#1

St. Helena

in Diverse 03.12.2006 11:38
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte

    St. Helena
    (gewidmet)


    Das Meer im scheelen Grün der Stofftapete;
    der Himmel wölbt sich, wie der Huren Brust
    und hinter mir ein Jüngling mit Muskete,
    der mich bewacht mit lüstern, geiler Lust.

    Heut Morgen wurd mir ob des Lesens übel.
    Die Dummheit schändet schmählich mein Genie;
    der Husten zwingt mich Zwerg zum Abfallkübel
    und ächzend spuck ich auf die Bourgeoisie!

    So bin ich fern und doch im Geiste nahe:
    Denn ich bin Kaiser bis zum jüngsten Tag!
    Drum hängt, statt mir, den Pöbel an die Rahe
    und fürchtet meinen allerletzten Schlag.


    Audioversion


    © Margot S. Baumann

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#2

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 09:18
von Roderich (gelöscht)
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Hallo Margot,

da tümpele ich mal wieder so vor mich hin und was sehe ich? Dein wundervolles "St. Helena", das ich schon andernorts bewundert und kommentiert habe. Den Kommentar von damals kann ich natürlich auch heute noch so aufrecht halten wie er ist - da hat sich nichts geändert. Nur: Meiner Ansicht nach verliert dein Gedicht hier ein klein wenig an Wirkung aufgrund der Widmung, die hier ein wenig ins Leere geht - es fehlt diese witzige zweite Ebene. Was jedoch bleibt ist ein sehr gut gemachtes, sprachlich überzeugendes Gedicht über einen kleinen Mann, der gerne groß sein wollte und es für eine Zeit lang auch war, ehe der tiefe Fall kam.

Wieder einmal sehr gern gelesen, nur wundere ich mich, dass du es erst jetzt im Tümpel einstellst.

Viele Grüße

Thomas

PS: Btw, netter neuer Avatar! Sehr grüblerisch. Herbststimmung?

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#3

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 09:54
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Tom

He, he ... ja es verliert natürlich etwas an Biss, wenn man die Hintergründe nicht kennt. Das tun eigentlich die meisten gewidmeten Texte, sind sie doch oft nur für Insider wirklich zu entschlüsseln bzw. gehen die Gimmicks nicht unter. Ist ja nicht weiter tragisch ... ich wollt's einfach hier in meine Liste aufnehmen. Es ist drum so, dass ich zuweilen den Tümpel als externe Datenbank missbrauche.

Trozdem danke fürs Kommentieren.
Beste Grüsse
Margot

P.S. Ja, neues Bild, neues "Glück"!

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#4

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 10:36
von Fabian Probst (gelöscht)
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Der Sinn erschließt sich mir nicht, aber manchmal stört das gar nicht (ist vielleicht sogar besser), denn die Sprache ist wieder mal einfach klasse.

Bis auf eine Stelle: "mit lüstern, geiler Lust."

lüstern und Lust haben denselben Wortstamm. Das "geiler" bezeichnet die Art der Lust, OK, ist aber auch sehr ähnlich.
Zumindest das "lüstern" würde ich durch ein anderes Wort ersetzen. Oder ist diese Dopplung auch bewust gesetzt?

Mehr habe ich nicht zu beanstanden, soll heißen, es gibt nichts darin, was ich besser machen könnte und das spricht natürlich für die Qualität.

Gruß, Fabian

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#5

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 10:52
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Fabian

Ne, das lüstern hat nichts zu bedeuten bzw. hänge ich nicht so daran, wie kürzlich an dem 'schalt'. *g Ich kann's problemlos durch ein anderes Wort ersetzen ... brünstig? gierig? ... ich werd's mir überlegen. Danke für den Hinweis.

Wie gesagt, erschliesst es sich Aussenstehenden natürlich nur bedingt, obwohl der ganze Text über Napoleon berichtet. Sogar anhand verbriefter Überlieferungen. Z.B. der Stofftapete u.Ä. Es würde jetzt auch nichts bringen, wenn ich hier erzählen würde, wieso und weshalb ich den Text verfasste. Das ist Schnee von gestern und man muss auch mal einen Schlussstrich ziehen können. Verstehe aber, dass mein Kommentar jetzt natürlich die Neugier schürt. Sorry, daran habe ich nicht gedacht. Roderich, oh Roderich, hättest Du geschwiegen!

Danke fürs 'klasse' und den Kommentar.
Gruss
Margot

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#6

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 11:02
von Albert Lau (gelöscht)
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Hallo Margot!

Ich muss wohl nicht mehr betonen, dass das routiniert, teilweise inspiriert gedichtet ist, formal sauber, handwerklich perfekt. Aus der Laune heraus, zielsicher anvisiert und abgeschossen und doch zwei Strophen lang auf diesem Niveau dichtend, das nötigt mir Respekt ab.

