut wirklich noch im Guten und Bösen archaisch.
Mein Resultat von der Beschäftigung mit dem Text kommt spät und muß von
dir nicht weiter beachtet werde. Hab's aus Spaß an der Freud -mehr für mich
- getan.
Wenn du es sehen willst, schau in die angehängte Datei.
Dateianlage:
Hastanirwana
GHEG
RE: Hirtenlied
in Düsteres und Trübsinniges 19.08.2009 09:32von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Zitat von Alcedohallo gheg
Hirtenlied
Ich liebe die Wasser im düsteren Flusse.
Wie bade ich gerne in spielenden Wellen
und träume zufrieden bei diesem Genusse.
Genieße es blind, wie bei innigem Kusse
und hüte die Schafe an ufernden Stellen.
Ich liebe die Wasser im düsteren Flusse.
Vom anderen Ufer kam gestern ein Russe,
er wagte zu weiden – ich musste ihn fällen
und träume zufrieden bei diesem Genusse.
Die Hunde des Fremden, zu meinem Verdrusse,
begannen mir lauthals und durstig zu bellen:
Ich liebe die Wasser im düsteren Flusse.
Beschaute mir schlachtrotes Herzblutergusse,
das fruchtbare Weiden mir netzte wie Quellen;
und träume zufrieden bei diesem Genusse.
So spiele mir Flöte aus Baumhaselnusse!
Wie blinken die rötlichen Sterne, die hellen!
Ich liebe die Wasser im düsteren Flusse
und träume zufrieden bei diesem Genusse.
Danke für die Rückmeldung. ja, deine geographische Lokalisierung trifft in etwa zu. unweit östlich der Karpaten, jenseits des Pruth, gibt es den ehemaligen Grenzfluss: Nistru. der hat glaub ich keinen deutschen Namen (oder doch? Dnister?). russisch heißt er Dnjestr. hier hab ich ein schönes Foto gefunden: http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/10778244
im Guten und Bösen archaisch trifft es ziemlich gut. dein Lob freut mich.
zu deinen Vorschlägen:
S2Z2 anstelle „die Schafe“ : „die Herde“
die Präzisierung auf die Art der Herde war mir wichtig. die Schäfer sprechen dort häufiger von den Schafen (oile) als von der Herde (turma). und "am fost cu oile" (ich war mit den Schafen) klingt aus ihrem Munde liebevoller, weicher als "am fost cu turma" (ich war mit der Herde), was praktisch nie verwendet wird. jedenfalls hab ich es nie gehört. ich glaube das klingt in ihren Ohren zu unpersönlich. das wollte ich so ins Deutsche hinüberretten.
S3Z2 „er wagte zu weiden“ durch: „er ließ Schafe weiden“ ersetzen
geht nicht, wegen des Metrums (Schafe würden unbetont daherkommen)
S4Z2 „mir lauthals und durstig zu bellen“ durch „den Totschlag lauthals zu verbellen“ ersetzen
den Tod wollte ich ausdrücklich nicht namentlich genannt haben
S5Z1 „Grün welkte im schlachtroten Herzblutergusse“ (es fehlt hier sonst das Subjekt)
Gras welkt ja nicht von ein bisschen Blut. im Gegenteil. aber ja, du hast recht. das Subjekt (Ich) fehlt hier. grammatisch korrekt müsste die Zeile so lauten:
Ich beschaute mir schlachtrote Herzblutergüsse
S5Z2 „befruchtend die Flächen aus höllischen (zuckenden, bebenden, röchelnden) Quellen“
die Adjektive erscheinen mir hier zu trivial
S5Z3 „Ich träume zufrieden bei diesem Genusse.“ („Ich“ ersetzt „und“ störend?)
hm, ich denke das geht durchaus. ich war damals zu stur auf die wortgenauen Wiederholungen versteift. mittlerweile habe ich bei amerikanischen Villanellendichterinnen dazugelernt. die gehen mit Variationen viel lockerer um. hier bei diesem Text, in der 5. Strophe gibt es Spielraum für Variation. das sehe ich jetzt auch. ich glaube ich kann da ein "und" mit einem "Ich" ersetzen. ja, das mache ich. und der Tempus lässt sich auch anpassen. merci für den Hinweis.
aus
wird
ich hoffe auch das die schon von Don bemängelte Irritation dadurch beseitigt wird.
S6Z1 „So spiele mir Flöte aus Baumhaselnusse“: “Haselflöte spiel mir zum glücklichen Schlusse!“
bitte kein Glück, bloss kein Glück!
S6Z2 :“Rötlich blinken die Sterne, die einst so hellen!“ bezweifelt den glücklichen Ausgang,
weil die Tat –wie jede- Folgen (Blutrache?) haben wird.
mit den rötlichen Sternen sind Alpha orionis (Beteigeuze) und der Mars gemeint. letzterer ist als Kriegs- und Rachegott bekannt, ja.
und bitte komme mir bloss nicht mehr mit Meister und Bannstrahl, sei so gut. dafür kann man hier bei uns im Circus gut und gerne gevierteilt werden ...
Gruss
Alcedo
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