#1

Der Philosophen Fluch

in Philosophisches und Grübeleien 16.09.2007 23:53
von Richard III | 868 Beiträge | 871 Punkte
Weshalb nur muss das Denken uns wie Rauch ersticken,
lässt unsern Geist Gefangene im eignen Körper sein?
Erfordert Flucht und Dasein solcherart dieselbe Pein,
verbleibt ein hin und her, ein zwischendrin verstricken.

Die leeren Taten, die das Elend uns verscheuchten,
sind schnell verlebt und schlagen uns mit ihrer Armut wund.
Jedoch den Dingen stets den Boden auszuleuchten,
ist gleichsam schmerzhaft, wenn nur Nichtigkeit auf diesem Grund.

Selbst wenn man uns die trauervollen Augen blendet,
so wüssten wir, es führe niemals ans begehrte Ziel -
es wäre nie ein weniger, die Welt uns noch zuviel -
und dass Erkenntnis nicht mit äußrer Blindheit endet.

Ach könnten uns wie einst die glimmend hellen Lichter
der Sterne, Boten einer gottgewollten Schönheit sein
und nicht nur Illusion dem längst verzagten Dichter,
der wohl vergaß, dass sie es sind und nicht nur hohler Schein.

Denn ist es nicht der Philosophen abgestumpfter Fluch,
dass sie das Leben nur noch in Gesamtheit deuten
und es in ihrer Qual mit seinen Wundern häuten?
Was bleibt ist ein Skelett des Wesentlichen, ein Versuch.

And therefore, since I cannot prove a lover,
To entertain these fair well-spoken days,
I am determined to prove a villain
And hate the idle pleasures of these days.
(William Shakespeare, King Richard III)
Www.kings-heritage.blogspot.com
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#2

Der Philosophen Fluch

in Philosophisches und Grübeleien 20.09.2007 23:23
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Weshalb nur muss das Denken uns wie Rauch ersticken,

Was ist das für ein Gegensatz? Wir auf der einen und das Denken auf der anderen Seite? Das Denken gehört doch zu uns, oder nicht? Ohne das Denken kann ich mir uns nicht vorstellen. Ein Wir, ein Du, entsteht für mich erst aus dem Denken. Ersticken, sterben daran? Nein, denken macht für mich Euer euch erst lebendig. Natürlich könnte ich daran wahnsinnig werden, wenn ich denke, dass ein jeder sich im uns und im anderen sehen könnte und denkt: doch nur alles ich. Also ersticke ich doch an mir?

lässt unsern Geist Gefangene im eig`nen Körper sein?

Das Denken lässt unseren Geist gefangen sein? Geist und Denken sind hier Gegenspieler? Ich hätte gedacht : Körper und Geist? Oder ist der Geist die Seele, die durch allzu vieles nachdenken des Denkens, sich dem Denken unterwerfen muss? Warum aber? Das zeugte doch von Kleingeistigkeit. Aber hier tritt das Denken, das Sinnieren und das Reflektieren als Zerstörer eines nebulösen Geistes – in dem ich wohl vergraben bin - auf. Aber, das Gegensatzpärchen ist mir neu.

Der Körper spielt mittlerweile gar keine Rolle mehr. Rein vegetativ bewacht er unser körperliches Befinden und ist, wenn überhaupt, ein Leukozyten Krieger, aber meistenteils spielt nur die Umwelt, ohne dass er es blicken oder ändern könnte, an seinen hormonellen Reglern, was, bei entsprechender Reizung, immerhin dazu führen kann, dass er einen halben Satz seiner Gene versenkt oder zu seiner Hälfte geschenkt bekommt. Die Kleinigkeit der Fortpflanzung halt.

Und warum es heißt, dass wir gleich zu mehreren in einem Fleischsack stecken und nicht allein gefangen in unserem Körper sind, ist mir auch ein Rätsel.

Erfordert Flucht und Dasein

Und wieder nehme ich ein Time Out. Denn Flucht, also weg zu wollen von seinem momentanen Ort und Dasein, denn Dasein ist für mich am Ort zu bleiben, verbinde ich eher mit einem Oder als mit einem Und.
Flucht wo vor? Vor dem Dasein, dem Denken? Vor Allem? Aber das Und zwischen der Flucht und dem Dasein könnte auch bedeuten, dass unser Dasein nur eine Flucht vor dem Dasein ist, sprich unser Dasein eine Flucht ist. Also Und nicht Oder. Denn sobald wir beginnen über unser Dasein nachzudenken, beginnen wir unserem Dasein zu entfliehen. Das Denken – um es wiederaufzunehmen – entfremdet uns von uns selbst. Aber auch unserem Geist.

