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Baltus Fehn

in Zwischenwelten 29.06.2007 13:10
von Epiklord (gelöscht)
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Er war beunruhigt. Wie konnte ihn Frauen- Augengewebe nur so in Verzückung versetzen? Die junge Anna, Tochter des Modezaren Pretorius, wurde ihm vorgestellt. Baltus Fehn hatte an dem Abend eine Gesellschaft in seinen Bungalow eingeladen, Geschäftsleute wie er, mit ihren Ehefrauen und erwachsenen Töchtern und Söhnen. In Annas großen Augen lagen ruhig und klar die himmelblaue Iris und die vor Erregung weit geöffneten Pupillen. Sicher hatten gewisse Schlüsselreize ihn verwirrt. Aber Annas Körper steckte noch in dem massigen Pelzmantel. Vielleicht spielte ihm die Phantasie einen Streich, indem er sich einen erotischen Körper zu ihrem ovalen, feinen, aber energischen Gesicht vorstellte, wie pollierende Knaben in ihren Träumen. Beim Betrachten ihres feuchten, prallen verlangenden Mundes merkte er ein unwillkürlich verkrampftes Schlucken hinter seiner Zunge. Anna lächelte ihn an, lobte seine glatten, gepflegten Hände, verschwieg dass sie zu kurz geraten waren.

Baltus listige, braune Augen versanken lüstern hinter ihren Schlupflidern. Die hohen, derben Wangenknochen und die dickfleischige, an einen Kloß erinnernde Nase, machten ihn zu einem an Fettsucht leidenden, trägen Pseudo-Mongolen. Baltus Hals war zu einem fetten Polsterring entartet, wie eine zu Fleisch gewordene medizinische Halsmanschette, der ganze kahle Rundschädel mit einer trunksüchtig wirkenden, blauroten Farbe überzogen, was ihm einen bäuerlichen Touch gab. Sein voluminöser Bauch versperrte ihm die Sicht auf seine verzweifelt schräggestellten, wie unter der Last wegknickenden, mickrigen Beine.

Anna war von Schönlingen aus allerfeinsten Kreisen ausgeführt worden, sie hatte ein diszipliniertes Auftreten mit Stil und Anmut. Nur kurzzeitig protzte sie mit den verzogenen Adelssöhnen durch die Nobelschuppen. Annas Herz vermisste wirkliche Zuneigung, einen Mann auf den Verlass war, der sie um ihrer selbst willen liebte. Und den glaubte sie in Baltus Fehn gefunden zu haben.

Am liebsten hätte Baltus seinen lästigen Leib abgestreift wie eine Schlangenhaut, denn darunter verbarg sich eine grazile, sensible, gebildete, mitunter auch heroische, aber kultivierte Natur, die durch die oberflächliche Gestalt an ihrem Dasein behindert wurde. Doch Anna hatte schnell die schöne Seite seiner Natur aktiviert, dass er die hässliche vergaß. Anna besuchte ihn für zwei Wochen, dann blieb sie wieder für eine Woche daheim.

Baltus genoss die Zeit mit ihr. Nach außen hin und für Anna schien das Glück perfekt. Ihre Temperamente harmonierten, sie waren zärtlich miteinander, Meinungsverschiedenheiten wurden fair ausgetragen, sie witzelten an seinen freien Wochenenden von morgens bis abends. Baltus war scheinbar unbeschwert. Es gab auch keinen vernünftigen Grund sich über sie zu beschweren. Und dennoch umarmte er sie wie eine neurotische Mutter ihre Tochter. Er schlang seine Arme um sie und drückte sie doch gleichzeitig etwas zurück. Anna schien es nicht zu merken und kuschelte leidenschaftlich gerne mit ihm. So wies er sie nicht ab, selbst wenn er im Augenblick keine Lust dazu verspürte.

Wenn er dann aber wieder allein war, durchströmte ihn ein sagenhaftes Gefühl des Losgelöstseins. Als Einzelkind war er aufgewachsen, seine Eltern waren ständig geschäftlich eingebunden, Baltus sich selbst überlassen gewesen. In der Schule hatte er keine Freunde gehabt. Er hatte es gelernt, sich selbst zu genügen. Jetzt, wo er mit Anna zusammen war, fühlte er diesen Mangel aus seiner Vergangenheit bedrohlich in ihm aufsteigen, diese Vereinsamung. Erst jetzt wurde ihm hautnah klar, dass er sich wie ein Hund all die Jahre dazu hat abrichten lassen und nun war diese egoistische, gefestigte Einheit zu keinem tiefen Bezug zu anderen mehr fähig. Nie hatte er es mehr gespürt als mit ihr, und dabei konnte er sich keine idealere Frau für sich vorstellen. Doch es war kein Platz in seinem Leben, in der Tiefe seiner Persönlichkeit, den sie hätte füllen oder ergänzen können. Mehr und mehr wurde es zur bitteren Gewissheit.

War sie aber fort, malte er liebevoll ihr Portrait und seine Gedanken kreisten um sie. Dann klingelte es an der Tür. Er schreckte auf, denn er hatte nicht mehr daran gedacht, dass sie heute ihren Besuch angekündigt hatte. Er schlich zur Tür und linste durch den Spion. Sie hatte sich hübsch für ihn geschminkt, in ihren Augen lag ein erwartungsvolles, liebliches Lächeln. Gleich würde er öffnen und sie ihm selig in die Arme fallen.

Aber er öffnete nicht. Sein Auto stand vorm Haus, er musste da sein. Sie schellte erneut. Und auf einmal stieg Angst in das Bewusstsein der jungen Frau, die verschlossene Tür offenbarte sein verschlossenes Herz. Irgendwie geisterte diese Empfindung schon von Anfang an wie ein Phantom zwischen ihnen, nur hatte sie es sich nie eingestehen wollen, und sie ging verhaltenen Schrittes fort. Er wollte sie zu sich hereinholen, ihr sagen, dass er nicht mehr mit ihr zusammensein wolle, dass er nicht anders könne. Aber sie wird es nicht begreifen, schoss es ihm durchs Hirn und er schaute ihr durchs Fenster nach, wie sie mit gesenktem Kopf langsam davon schritt, und dann stockte sie, als wollte sie doch noch umkehren. Sie blickte sich noch einmal kurz nach seinem Haus um. Er trat einen Schritt von der Gardine zurück.

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