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Der schwarze Fuß meines Tisches
#1
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Der schwarze Fuß meines Tisches
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.11.2007 10:37von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Der schwarze Fuß meines Tisches
Ich besitze einen Tisch mit einem schwarzen Fuß, und hinter jedem schwarzen Fuß steht bekanntlich eine Geschichte. Das wusste sogar schon meine Mutter, da sie jedes Mal, wenn man als kleiner Steppke vom Spielen nach Hause kam und sich im Bad auszog, fragte, „Sag mal, wo hast du denn diese schwarzen Füße her?“, und dann erzählte man.
Ebenso wie die meisten kleinen Kinder, erblickte mein Tisch die Welt, meine Welt, ohne einen schwarzen Fuß. Das ist jetzt 5 Jahre her. Ursprünglich war er komplett Holzfarben, Buche, natürliche Maserung, farblos lackiert lange bevor ich ihn besaß. Ein richtiger Küchentisch eben, wie ich einen seinerzeit brauchte. Ich kaufte das Möbel noch als Student bei einem Trödler in Berlin Tiergarten für damals 20 Mark, was mir als seit je unerfahrener Möbelkäufer bis heute als ein guter Preis erscheint.
In den folgenden Jahren sollte ich so einige mehr oder weniger für mich bedeutsame Erlebnisse mit diesem Tisch verbinden. Das erste war gleich, wie ich meine Meteorologieprüfung verpasste, weil ich mir ein Bein brach. Beim Transport des Tisches nach dem Kauf stolperte ich in meinem Treppenhaus im zweiten Stock und polterte mitsamt dem Ding um die Wette die erklommenen Stufen wieder hinunter. Er blieb heil, ich brach mir ein Bein und musste ins Krankenhaus.
Dann wäre da noch das für mein Empfinden wohl verwegenste Sexabenteuer meines Lebens mit meiner Freundin Elisabeth. Sie deutete mit so einem leichte Enttäuschung hervorkehrenden Tonfall an, dass das auch aus ihrer Sicht wohl das aufregendste Erlebnis gewesen wäre, das sie mit mir geteilt hätte. Als ich ihr daraufhin anbot, man könnte das doch gerne bei Gelegenheit wiederholen, räusperte sie sich gerade laut. Vielleicht hatte sie es deshalb nicht gehört, jedenfalls reagierte sie nicht.
Das eklatanteste Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Tisch war trotzdem sicherlich, wie Elisabeth eines Morgens nach viereinhalb Jahren Beziehung bei der Suche nach dem Herdanzünder nicht nur eine mir bis dahin verborgen gebliebene Schublade in dem Küchentisch entdeckte, sondern darin auch alte Briefe fand, die eindeutig Liebesbriefe waren. „Mein geliebter Klaus, ich sehne mich nach Dir und Deinem Körper so unendlich…bla, bla, bla“.
Datiert waren sie zwar offensichtlich auf einen Zeitraum lange vor unserer Epoche, aber dafür wirkten sie zugegebenermaßen sehr frisch, und zudem bezogen sie sich inhaltlich eindeutig nicht auf eine Beziehung, sondern eine Affäre. Eli wertete diese Briefe augenblicklich als Beweis meiner Untreue und verließ mich wenige Tage später mit fast unserer gesamten gemeinsam angeschafften Habe, außer ihrem heißgeliebten Perserteppich, geerbt von ihrem Opa, und besagtem ollen Küchentisch, den sie als Mahnmal meiner Schuld voller Verachtung stehen ließ. Wohlgemerkt, ich heiße Alexander und nicht Klaus. Ich war zu verwirrt, um darüber mit ihr zu streiten.
Ihre Entschlossenheit in der Sache konnte ich mir kaum erklären, bis ich zu der Überzeugung gelangt war, dass sie nur einen Vorwand gesucht hatte. Als ich das lange Zeit später für mich so klar hatte, war ich sicher, dass ich bald unsere gemeinsame CD-Sammlung mehr vermissen würde als sie. Aber das sollte noch etwas dauern.