Das ist sehr angespannt.

solcherart dieselbe Pein,
verbleibt ein hin und her, ein zwischendrin verstricken.


Ich bin schon ganz tief verstrickt. Aber solcherart kann ich als Bestätigung lesen.


Die leeren Taten, die das Elend uns verscheuchten,

Nicht leere Worte, nein, Taten, die aber doch auch so leer sind wie Worte, verscheuchen das Elend. Sozusagen mit geringstem Aufwand wird ein Elend beseitigt. Aber sie

sind schnell verlebt und schlagen uns mit ihrer Armut wund.

Die Taten erweisen sich als armselige Gedanken, als billiges Denken

Jedoch den Dingen stets den Boden auszuleuchten,
ist gleichsam schmerzhaft, wenn nur Nichtigkeit auf diesem Grund.


Da sind wir – vermute ich mal mutig in diesen Nebel gestochen – wieder bei dem rauchenden Denkerschädel, der aber für das LI schlicht nur erstickt, statt erhellt. Wobei ich dem LI zurufen will: Jepp, Du hast recht, aber gelinde gesagt, qualmt Dein Haupt schon fürchterlich.


Selbst wenn man uns die trauervollen Augen blendet,
so wüssten wir, es führe niemals ans begehrte Ziel -
es wäre nie ein weniger, die Welt uns noch zuviel -
und dass Erkenntnis nicht mit äuß`rer Blindheit endet.



Entschuldigung, das wiederholt sich doch? Kann da nicht stehen: Ich habe die Schnauze voll von Hirnwixereien, also lass mir mein Gefühl! Ich speie auf Ironie und reinen Verstand, denn Verstand, Reflektion und kluge Worte stillen weder meinen Hunger, noch füllen sie meinen Magen, kurzum: ich fühle also bin ich. Es lebe hoch der Anti Descartes.



Ach könnten uns wie einst die glimmend hellen Lichter
der Sterne, Boten einer gottgewollten Schönheit sein
und nicht nur Illusion dem längst verzagten Dichter,
der wohl vergaß, dass sie es sind und nicht nur hohler Schein.


Nein, verzagen muss niemand vor einem Doppler Effekt und einem Hubble Teleskop. Verzaget ist nur der, der nicht lernen will, dass seine Erde keine Scheibe ist. Das ist so, als verneine man, dass es hinter allem Budenzauber eines wunderbaren Gedichtes auch Regeln und Fundamente gibt. Nur wer seine Augen öffnet und sich nicht blenden lässt, verzagt auch nicht, sondern dringt in Sphären vor, die eben nicht ehern sind sondern das ganze Universum quantenweise tanzen lassen. Zumindest bis zum nächsten Paradigmenwechsel oder einem weiteren Griff durch den Regenbogen.


Denn ist es nicht des Philosophen abgestumpfter Fluch,
dass sie das Leben nur noch in Gesamtheit deuten
und es in ihrer Qual mit seinen Wundern häuten?
Was bleibt ist ein Skelett des Wesentlichen, ein Versuch.


Nein. Kein Versuch. Leben.

Lebendiges zu häuten, Schicht für Schicht, und unter das Mikroskop zu legen und ohne Arg zu fragen: Was oder Wer bist, und Wie funktionierst Du?, spannender ist als eine Antwort, die sich anmaßt, in welchen Namen auch immer, für alle Zeit zu gelten. Solcherart Antworten sind bequem und spießig und leider nicht im mindesten anarchisch oder dazu geeignet durch den Regenbogen zu greifen.

In einer Welt, die von allem bedroht ist, und sich nicht mehr nach der Sonne dreht, sondern nach Paris, Pitt und Penetrierung, gewinnt natürlich ein Papst der auf Prinzipien pocht. Allein schon, weil er anders ist. Leider ist der jetzt und auch genau deswegen auch nur noch ein Popstar. Passt aber auch, denn hat ein Popstar jemals zugelassen, das es einen Gott, einen Zweifel, neben ihm gibt? Ich wüsste nicht. Aber da ich meinen Gedanken misstraue, weiß ich: Das Denken schon.

