|
|
#1
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
Irrfahrt
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 21.11.2006 12:30von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
Irrfahrt
Der Scheibenwischer vertreibt lautlos die schweren Regentropfen aus meinem Gesicht und die Scheinwerfer fressen sich erbarmungslos in den Dunst der unfreundlichen Novembernacht. Von Zeit zu Zeit huscht ein blaues Hinweisschild vorbei. Ich nehme es kaum wahr. Stunde um Stunde rasen die weißen Begrenzungslinien unter mir hindurch. Giftig rot stechen Lichter in mein müdes Hirn. Noch dreißig Kilometer. Erstaunlich wie sich hier in kurzer Zeit so viel ändern konnte. Damals, nach der Wende, war ich sofort auf dem „Landweg“ aufgebrochen um die Reste des deutschen Kommunismus zu bewundern.
Im Schritttempo ging es seinerzeit über die Autobahn, immer auf der Hut vor überdimensionalen Löchern im Asphalt. Wo heute moderne Raststätten einladen fand man seinerzeit bestenfalls einen Kiosk mit Bratwurststation. Berlin dreißig Kilometer. Mein Herz schlägt schneller. Ja lange war es her und ich hatte mir geschworen nie wieder auf dem Landweg. Ich hatte meine Schwüre ignoriert, eher untypisch. Dann war es doch passiert. Irgendwie hatte ich, wohl in geistiger Umnachtung, die umfangreiche Anfahrtsskizze ignoriert und werde durch ein Hinweisschild, einhundertzwanzig Kilometer nach Warschau, aus meinen Träumen gerissen. Nach Warschau? Ich gerate in Panik. Wie konnte das passieren und mir? Ich nehme die nächste Ausfahrt und fahre in entgegengesetzter Richtung zu dem vermeintlichen Abzweigpunkt zurück. Nach Norden, hämmert es in meinem Kopf, nach Norden. Dreißig Kilometer nach Berlin, verkündet stolz diese blaue Tafel. Hocherfreut suche ich den Norden um nach längerer Zeit wieder zu verzweifeln. Fünfzig Kilometer nach Wismar. Nach Süden, nach Süden befiehlt der innere Kompass. So umrunde ich die Hauptstadt, in ständiger Suche nach der Abfahrt die so wundervoll in der Skizze beschrieben ist. Langsam graut der Morgen, der Regen war einem windigen Schmuddelwetter gewichen und ich bin fast vorbei, vorbei an dem kleinen Schild, das mir den Weg aus dem Chaos zeigen soll. „Kladow“ Die Nummer war filmreif. Ich ramme das Bremspedal fast in die Bodenwanne. Der schwere Wagen schüttelt sich unwillig und scheint zu überlegen ob er sich für diese unfreundliche Geste mit einer Schleudernummer bedanken soll. Doch er bleibt brav, lenkt willig in die gewünschte Richtung und unversehens bin ich allein. Allein auf einer Art Feldweg, der sich im schummrigen Morgengrauen durch Wälder, an Seen vorbei in der Unendlichkeit des Horizonts verliert. Gemächlich zuckele ich diesen Pfad entlang. Ich bin allein, mit mir und der Natur. Ich wollte doch nach Berlin. Na ja Berlin Kladow. Ich habe mich in mein Schicksal gefügt und nach schier endloser Fahr sehe ich dieses wunderbare gelbe Schild. „Kladow“
Der Scheibenwischer vertreibt lautlos die schweren Regentropfen aus meinem Gesicht und die Scheinwerfer fressen sich erbarmungslos in den Dunst der unfreundlichen Novembernacht. Von Zeit zu Zeit huscht ein blaues Hinweisschild vorbei. Ich nehme es kaum wahr. Stunde um Stunde rasen die weißen Begrenzungslinien unter mir hindurch. Giftig rot stechen Lichter in mein müdes Hirn. Noch dreißig Kilometer. Erstaunlich wie sich hier in kurzer Zeit so viel ändern konnte. Damals, nach der Wende, war ich sofort auf dem „Landweg“ aufgebrochen um die Reste des deutschen Kommunismus zu bewundern.