Wie ich von ihrer besten Freundin Rike im Telefonat erfuhr, hattte sie schon vor einiger Zeit mit einem Berater in ihrer Agentur angebandelt, was Rike offensichtlich missbilligte. Zitat: „Ja, sie hat sich nicht unbedingt zum Positivsten entwickelt seit sie in dieser PR-Agentur arbeitet.“
Das bestätigte mir auch mein Freund Matze, der seit jeher ein Talent hatte, die Fährnisse des Lebens weniger kompliziert und dramatisch aussehen zu lassen, indem er sie in seinen Worten nachmodellierte.
Wir saßen gemeinsam in meiner Küche an dem Tisch auf umgedrehten Bierkästen und tranken Rex Pils und rauchten NIL. Ich hatte im Schock die Wohnung seit einer Woche nicht verlassen, was nur ging, weil Eli und ich zu dieser Zeit eigentlich unseren gemeinsamen Urlaub geplant hatten. Nun fuhr sie wahrscheinlich mit ihrem Consulter an der Algarve umher, ließ sich mit ihm den schönen Strandsand ins Gesicht und die Haare wehen, und ich saß in unserer leeren Bude mit meinem besten Freund. Die Küche sah aus, wie die untere Hälfte einer rotbraunen Tropfsteinhöhle. Überall standen volle und leere Flaschen auf terrakottafarbenen Fliesen. Wir hatten ja die Getränkekästen unter uns leer geräumt, um auf ihnen sitzen zu können und alles wahllos in die Gegend gestellt. In einigen Flaschen steckten brennende Kerzen. Wir waren schon ziemlich knülle und ich kam gerade so richtig ins Lamentieren und stellte mir sinnlose Übersprungsfragen.
„Sie hat echt fast alles mitgenommen. Warum nicht auch ihren blöden Teppich?“
„Ey, Alex, die hat sogar die Glühbirnen rausgeschraubt. Sei froh, dass du se los bist.“
Matze war den ganzen Abend schon wie immer erfrischend und mittlerweile lallend direkt.
„Na, ganz so stimmt das ja nicht. Sie hat eben nur die Lampen mitgenommen. Da steckten die Glühbirnen halt mit drin.“
„Mensch Alex, dir is echt nich zu helfen. Du verteidichst die echt noch nach der Akssion.“
„Gar nicht. Ich will nur bei der Wahrheit bleiben.“
„Wahrheit, Wahrheit. Wass’n dis?“ Matze wischte meine Wahrheit aus der Luft mit der Hand weg, irgendwo auf eine Fläche an der Wand hinter ihm.
„Wie meinst’n das?“ fragte ich ihn beleidigt.
„Scheiß auf die Wahrheit. Ich sag dir jetz mal was. Mit deinem Verständnis von Wahrheit kommste bei den Fraun nich weit. Glaubste wirklich, dass Casanova so erfolgreich bei den Frauen gewesen is, weila so verständnisvoll war?“
Matze kam jetzt in Fahrt und starrte mir unumwunden in die Augen. Ich blinzelte und antwortete.
„Nein, wahrscheinlich nicht. Weiß nicht. Aber…ach Quatsch. Du siehst das zu einfach. Es gibt auch andere Frauen.“
„Wo?“
Er starrte weiter, ich blinzelte weiter.
„Überall. Ich kenne viele. Die Rike zum Beispiel. Die kennst du doch auch. Die…“
„Hör mal.“ Sein Egopanzer überfuhr mit rasselnden Schleppketten meinen Einwand und begann sich darüber malmend zu drehen.