Also wer greift durch den Bogen, was erschließt neue Welten?
Verflucht scheint mir nicht der Philosoph zu sein.

:Edit
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#3

Der Philosophen Fluch

in Philosophisches und Grübeleien 21.09.2007 09:03
von Pog Mo Thon (gelöscht)
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Pfosten, nimm das Komma hinter deinem Fluch weg, sonst schießt du dir selbst in die Zehen!

Zum Gedicht schließe ich mich inhaltlich dem Brot an, das ist mir zu wissenschafts-, zu geistesfeindlich, als dass ich mich anschließen könnte. Allerdings lese ich es etwas milder, da es sprachlich zumeist sehr gewandt ausgedrückt und überaus melodisch verpackt ist. Insofern zeigt sich, dass die Poesie geeignet ist, uns Dinge wahr erscheinen zu lassen, wenn sich so sehr Wort in Wort fügt und per Melodie ins Ohr schmeichelt.

Ich möchte es daher gerne dahingehend verstehen, dass man in schwachen Momenten sich hin und wieder wünschte, die Welt wie ein Kind als einziges Wunder sehen zu können. Das ist verzeihlich, jedoch sollte man immer auch wieder daran denken, wie beängstigend und verstörend die Welt sein kann (ist), je weniger man versteht. Und man darf daran denken, dass jede aufgeschlossene Tür nur eine weitere verschlossene nach sich zieht, d.h. die Wunder hören einfach nie auf, egal wieviel man versteht. Ist das nicht wundervoll?

Die Sprache deines Gedichtes ist etwas altbacken, dadurch nicht weniger ansprechend. Ich meine sogar, dass es mit dem Inhalt harmoniert. Metrisch einwandfrei wechselst du zwischen umarmendem und Kreuzreim hin und her, das lockert nicht nur auf, sondern unterstützt den Inhalt ein weiteres Mal. Zum Ausdruck habe ich schon etwas gesagt, das Einzige, was mich stören könnte, wäre der "abgestumpfte Fluch", den finde ich nicht gelungen. Die beiden gekennzeichneten Elisionen hätte ich nicht gekennzeichnet, ich halte das sogar für falsch. In S3V2 muss für meine Begriffe auch das "führe" im Konjunktiv 2 stehen, also "führte". Das "Hin und Her" und das "Weniger" sollten groß geschrieben werden, keine Ahnung, ob sie es auch müssen. [13] Ganz am Ende in der letzten Strophe würde ich den Plural wählen und "der Philosophen Fluch" daraus machen, um Mistverständnisse zu vermeiden, schließlich flucht hier nicht der Philosoph. [13]

So wenig von mir. Das Gedicht gefällt mir als Gedicht und ich finde es in sich stimmig und gut gemacht. Über den Inhalt lässt sich streiten, wie wunderbar! Mehr kann man als Dichter doch nicht erreichen.

Beste Grüße
n.
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#4

Der Philosophen Fluch

in Philosophisches und Grübeleien 22.09.2007 08:18
von Richard III | 868 Beiträge | 871 Punkte
Hallo ihr Beiden!

Erstmal vorweg freue ich mich natürlich sehr über die ausführlichen und ausgefeilten Kommentare! Ich muss mal sehen, wann ich mich in ebensolcher Form äussern kann und das werde ich sicherlich, dafür haben mich die Antworten viel zu sehr aufgeregt!

Ich frage mich gerade welches Klischee hier vorausgesetzt wird oder lest ihr hier tatsächlich Wissenschafts- und Denkfeindlichkeit heraus???

Ganz im Gegenteil: Das lyr. Ich ist hier ein so großer Denker, dass er es gar nicht mehr lassen kann alles und jeden zu analysieren bis nichts mehr geht, aber er ist auch der verzagte Dichter, der gerne noch einmal die Welt und das Leben wie ein spannendes Märchen sehen würde, es aber nicht mehr kann, obwohl er könnte...
Verstehen sie??? Ich bin jedenfalls nicht verstanden worden...
Ich möchte mich gerne nochmal Strophe für Strophe erklären, obwohl das eigentlich doof ist, aber die Antworten haben mich absolut entsetzt...