Im Schritttempo ging es seinerzeit über die Autobahn, immer auf der Hut vor überdimensionalen Löchern im Asphalt. Wo heute moderne Raststätten einladen fand man seinerzeit bestenfalls einen Kiosk mit Bratwurststation. Berlin dreißig Kilometer. Mein Herz schlägt schneller. Ja lange war es her und ich hatte mir geschworen nie wieder auf dem Landweg. Ich hatte meine Schwüre ignoriert, eher untypisch. Dann war es doch passiert. Irgendwie hatte ich, wohl in geistiger Umnachtung, die umfangreiche Anfahrtsskizze ignoriert und werde durch ein Hinweisschild, einhundertzwanzig Kilometer nach Warschau, aus meinen Träumen gerissen. Nach Warschau? Ich gerate in Panik. Wie konnte das passieren und mir? Ich nehme die nächste Ausfahrt und fahre in entgegengesetzter Richtung zu dem vermeintlichen Abzweigpunkt zurück. Nach Norden, hämmert es in meinem Kopf, nach Norden. Dreißig Kilometer nach Berlin, verkündet stolz diese blaue Tafel. Hocherfreut suche ich den Norden um nach längerer Zeit wieder zu verzweifeln. Fünfzig Kilometer nach Wismar. Nach Süden, nach Süden befiehlt der innere Kompass. So umrunde ich die Hauptstadt, in ständiger Suche nach der Abfahrt die so wundervoll in der Skizze beschrieben ist. Langsam graut der Morgen, der Regen war einem windigen Schmuddelwetter gewichen und ich bin fast vorbei, vorbei an dem kleinen Schild, das mir den Weg aus dem Chaos zeigen soll. „Kladow“ Die Nummer war filmreif. Ich ramme das Bremspedal fast in die Bodenwanne. Der schwere Wagen schüttelt sich unwillig und scheint zu überlegen ob er sich für diese unfreundliche Geste mit einer Schleudernummer bedanken soll. Doch er bleibt brav, lenkt willig in die gewünschte Richtung und unversehens bin ich allein. Allein auf einer Art Feldweg, der sich im schummrigen Morgengrauen durch Wälder, an Seen vorbei in der Unendlichkeit des Horizonts verliert. Gemächlich zuckele ich diesen Pfad entlang. Ich bin allein, mit mir und der Natur. Ich wollte doch nach Berlin. Na ja Berlin Kladow. Ich habe mich in mein Schicksal gefügt und nach schier endloser Fahr sehe ich dieses wunderbare gelbe Schild. „Kladow“
#2
von Joame Plebis • | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Irrfahrt
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 25.12.2006 00:13von Joame Plebis • | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Schönen Tag, Knud!
So ist das also, der Scheibenwischer vertreibt Regen aus dem Gesicht?
Da bist Du ein bißchen zu nahe am Scheibenwischer.
Ich habe es zwar mit Interesse gelesen; doch fehlen mir die geographischen Kenntnisse in diesem Gebiet. Daß es eine Irrfahrt war, konnte ich schon entnehmen.
Mir erschien es nicht nur eine geographische Irrfahrt, sondern auch eine zeitliche.
Mit spektakulären Änderungen plötzlich konfrontiert sein, das muß erst verkraftet werden.
Das Alleinesein in der Natur, als 'er' dann gemütlicher dahinzuckeln konnte, war bestimmt ein Pflaster für seinen angegriffenen Zustand.
Es ist kurzweilig geschrieben und war interessant!
Freundlichen Gruß,
Joame
So ist das also, der Scheibenwischer vertreibt Regen aus dem Gesicht?
Da bist Du ein bißchen zu nahe am Scheibenwischer.
Ich habe es zwar mit Interesse gelesen; doch fehlen mir die geographischen Kenntnisse in diesem Gebiet. Daß es eine Irrfahrt war, konnte ich schon entnehmen.
Mir erschien es nicht nur eine geographische Irrfahrt, sondern auch eine zeitliche.
Mit spektakulären Änderungen plötzlich konfrontiert sein, das muß erst verkraftet werden.
Das Alleinesein in der Natur, als 'er' dann gemütlicher dahinzuckeln konnte, war bestimmt ein Pflaster für seinen angegriffenen Zustand.
Es ist kurzweilig geschrieben und war interessant!
Freundlichen Gruß,
Joame
#3
von Krabü2 (gelöscht)
Irrfahrt
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 25.12.2006 01:03von Krabü2 (gelöscht)
Hi Knud,
das gefällt auch mir. Da ich in Berlin wohne empfinde ich beim Schreiben nicht nur eine Persiflage des Protagoisten auf sich selbst (ojeh, das war jetzt kompliziert), sondern auch eine ambivalente Gefühlhaltung gegenüber Berlin - eigentlich aber auch verliebt - oder täusche ich mich? Naja, jedenfalls ins Ziel 'Kladow'. Dass es dahin gehen soll, ist klar, und es wird dafür viel 'auf sich genommen', und das ja auch mit Interesse - also verliert der Protagonist nicht seine Fassung; es scheint auch amüsant zu sein, ein wenig.