„Frauen, die auf verständnisvolle Männer stehen, sind entweder zig Mal auf die Schnauze gefallen oder stinklangweilig und trauen sich nichts. Und ich bleib dabei. Frauen, die keine Angst vor dem Leben und den Männern haben, fahren auf die rücksichtslosesten Egoisten ab.“
„Aber die Rike…“
Rums! Da, wieder der Panzer. „Die Rike wollte einfach nur Familie und Kinder. Da kam der harmlose, fügsame Wolle gerade recht. Beide haben bekommen, wasse wollten. Das is ein Deal. Mehr nich.“
Eine bäumende aber kraftlose Hand kam unter dem Kettenfahrzeug hervor. „Sie scheinen mir aber recht glücklich zu sein.“
„Klar. Jeder, der kriegt, wasser will, is glücklich. Aber wo bleibt da der Traum, die Fantasie, die Herausforderung? Irgendwann knallt’s da gehörig im Karton. Das sag ich dir jetz schon.“
Matze warf sich triumphal in den Rücken und fiel fast von seinen Bierkästen, als er merkte, dass da keine Lehne war, die ihn auffing. Er trat von unten gegen den Tisch, fing sich mit der Hand am Fensterrahmen und ihm fiel sein Bier herunter. Die Flasche zerschepperte. Es kümmerte ihn nicht, er machte sich ein neues auf, als wenn nichts gewesen wäre und nahm einen tiefen Schluck. Wenn er da war, störte mich so was auch nie. In seiner Gegenwart war so was völlig normal.
Ich konnte und wollte nichts mehr zu seinem billigen Macho-Vortrag sagen. Ich war jetzt schlecht gelaunt und schmollte etwas.
Matze grinste mich an und sagte: „Komm, Alex. Genug Theorie. Du brauchst Praxis, ich auch. Suchen wir die Wahrheit da draußen. Machen wir was los und gehen aus.“
Grummelgrummel. „Wohin denn?“
„Egal.“
Peng. Ich platzte. „Dir ist immer alles egal. Und? Was bringt dir das? Bist du glücklich? Was ist dein Traum? Deine Herausforderung? Dein Ziel?“
Die Eiche zum Kläffer: „Jetzt mit dir einen drauf zu machen. Los, komm?“
Grummelgrummel. Er hatte ja Recht. Genug gelabert. Wir standen auf und torkelten scheppernd durch den Flaschenparkour, zogen uns zerzaust und besoffen wie wir waren im Türzumachen und Hinuntergehen unsere Jacken an und marschierten los Richtung S-Bahn.
Es war Dezember und draußen auf den Berliner Straßen lag vereister Schnee. Auf dem halben Weg zur S-Bahn fiel mir auf, dass ich noch meine Hausschuhe anhatte und wollte umdrehen.
„Ach Quatsch, Alex. Wen interessiert das. Mach dich doch endlich mal locker.“
„Du hast gut reden, Matze. Du bist ja halbwegs für’s Ausgehen angezogen. Ich bin ungekämmt, trage noch mein T-Shirt von gestern und hab Hausschuhe an.“
„O.K. Dann fällt der Schönheitswettbewerb als Programmpunkt wohl flach. Dann machen wir halt was anderes. Hihi.“ Da war es, sein mir so verhasstes „Die-eigenen-Sprüche-sind-immer-noch-die-besten“-Gekicher.
Ich stand irgendwie im Zuge der ganzen Ereignisse derartig neben mir, dass ich ihm wahrscheinlich in dem Moment auch widerstandslos gefolgt wäre, wenn er gesagt hätte, wir rauben jetzt eine Bank aus und entführen dann mit einem Nagelkneifer einen Lastminute-Malle-Flug nach Rio de Janeiro. Ich war mir auch nicht recht sicher, ob er nicht genau das vorhatte.
Für einen Moment fühlte ich mich wie Arthur Dent in „Per Anhalter durch die Galaxis“, der von Ford Prefect vor dem Untergang der Welt und in einen Strudel skurrilster Abenteuer entführt wird. Dieses erhebende Gefühl verflog schnell, als wir schließlich am S-Bahnhof Feuerbachstraße unmittelbar unseren Zug verpassten.
Matzes Laune konnte das nicht trüben. „Dann warten wir halt. Is doch easy.“
„Was ist denn daran easy? In einer halben Stunde kommt erst der nächste Zug in die City.“
„Wir haben Zeit. Oder hast du noch was anderes vor?“
„Naja, ich muss vielleicht bald dringend für kleine Astronauten“, überhörte Matze.