Lieben Gruß euch!
R.

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#5

Der Philosophen Fluch

in Philosophisches und Grübeleien 22.09.2007 09:37
von bipontina (gelöscht)
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Des Philosophen Fluch? Mag sein.

Guten Morgen, Richard III !
Ich habe mich durch die vorhergehenden Kommentare nur sehr flüchtig durchgewühlt - ich denke, ich bleibe doch! bei meinen Spontankommentaren:
Des Philosophen Fluch - des Dichters stete Herausforderung, da sein Gefühl - mag das Auge auch geblendet sein - auf Anderem gründet als des Philosophen starrer Verstand. Dem Dichter werden die Sterne immer! - mag er noch so verzagt sein - Boten der gottgewollten Schönheit sein! Philosophen loten aus, Dichter tragen Unauslotbares in sich und streben danach, dies Kostbare in Worte zu kleiden; wieder, wieder und immer wieder, bei aller Furcht, der Brunnen könne versiegen. Dichter schöpfen aus dem Vollen, Philosophen zerfasern die ihnen verbleibenden Reste.
Je nun, das war meine Empfindung, als ich Dein herrliches Gedicht las.

Lieben Gruß von bipontina ...ganz unphilosophisch

P.S. Ging der ursprüngliche Sinn des Wortes Philosophie (Weisheitsliebe) nicht spätestens mit dem "Hineingeworfensein des Es" verloren?
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#6

Der Philosophen Fluch

in Philosophisches und Grübeleien 22.09.2007 19:05
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Tag, Richard III!

Zum Thema, das Du aufgegriffen hast und uns darlegst,
kann ich nichts hinzufügen. Der abgestumpfte Fluch der
Philosophen
ließ mich etwas philosophierend sinnen.
Als Ergebnis akzeptiere ich, daß ein Fluch abstumpfen kann,
wohl gilt es dann einen neuen, kräftigeren zu erdenken.

Beim Lesen gelang es mir ohne Anstrengung,
Dein Gedicht als Arie gesungen zu hören, sah
nur nicht die Kulissen der Bühne, aber den Vortragenden.
(Meine Phantasie ist praktisch: ich erspare mir viel Geld, das ich nicht habe, für den Besuch von Opernhäuser und Theater.)

Speziell rhythmisch hat es mir gut gefallen.

Freundlichen Gruß
Joame
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#7

Der Philosophen Fluch

in Philosophisches und Grübeleien 25.09.2007 01:09
von Rabekin (gelöscht)
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Hallo Richard III,

für mich sind Dichter und Philosoph in Deinem Gedicht eine Person, die hin und her gerissen ist zwischen den einzelnen Räumen des Denkens. Das Denken, das die eigene Grenze überstiegen hat und feststellt, daß es nur ein Provisorium, eine „leere Tat“ ist und dann zu den „Sternen“, in schwindelerregenden Höhen aufsteigt. Die treibende Kraft ist die Sehnsucht des Dichters, die dem Philosophen abhanden gekommen zu sein scheint, denn zum Schluß fällt er fluchend wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Das Motiv des Geblendet-Werdens im Zentrum Deines Gedichtes finde ich aufregend. Zu viel Licht (Licht – Symbol der Aufklärung) führt dazu, daß man nichts mehr erkennen kann. Die Blindheit kehrt den Blick um – ins nach Innen gewandte Unendliche. Es ist „ein Versuch“, die Dimension des Erkennens von der Unerschöpflichkeit der Welt her in den Blick zu bekommen. Und dies versuchen Philosophen und Dichter gleichermaßen, so sehe ich es jedenfalls.
Das transformierende Element im Gedicht gefällt mir gut und läßt mich grübeln. Mir fehlt es aber etwas an Folgerichtigkeit zwischen den einzelnen Schauplätzen/Gedankensprüngen. Daher fällt es mir auch schwer, bei der Besprechung, nah am Text zu bleiben. Ich muß ihn eher in seiner Gesamtheit betrachten.
Die klassisch anmutende Sprache, finde ich, passt zum Inhalt (erinnerte mich an dem berühmten Faust-Monolog „Habe ach ...“).

Gruß
Rabekin
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