#1

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 16.07.2007 12:20
von Albert Lau (gelöscht)
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Traumfänger


In feuchten Träumen wurdest du geboren,
um meiner Scheu die Nemesis zu sein.
So habe ich die Unschuld nie verloren
als Lüstling unter heiligerem Schein.

Nur quält mich jeder Tag nun um so länger
und ungeduldig harre ich der Nacht.
Die Pharmazie* verhindert einen Hänger,
dann schläft der Mensch, die Leidenschaft erwacht.

Und mit ihr auch mein geiles alter ego,
es drängt und treibt die Muse vor sich her,
es steigert sich in gierigem Crescendo,
doch bleibt in der Erfüllung seltsam leer.

Ich wache morgens auf und bin gerädert,
die Meeresströmung brandet nun ins Haff.
Die letzte Dünung bricht, der Strom verädert
im limbischen System und ich bin schlaff.

So brande ich im Wechsel der Gezeiten:
Ich dümpele am Tag, doch in der Nacht
ist keine Welle hoch genug. Wir reiten
durch Berg und Tal und preisen Morpheus Macht.



* Danke, GW!
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#2

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 16.07.2007 14:58
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Hallo Al,

hinter diesen Zeilen vermutet man beim Lesen eine interesante Geschichte und man möchte quasi Mäuschen spielen bei den Träumen des lyrI.
Es ist das Porträt eines Traumjunkies. Ob der Schlaf hier generell eine Metapher für einen Drogenrausch ist, sei mal dahin gestellt. Funktionieren würde es meiner Meinung nach. Ich mag aber persönlich auf die Vorstellung und das Bild mir solche Szenarien 1:1 auszumalen.
Kurz eine Formalie: Ende S2Z1 würde ich ein Komma setzen.
In der ersten Strophe wird das geile Alter Ego angesprochen, in dem sich das Ich gleichsam einem verkleideten Superhelden auslebt, was so aufregend ist, dass die müden Tage dem Ich ganz schaal und als Hänger erscheinen. Die Nacht wird stets ersehnt. Doch wie wir in Strophe drei erfahren, bleibt auch die Erfüllung der NAcht leer. So pendelt das Ich im täglichen Wechsel zwischen letzlich leerer nächtlichem Abenteuer und tagsüber quälender Schlaffheit.
"Die Pille hier" in S2Z2 finde ich suboptimal. Ich denke gleich "wo hier?" und empfinde das Hier als irreführenden Füller. Gegenvorschlag wäre von mir "Die Pharmazie verhindert einen Hänger".
Komisch finde ich, dass die Nacht außer in der Erwähnung der Leere in S3Z4 die Nacht durchweg positiv beschrieben wird, als absoluter Supertrip. Darauf wird am Schluss auch kein Bezug mehr genommen, was mich dann letztlich etwas irritiert und das ganze leicht unrund wirken lässt. Wenn ich mir die Leere bzw. diesen Sprung jedoch wegdenke, so nimmt das Gedicht in den letzten beiden Strophen richtig Fahrt auf, nicht zuletzt aufgrund der starken poetischen Bebilderung als auch weil sich dort Sätze finden, die über die Länge eines Verses hinausgehen, was zu einem stärkeren Fluss führt, Gipfel ist dann das Enjambment am Schluss. Somit steigert sich das Gedicht auch formal zu einem Höhepunkt am Ende hin, was mir sehr gut gefällt. Die letzte Strophe bringt es super auf den Punkt.

Viele Grüße,
GW

_____________________________________
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#3

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 16.07.2007 15:20
von Albert Lau (gelöscht)
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Hallo GW,

vielen Dank für dein Feedback.

Das mit dem Komma sehe ich nicht so. "Die Pille hier" ist nicht suboptimal, sondern einfach nur grottig und peinlich und gehörte mir als Zäpfchen verpasst, dass ich so etwas hier hereinsetze. Ich nehme die "Pharmazie" dankbar, de- und reumütig entgegen.
Die Nacht ist sicher aufregend, ob sie nun nur positiv dargestellt ist, weiß ich nicht. Auch dieser Trip bleibt letzlich hohl bzw. hinterlässt das ich unausgefüllt.

Danke für das übrige Lob.