Wir setzten uns auf eine Bahnsteigbank, steckten uns beide eine Zigarette an und rauchten, wie um vor der zunehmend spürbaren Kälte besonders cool zu erscheinen. Bald fühlte ich mich wie eine im Winterteich eingefrorene Kaulquappe.
Zwei etwa 18-jährige Mädchen, für diese fröstelige Jahreszeit in ihren kurzen Röcken ohne Strumpfhosen beeindruckend spärlich bekleidet kamen vorbei und fragten uns nach Zigaretten.
Matze ergriff wie eh und je jede Gelegenheit für eine neckische Konversation auf altersgerechtem Niveau - nur nicht seinem Alter gerecht. „Wir können tauschen. Habt ihr Bier?“
„Hihi, nö haben wir nicht. Aber das wäre echt total nett, wenn wir eine bei euch schnorren könnten.“
Diese Schleimtour von den Mädchen und die Dummdöselei von Matze gingen mir sofort auf den Keks.
„Mädchen, geht lieber ins Bett. Ihr sein noch zu klein und Rauchen ist hier sowieso verboten“, maulte ich und mein Beitrag wirkte mit der qualmenden Zigarette zwischen meinen Fingern und meinen Pantoffeln an den ausgestreckten Füßen gewiss nicht intelligenter als die der anderen Drei. Offensichtlich ignorierten mich auch alle, denn sie plauderten meiner ungeachtet weiter, was mir sehr recht war.
„Wenn wir Bier hätten, würden wir es euch bestimmt geben. Aber…“
„Ja, is o.k. Überredet. Ihr kriegt ja eure Glimmstengel. Hey Alex, hast du noch welche?“
Ich schreckte von Matzes Ellenbogenstupser auf. Ich war mittlerweile in mich versunken dazu übergegangen, gegen meine Blase anzukämpfen. „Wie? Was?“
„Hast du noch Zigaretten?“ Ich blickte mich um. Nun sahen alle drei mich erwartungsvoll an.
„Nein verdammt. Und ich gehe jetzt nach Hause. Ich muss nämlich ziemlich dringend pissen.“
Die Mädchen sahen mich leicht undankbar an trotz meines väterlichen Ratschlags und obendrein ungläubig, als könnten sie es nicht fassen, dass ich wirklich ein Zuhause besitze. Matze hielt mich zurück.
„Alex, der Abend geht doch gerade erst los. Wenn du pissen musst geh doch irgendwie … ins äh Gebüsch.“
„Hier gibt’s kein Gebüsch und meine Wohnung ist fünf Minuten entfernt.“
„Dann eben hinter den Fahrscheinautomaten. Ich komme mit. Ich muss auch.“
Das war offensichtlich das Stichwort für die Mädchen zu beschließen, dass sie jetzt mal weiter müssten, und sie bewegten sich auf einen entfernten Ort am anderen Ende des Bahnsteigs zu.
Ich stand auf und ging die Bahnhofstreppe hoch.
„Hey, Alex, du machst dir echt ins Hemd wegen deiner Toilette… Hey, in vier Minuten kommt die nächste Bahn.“
„Mir ist die Lust vergangen.“
Vor allem Schwand meine Körperbeherrschung im Leistenbereich.
Auf dem Weg nach Hause plapperte Matze mir die genervten Ohren voll damit, wie enttäuschend er das doch jetzt fände, dass ich es nicht fertig brächte mal ein bisschen locker zu sein, so wie früher, bevor meine Ex mich so domestiziert hätte.
Ich steckte den Wohnungsschlüssel ins Schloss mit dem einzigen Gedanken endlich aufs Klo zu gehen und dem zweit dringensten Vorsatz mir gleich darauf Matze vorzuknüpfen. Das war nun endlich mal fällig.
Ich öffnete die Tür, raste an Eli vorbei, die mit ihrem Perserteppich unterm Arm im Flur stand und stürmte bei offener Klotür ins Bad, riss mir die Hose herunter und erleichterte mich. Matze und Elisabeth standen wie angewurzelt im Flur und sahen sich gegenseitig verdutzt an und dann zu mir hinüber. Keiner sagte ein Wort. Es gurgelte nur, die zwei Badkerzen brannten. Eine Art Idylle.