Inhaltlich geht es am großen Korsen für meine Begriffe ziemlich vorbei, wenn auch alle Einzelheiten stimmen mögen, so bleibt für den uninformierten Leser gänzlich unklar, wieso dem Bonaparte hier übel ward und warum er nun ausgerechnet auf die Bourgeoisie spucken soll. Und diese möge doch bitte eher den Pöbel aufknüpfen, als ihn? Das Wort Pöbel („le peuple“ - „das Volk“) kann für Bonaparte kein Schimpfwort gewesen sein, galt sein Kampf doch eher dem Adel und dem Klerus und verschaffte der Bourgeoisie den Durchbruch zur Macht. Immerhin hat er anlässlich der Franz. Revolution als Offizier nicht etwa abgedankt, sondern für die Sache gekämpft. Sicher hat der kleine Korse zum Ende hin das Maß verloren, aber ist doch nicht zum absolutistischen Despoten mutiert. Zumindest die Bourgeoisie und den Pöbel hatte er wohl weitgehend hinter sich und das mit Recht!

Im Zusammenhang geht das alles gerade so, für sich allein kann das Werk für meine Begriffe nicht bestehen, ist es doch zu nah am Widmungsträger.. Hier erwacht ein größenwahnsinniger Zwerg eher überrascht im bewachten Exil, liest sein Urteil und kotzt sich dann über diejenigen aus, die so dumm waren, ihn zu exilieren und droht ihnen Vergeltung dafür an. Napoleon aber war kein Zwerg, sondern ein Riese, Ehre wem Ehre gebührt. Deinem Widmungsträger gebührte diese Ehre sicher nicht.

Fazit: Wunderbar intelligente und fein ironische Sottise, die ihr Ziel exakt trifft. Nur wer das Ziel nicht kennt, dem geht sie fehl.

Die Ente grüßt.

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#7

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 11:26
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Al

Na so ganz fern der Realität ist das Textlein dann doch nicht, obwohl natürlich einiges ironisch dazugedichtet wurde. Gerade das Erbrechen und die Übelkeit haben einen realen Bezug. Na ja, es rankt sich wenigstens eine Legende darum.
Quelle Wiki: Es gibt auch die Theorie, dass Napoléon von seiner Tapete vergiftet wurde. Diese enthielt nämlich den aus Kupferarsenit bestehenden Farbstoff „Scheeles Grün“. In trockenem Klima waren diese Farbpigmente ungefährlich, doch in dem feuchten Klima auf St. Helena zersetzten sie sich und gaben gasförmiges Trimethylarsen frei, welches Napoléon eingeatmet haben könnte.

Aber natürlich hast Du Recht, dass ich da meiner Phantasie freien Lauf gelassen habe. In der Euphorie und Schadenfreude ( ) habe ich doch recht heftig auf den Dichterputz gehauen. Aber es steht natürlich – ohne Bezug zum Gewidmeten – doch etwas mit kurzen Hosen da. Napoléon hätte sich selber wohl auch kaum als Zwerg bezeichnet. Und auch mit der Bourgeoisie und dem Pöbel hast Du Recht, aber es passte eben so gut.

Danke, Du Ente, fürs Kommentieren und Gruss zurück!
Margot


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#8

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 12:04
von Albert Lau (gelöscht)
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Ja, ich schrieb ja, dass die Einzelheiten stimmen und z.B. dieses scheele Grün finde ich hervorragend! Und dass der vermutlich alle Nas lang kotzen musste, geschenkt.

Wenn das lyrische Ich aber das "Heute morgen" erwähnt und die Übelkeit explizit mit dem Gelesenen verbindet, dann ist das für den uneingeweihten Leser extrem verwirrend, wie ich meine. Dann rätselt man, was er denn da gelesen haben kann und folgt der Autorin, dass es wohl nur sein Verbannungsurteil sein kann.

Nicht falsch verstehen: Ich finde den Einfall hervorragend, die Verquickung mit verbürgten Einzelheiten raffiniert und die Geschwindigkeit, quasi am Abend der Verbannung ein solches Gedicht vorzulegen, einfach atemberaubend. Hier spricht nicht plumpe Schadenfreude, sondern geistreicher Sarkasmus. Grandios!

Genial wäre es gewesen, hätte es auch der Nachwelt als Lehrstück dienen können. Dafür aber ist es zu stark auf Bonaparte fokussiert und gleichzeitig zu weit von ihm weg, da am Widmungsträger dran. Ich glaube aber, du bist ebenso verdient, wie ausreichend gelobt, wenn der einzige Vorwurf lauten kann, dass es kein Geniestreich ist. Ich bewundere es ansonsten rückhaltlos.

Übrigens: Mag sein, dass es Schnee von gestern ist, aber die Personen sind immer austauschbar und das Prinzip funktioniert nach wie vor und das liegt vor allen Dingen daran, dass eben nicht der Kaiser exiliert wurde, sondern nur sein Scharfrichter. Aus der eigenen Perspektive aber war es ganz sicher Napoleon selbst, insofern ist dein Gedicht absolut stimmig.