DGadE
Albert
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#4

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 16.07.2007 17:30
von Erebus (gelöscht)
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S2Z1 hat eine merkwürdige Zähigkeit:
Zitat:

Nur quält mich jeder Tag nun um so länger

obwohl die Formulierung an sich nicht zu beanstanden ist, und keine Füllung enthält, blieb ich dort hängen. gleiches gilt für S3Z4
Zitat:

doch bleibt in der Erfüllung seltsam leer.

da muß der Leser guten Willen mitbringe. Besser fände ich etwas wie "doch ist/bleibt/wird/ mir die Erfüllung seltsam leer."
Inhaltlich kann ich nicht klären: wer oder was ist denn LD aus S1? Spricht sich das LI hier selbst als LD an? Oder wendet sich das LI an einen Traum, der aus feuchten Träumen geboren wurde? Wird mir nicht klar.
LI beschäftigt sich dann bis zur vorletzten Zeile ausschlißlich mit sich selbst, dann kehrt das LD nochmal im "wir" zurück? Das ist mir zu schwummerig.

Die Nemesis weiß ich ebensowenig richtig aufzulösen. LD wird zur Vergeltung der Scheu? Nemesis tritt hier an wegen Onanie -oder was? Kapier ich nicht. Und je länger ich versuche, das zusammen zu bekommen, desto schwieriger wird's.
GW ist ja ohne zu stolpern darüber weg gekommen, ich schätze, ich bin ganz einfach vernagelt.
So richtig logisch erscheinen mir dann auch die beiden nächsten Zeilen nicht, und vor allem: was hat das denn mit dem folgenden Test zu tun.
Nein, mit dieser Eingangsstrophe habe ich Schwierigkeiten...

Ansonsten, null Problemo und besonders zum Ende hin wiklich schön.

LG Ulrich
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#5

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 17.07.2007 10:05
von Albert Lau (gelöscht)
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Hi Erebus,

danke für diesen Kommentar. Die Zähigkeit der Zeile 1 in S2 ist tatsächlich faszinierend, wie ich fand. Ich konnte ihr nicht widerstehen. Es liegt, wie ich meine, ausschließlich an den Wörtchen "nur" und "nun", denn
Nun quälen mich die Tage um so länger
oder sogar
Nun quält mich jeder Tag nur um so länger
laufen runder, werden widerstandsloser geschluckt.
Jedenfalls freue ich mich über die Zähigkeit, denn die war ja inhaltlich beabsichtigt. Sie lässt übrigens nach, je häufiger man sich daran versucht.

Den für S3Z4 etwa speziell erforderlichen guten Willen kann ich nicht nachvollziehen. Hier muss man auch das Tempo herausnehmen und in etwa so lesen: doch bleibt - in der Erfüllung - seltsam leer. Jedenfalls muss das so stehen bleiben, da muss ich dann eben durch.

Warum das LD unklar bleibt, ist mir schwummerig geblieben. Ich finde das alles sehr klar, möchte es aber nicht erklären müssen. Entweder habe ich mich verständlich gemacht oder eben nicht. Ich kann es nicht besser sagen. Wenn es dir zum Ende hin dennoch ein gewisses Gefallen entlocken konnte, dann ist das doch auch etwas, wenn es dir denn auch inhaltlich eher verschlossen blieb. Letzteres liegt an mir, denn ich habe die Tür vernagelt, nicht du.

DGadE
Albert
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#6

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 17.07.2007 10:14
von Erebus (gelöscht)
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hi,

da habe ich mich wohl dümmlich ausgedrückt.

"Und mit ihr auch mein geiles alter ego,
es drängt und treibt die Muse vor sich her,
es steigert sich in gierigem Crescendo,
doch bleibt in der Erfüllung seltsam leer. "- da fehlt m.E. das Subjekt/Pronomen - deshalb der gute Wille.

Lesetechnisch kommt das ohne weiteres hin, in der Hinsicht ist es stimmig.