Ich spülte und stand entspannt auf. Mir fiel auf, dass Klopapier alle war. Ich zog die Hose hoch und wusch mir die Hände, drehte mich zu Eli um und schrie: „Was um alles in der Welt machst du hier?“ Mir fiel auf, dass sie irgendwie lädiert aussah.
„Ich war nur hier um meinen Teppich zu holen und du machst hier einen auf Penner. Ich bin in der dunklen Küche auf einer Bierlache ausgerutscht und landete in einem Haufen Glasscherben.“
Sie hielt ein rotfleckiges Knäuel Klopapier hoch in dem irgendwie ihre möglicherweise noch blutende Hand steckte.
Ich bekam Oberwasser. „Du Schnepfe hast ja auch alle Glühbirnen rausgeschraubt.“
„Ich habe nur meine Lampen mitgenommen. Da waren die Glühbirnen halt mit drin. Und außerdem ist das anderthalb Wochen her, du Blödian!“
Matze, der die ganze Zeit von einem Bein aufs andere gewippt war, schien sich nun Richtung Tür schleichend verdrücken zu wollen. Ich erwischte ihn mit meinem Hirtenstab.
„Und mit dir bin ich auch noch nicht fertig, Freundchen! Glaubt ihr denn ich bin blöd? Klar. Du lockst mich raus, damit Eli hier in Ruhe den Teppich wegholen kann!“
„Sag mal, hast du ne Meise?“ Das fragte der Richtige. „Ich hab keinen Schimmer was hier vor sich geht! Ich dachte, wir machen was los, aber… Ach, ich hau jetzt ab und pisse in deinen Briefkasten, du Idiot!“
Weg war er.
Das klang sehr überzeugend. Ich hielt ihn postwendend zumindest dieser Verschwörung für unschuldig.
„Ey, du bist echt krank.“ Jetzt kam sie wieder von schräg oben. „Unter einer Decke mit deinem Klugscheißerfreund?“
Jetzt war ich restlos von seiner Unschuld überzeugt.
„Ich lass den Perser jetzt hier und hole ihn demnächst ab, tagsüber." Sie ließ die Teppichwurst fallen. "Ich gehe jetzt ins Krankenhaus und lass mir eine Tetanusspritze und einen vernünftigen Verband verpassen.“
Lass dir doch gleich ’n Herz verpassen, dachte ich.
Sie wandte sich zum Gehen. Es gab nichts mehr zu sagen außer einem noch.
„Ich dachte, du bist an der Algarve mit deinem Consulter.“
Sie blieb stehen und seufzte. Im Hausflur hörte man kurz nur Matze im Parterre beim Wasserlassen.
„Komm, lass mich in Ruhe mit deinen Hirngespinsten. Da ist nichts mit dem! Wer hat dir das erzählt? Das ist nur ein blöder Idiot. O.K.? Nichts weiter.“
Er hatte sie verlassen, oder sie ihn. Egal. Alles war in Ordnung.
Matze ließ die Haustür zufallen.
Ich schwieg. Sie ging.
Ich schloss die Tür, betrat die Küche und zündete alle rumstehenden, noch nicht abgebrannten Kerzen an. Darauf begann ich aufzuräumen. Alle Flaschen in die Kästen, die Scherben weg, die Bier- und Blutlachen aufwischen. Es musste sie wirklich böse erwischt haben. Ich konnte die Schadenfreude nicht ganz vermeiden.
Irgendwann war die Küche wieder passabel.
Da sah ich, dass das eine Tischbein blutverschmiert war. Da muss man was machen, dachte ich, und ich wusste auch gleich was. Ich sprühte irgendwie trotz der Übernächtigung und all dem Ärger vor Energie. Dieses Gefühl hätte mir kein Partyabend mit Matze in irgendwelchen Nachtclubs bescheren können.