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#9

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 12:05
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
hi Marg,
auch ich will meinen Senf dazugeben.
Zuerst möchte ich gerne wissen wem das gewidmet ist
dann "scheel" für eine Farbe? Das finde ich etwas eigenartig. Kommt doch scheel von schielen. "Er hat einen scheelen Blick, Tünnes und Scheel (der der schielt) Na gut.
Ansonsten die Geschichte des Korsen schein hinlänglich bekannt. Die Arsenvergiftung und die Theorien dazu reichen in der Tat von bewusster langsamer Vergiftung, durch den englischen Kommandeur der N. bei Bedarf die Gunst seiner Frau zuspielte, bis zur Ausdünstung der Tapete. (an die ich persönlich nicht glaube)Übrigens nicht alle körperlich kleinen sind auch klein, wie AL schon bemerkte.
Sonst ist die Form wie immer ansprechend und gekonnt.
Gruss
Knud

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#10

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 12:50
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Danke, Al. Auch wenn es sicher kein Lehrstück ist, hat es mir doch unsägliche Freude bereitet, es zu schreiben. Und evtl. ist das auch das "Problem". Natürlich freue ich mich über das Lob. Spottgedichte sind ja immer nur so gut, wie sie den Empfänger bzw. das Umfeld zu erreichen vermögen, aber die Intention dahinter lässt auch einen etwas schalen (nicht scheelen) Geschmack zurück. Denn im Grunde setze ich mich mit dem Bewidmeten auf die gleiche Stufe. Aber, na ja, wir sind halt alle nur Menschen und nicht frei von kleinlichen Empfindungen.

Knud, das 'scheel' bezieht sich auf den Apotheker Carl Wilhelm Scheele, ist also keine Frabe o.Ä. Und frag nicht so scheinheilig nach dem Gewidmeten!

Btw. müssten wir ihm eigentlich auch Dank bezeugen. Ohne sein Wirken gäbe es m.E. den Tümpel gar nicht.

Vielen Dank für die Kommentare! Und es ist jetzt wohl an der Zeit, den Jungen ruhen zu lassen.

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#11

St. Helena

in Diverse 04.12.2006 13:43
von Albert Lau (gelöscht)
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[QUOTE][b]Margot schrieb am 04.12.2006 12:50 Uhr:[/b]
Und es ist jetzt wohl an der Zeit, den Jungen ruhen zu lassen.[/QUOTE]
Dieser Junge mag beerdigt sein, das ihn ermöglichende Prinzip aber ist am Wirken. Insofern sind auch solche Nachrufe nötig und wichtig.

[QUOTE][b]Margot schrieb am 04.12.2006 12:50 Uhr:[/b]Denn im Grunde setze ich mich mit dem Bewidmeten auf die gleiche Stufe[/QUOTE]
Nein, absolut nicht! [20] Schließlich wird kein grober Keil, sondern ein feines Stilett in den groben Klotz getrieben! [18]

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#12

St. Helena

in Diverse 05.12.2006 12:48
von Knud_Knudsen • Mitglied | 994 Beiträge | 994 Punkte
Ok Marg, Scheeles Grün, Mineralgrün, Schwedischgrün, habe verstanden,mit scheelem Gruss
Knud

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#13

St. Helena

in Diverse 05.12.2006 17:55
von *Chris* (gelöscht)
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Hallo liebe Margot,

Ich habe deinen Text schon andernorts gelesen und wo ich ihn hier nun auch sehe will ich auch mal mein Lob dalassen
Von kompetenterer Seite wurde dein Text ja schon "auseinandergenommen" darum kann ich eh nur noch mit einem "Sehr schön" beisteuern
Ich meine, die Hintergründe dieses Textes zu kennen...schade, dass das Herzblut oft dafür "verschwendet" wird um jemanden zu bewidmen, gegen den man leichte Antipathie hegt Aber egal, der Text an sich ist ja trotzdem gut^^

Und noch ein Lob (hoffentlich wirst du nicht überheblich...wenn dus nicht eh schon bist ) gilt der Vertonung. Ich habe ja schonmal gesagt, dass mir deine Stimme gefällt...dieser lustige Akzent

Tut mir leid, dass es von meiner Seite nicht mehr zu sagen gibt aber manchmal fehlen einem auch die Worte


LG Chris

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#14

St. Helena

in Diverse 06.01.2007 11:06
von Margot • Mitglied | 3.054 Beiträge | 3055 Punkte
Hi Chris

Entschuldige die späte Antwort. Ich war ... ehm ... etwas beschäftigt.

Vielen Dank für das Lob. Nein, ich hoffe nicht, dass ich überheblich werde, das Leben staucht das Ego ab und zu schon wieder auf die normale Grösse zurück, keine Angst. *g

Ich glaube auch nicht, dass Gedichte, die aus Verärgerung oder Antipathie entstehen, verschwendetes Herzblut sind. Es braucht doch immer einen bestimmten Auslöser für einen Text, und manchmal ist dies eben Schadenfreude.

Danke fürs Kommentieren und das Gefallen meines drolligen Akzentes.

Grüsse
Margot

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