LG
Ulrich
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#7

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 17.07.2007 10:21
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Guten Morgen,

also, ich habe das LD aus Strophe 1 als das in Strophe 3 benannte "geile Alter Ego" verstanden, das dort in Form des "es" auch das Subjekt der Strophe 3 darstellt. So zumindest meine Interpretation.
Die Nemesis der Scheu ist für mich einfach das Gegenstück, sowas wie der böse Zwilling. Nemesis ist zwar ne Rachegöttin, aber das unterstreicht für mich in dem Zusammenhang nur den agressiven Charakter des geilen Alter Ego.

Grüße,
GW

_____________________________________
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#8

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 17.07.2007 10:33
von Erebus (gelöscht)
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@GW

ja, das könnte in der Rückschau zu dem Text wohl hinkommen.

Wenn ich das Nageleisen beim Lesen daran vorbeiführe finde ich dennoch nicht den richtigen Ansatzpunkt.
Macht aber nix paßt scho !

LG
Ulrich
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#9

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 17.07.2007 14:43
von Maya (gelöscht)
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Nein, ich verstehe das anders als GW, für mich ist das Du die "Göttin", die fantasierte Traumgestalt, mit der das lyrI in Gedanken seine Erfüllung findet. Seltsam leer fühlt es sich, weil es hier lediglich bei Selbstbefriedigung bleibt. Wäre in S1 damit das lyrI selbst gemeint, wäre es auf sich selbst scharf, was ich irgendwie weniger anregend fände.

Für mich ist das Gedicht bis auf einen Vers klar verständlich. Was hat es mit der Pharmazie auf sich? Ich muss da gleich an Viagra denken und an jemanden, der zwar will, aber nicht kann. Im Zusammenhang mit Onanie klingt das befremdlich und will mir nicht so recht zur Leidenschaft passen. Da reicht wohl die Muse in Gedanken nicht aus, um einen Hänger zu verhindern oder wie? Jedenfalls finde ich es der Erotik, die hier aufgebaut wird, etwas abträglich. Vielleicht bezieht sich dieser Hänger auch gar nicht auf die zuvor erwähnte Nacht, sondern auf den in Z1 benannten Tag. Somit wären diese Pillen Aufputschmittel, um während der Arbeit nicht einzuschlafen. So richtig klar ist mir die besagte Stelle nicht.

Insgesamt gesehen ist das in meinen Augen ein gelungenes, stimmungsvolles Werk, welches mit wunderbaren Formulierungen gespickt ist, beispielsweise finde ich die Z4 der S3 einfach großartig. Wie man Enjambements wirkungsvoll einsetzt, führst du dem Leser in S1, Z3-4 und S4, Z3-4 beispielhaft vor Augen, wogegen jenes in S5 weniger „reinhaut“.

Man könnte etwas am unsauberen Reim S3, Z1,3 rummäkeln, wären diese Reimpartner nicht so unglaublich innovativ.

Mir gefällt’s.
Gruß, Maya
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#10

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 17.07.2007 16:05
von Albert Lau (gelöscht)
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Hallo Maya!

Natürlich ist sie das und da bin ich doch froh, dass das nicht komplett unverständlich war.

Die Pharmazie muss diesem LI sowohl über den Tag, als auch durch die Nacht helfen, da er sonst beide im Dämmerzustand verbrächte. Also putscht er sich tagsüber auf, um sich nächtens wieder runter zu bringen.

Bei solchem Lob ertrage ich auch jedes Mäkeln. Hab Dank!

DGadE
Albert
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#11

Traumfänger

in Liebe und Leidenschaft 01.08.2007 02:58
von bipontina (gelöscht)
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ich glaube, ich bin interpretationsbedürftig: in feuchten Träumen geboren? Welches "Du"? Du selbst oder Dein alter ego? Ich denke, Du selbst kannst es nicht sein, denn geboren wird bestenfalls im Kreißsaal. Und wenn das Geborene Dir Nemesis ist, hast Du ein schweres Schicksal. Meine doofe Unschuld wurde leider nicht durch eine Nemesis gerettet, im Gegenteil. Aber all das in Parenthese.
"Alter Ego ... / Crescendo " tät ich dummer Vogel in "Alter Ego.../ ... erego " ändern oder sowas reimliches. Oder auch nicht. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
Du sollst nur wissen, daß ich mich mit Deinem Poem sehr beschäftigt habe. Wiederholt.

Lieben Gruß
bipontina
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