Ich hatte auf dem Zwischenboden im Flur noch schwarzen Bootslack stehen. Ich nahm, um den Aufräum-, Sauf- und Streitschweiß abzuwaschen erst einmal ein Duschbad. Danach holte ich den Lack, samt Werkzeugkasten vom Boden herunter, ging in die Küche, schmirgelte das Tischbein ab und begann, es sorgfältig zu streichen. Der Morgen graute, das Tischbein war schwarz und ich konnte die Augen nicht mehr offen halten. Den Pinsel legte ich noch in Terpentin ein, ging zu meiner Matratze schlafen, schlafen, lange schlafen.
Sieben Stunden später, halbwegs erfrischt, stand ich auf und ging in die Küche. Ich sah, dass der Tisch mit der schwarzen Farbe total blöd aussah. Also beschloss ich, ihn nicht weiter zu bearbeiten.
Innerlich spürte ich plötzlich den Impuls, meine Mutter anzurufen. Wer weiß warum.
Den Tisch ließ ich Tisch sein, setzte mich mit einem Notizblock auf den Küchenboden und machte mir einen Plan für den kurzen Rest meines Urlaubs. Ich hatte noch zwei Tage, mehr als genug. Erstmal den Briefkasten reinigen. Schloss austauschen. Teppich wieder ausrollen, Wohnung einrichten… Ich hielt inne, sah zu dem Tisch. Der bleibt so, beschloss ich endgültig und dachte, aber erzählen, wie es dazu kam, kann man eigentlich niemandem.
Ich besitze einen Tisch mit einem schwarzen Fuß, und hinter jedem schwarzen Fuß steht bekanntlich eine Geschichte. Das wusste sogar schon meine Mutter, da sie jedes Mal, wenn man als kleiner Steppke vom Spielen nach Hause kam und sich im Bad auszog, fragte, „Sag mal, wo hast du denn diese schwarzen Füße her?“, und dann erzählte man.
Ebenso wie die meisten kleinen Kinder, erblickte mein Tisch die Welt, meine Welt, ohne einen schwarzen Fuß. Das ist jetzt 5 Jahre her. Ursprünglich war er komplett Holzfarben, Buche, natürliche Maserung, farblos lackiert lange bevor ich ihn besaß. Ein richtiger Küchentisch eben, wie ich einen seinerzeit brauchte. Ich kaufte das Möbel noch als Student bei einem Trödler in Berlin Tiergarten für damals 20 Mark, was mir als seit je unerfahrener Möbelkäufer bis heute als ein guter Preis erscheint.
In den folgenden Jahren sollte ich so einige mehr oder weniger für mich bedeutsame Erlebnisse mit diesem Tisch verbinden. Das erste war gleich, wie ich meine Meteorologieprüfung verpasste, weil ich mir ein Bein brach. Beim Transport des Tisches nach dem Kauf stolperte ich in meinem Treppenhaus im zweiten Stock und polterte mitsamt dem Ding um die Wette die erklommenen Stufen wieder hinunter. Er blieb heil, ich brach mir ein Bein und musste ins Krankenhaus.
Dann wäre da noch das für mein Empfinden wohl verwegenste Sexabenteuer meines Lebens mit meiner Freundin Elisabeth. Sie deutete mit so einem leichte Enttäuschung hervorkehrenden Tonfall an, dass das auch aus ihrer Sicht wohl das aufregendste Erlebnis gewesen wäre, das sie mit mir geteilt hätte. Als ich ihr daraufhin anbot, man könnte das doch gerne bei Gelegenheit wiederholen, räusperte sie sich gerade laut. Vielleicht hatte sie es deshalb nicht gehört, jedenfalls reagierte sie nicht.
Das eklatanteste Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Tisch war trotzdem sicherlich, wie Elisabeth eines Morgens nach viereinhalb Jahren Beziehung bei der Suche nach dem Herdanzünder nicht nur eine mir bis dahin verborgen gebliebene Schublade in dem Küchentisch entdeckte, sondern darin auch alte Briefe fand, die eindeutig Liebesbriefe waren. „Mein geliebter Klaus, ich sehne mich nach Dir und Deinem Körper so unendlich…bla, bla, bla“.