Das ist das, weswegen mir der Text gefällt. Wegen der Haltung des 'Ichs', die ist durchaus sympathisch, lässig, der 'Typ'.
Grüße
Uschi
das gefällt auch mir. Da ich in Berlin wohne empfinde ich beim Schreiben nicht nur eine Persiflage des Protagoisten auf sich selbst (ojeh, das war jetzt kompliziert), sondern auch eine ambivalente Gefühlhaltung gegenüber Berlin - eigentlich aber auch verliebt - oder täusche ich mich? Naja, jedenfalls ins Ziel 'Kladow'. Dass es dahin gehen soll, ist klar, und es wird dafür viel 'auf sich genommen', und das ja auch mit Interesse - also verliert der Protagonist nicht seine Fassung; es scheint auch amüsant zu sein, ein wenig.
Das ist das, weswegen mir der Text gefällt. Wegen der Haltung des 'Ichs', die ist durchaus sympathisch, lässig, der 'Typ'.
Grüße
Uschi
#4
von lebenlos (gelöscht)
Irrfahrt
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 25.05.2007 14:13von lebenlos (gelöscht)
Hallo Knud Knudsen
Verratest Du durch Deinen Titel nicht zu viel bzw. schon alles?
Das lässt sich ev. verstehen als hätte er Scheibenwischer am Gesicht montiert.
"…aus meinem Sichtfeld… - …aus meiner Sicht…" z.B
Eine Ausdrucksart der Müdigkeit wird oft auf Arme, Beine, das Denken ausgesprochen.
Doch ein müdes Hirn, lässt mich zweifeln.
"…meine müden Augen, erschlaffte - geschwächte Konzentration, zermürbte Wachsamkeit…" z.B.
Wäre der Effekt Deiner Geschichte nicht stärker wenn Du das "Ich hatte meine Schwüre ignoriert, eher untypisch. Dann war es doch passiert." nicht hinzufügst?
Der Leser erhält eine stärkere "Ironie des Schicksals" weil Du ja nachher trotzdem auf dem Landweg…
Hört sich meiner Meinung nach nicht so gut an.
"Doch er fügt sich" vielleicht.
Gebe dem Aussehen Deiner Geschichte ein oder zwei Absätze fürs Auge.
Eine schöne immer wieder alltäglich auftretende Erzählung.
Grüssend
Verratest Du durch Deinen Titel nicht zu viel bzw. schon alles?
Zitat: |
Der Scheibenwischer vertreibt lautlos die schweren Regentropfen aus meinem Gesicht… |
Das lässt sich ev. verstehen als hätte er Scheibenwischer am Gesicht montiert.
"…aus meinem Sichtfeld… - …aus meiner Sicht…" z.B
Zitat: |
…in mein müdes Hirn. |
Eine Ausdrucksart der Müdigkeit wird oft auf Arme, Beine, das Denken ausgesprochen.
Doch ein müdes Hirn, lässt mich zweifeln.
"…meine müden Augen, erschlaffte - geschwächte Konzentration, zermürbte Wachsamkeit…" z.B.
Zitat: |
…geschworen nie wieder auf dem Landweg. Ich hatte meine Schwüre ignoriert, eher untypisch. Dann war es doch passiert. |
Wäre der Effekt Deiner Geschichte nicht stärker wenn Du das "Ich hatte meine Schwüre ignoriert, eher untypisch. Dann war es doch passiert." nicht hinzufügst?
Der Leser erhält eine stärkere "Ironie des Schicksals" weil Du ja nachher trotzdem auf dem Landweg…
Zitat: |
…Doch er bleibt brav… |
Hört sich meiner Meinung nach nicht so gut an.
"Doch er fügt sich" vielleicht.
Gebe dem Aussehen Deiner Geschichte ein oder zwei Absätze fürs Auge.
Eine schöne immer wieder alltäglich auftretende Erzählung.
Grüssend
Besucher
0 Mitglieder und 148 Gäste sind Online Wir begrüßen unser neuestes Mitglied: Christian87655 |
Forum Statistiken
Das Forum hat 8220
Themen
und
61619
Beiträge.
Heute waren 0 Mitglieder Online: Besucherrekord: 420 Benutzer (07.01.2011 19:53). |
Ein Kostenloses Forum | Einfach ein Forum erstellen |