Datiert waren sie zwar offensichtlich auf einen Zeitraum lange vor unserer Epoche, aber dafür wirkten sie zugegebenermaßen sehr frisch, und zudem bezogen sie sich inhaltlich eindeutig nicht auf eine Beziehung, sondern eine Affäre. Eli wertete diese Briefe augenblicklich als Beweis meiner Untreue und verließ mich wenige Tage später mit fast unserer gesamten gemeinsam angeschafften Habe, außer ihrem heißgeliebten Perserteppich, geerbt von ihrem Opa, und besagtem ollen Küchentisch, den sie als Mahnmal meiner Schuld voller Verachtung stehen ließ. Wohlgemerkt, ich heiße Alexander und nicht Klaus. Ich war zu verwirrt, um darüber mit ihr zu streiten.
Ihre Entschlossenheit in der Sache konnte ich mir kaum erklären, bis ich zu der Überzeugung gelangt war, dass sie nur einen Vorwand gesucht hatte. Als ich das lange Zeit später für mich so klar hatte, war ich sicher, dass ich bald unsere gemeinsame CD-Sammlung mehr vermissen würde als sie. Aber das sollte noch etwas dauern.
Wie ich von ihrer besten Freundin Rike im Telefonat erfuhr, hattte sie schon vor einiger Zeit mit einem Berater in ihrer Agentur angebandelt, was Rike offensichtlich missbilligte. Zitat: „Ja, sie hat sich nicht unbedingt zum Positivsten entwickelt seit sie in dieser PR-Agentur arbeitet.“
Das bestätigte mir auch mein Freund Matze, der seit jeher ein Talent hatte, die Fährnisse des Lebens weniger kompliziert und dramatisch aussehen zu lassen, indem er sie in seinen Worten nachmodellierte.
Wir saßen gemeinsam in meiner Küche an dem Tisch auf umgedrehten Bierkästen und tranken Rex Pils und rauchten NIL. Ich hatte im Schock die Wohnung seit einer Woche nicht verlassen, was nur ging, weil Eli und ich zu dieser Zeit eigentlich unseren gemeinsamen Urlaub geplant hatten. Nun fuhr sie wahrscheinlich mit ihrem Consulter an der Algarve umher, ließ sich mit ihm den schönen Strandsand ins Gesicht und die Haare wehen, und ich saß in unserer leeren Bude mit meinem besten Freund. Die Küche sah aus, wie die untere Hälfte einer rotbraunen Tropfsteinhöhle. Überall standen volle und leere Flaschen auf terrakottafarbenen Fliesen. Wir hatten ja die Getränkekästen unter uns leer geräumt, um auf ihnen sitzen zu können und alles wahllos in die Gegend gestellt. In einigen Flaschen steckten brennende Kerzen. Wir waren schon ziemlich knülle und ich kam gerade so richtig ins Lamentieren und stellte mir sinnlose Übersprungsfragen.
„Sie hat echt fast alles mitgenommen. Warum nicht auch ihren blöden Teppich?“
„Ey, Alex, die hat sogar die Glühbirnen rausgeschraubt. Sei froh, dass du se los bist.“
Matze war den ganzen Abend schon wie immer erfrischend und mittlerweile lallend direkt.
„Na, ganz so stimmt das ja nicht. Sie hat eben nur die Lampen mitgenommen. Da steckten die Glühbirnen halt mit drin.“
„Mensch Alex, dir is echt nich zu helfen. Du verteidichst die echt noch nach der Akssion.“
„Gar nicht. Ich will nur bei der Wahrheit bleiben.“
„Wahrheit, Wahrheit. Wass’n dis?“ Matze wischte meine Wahrheit aus der Luft mit der Hand weg, irgendwo auf eine Fläche an der Wand hinter ihm.
„Wie meinst’n das?“ fragte ich ihn beleidigt.
„Scheiß auf die Wahrheit. Ich sag dir jetz mal was. Mit deinem Verständnis von Wahrheit kommste bei den Fraun nich weit. Glaubste wirklich, dass Casanova so erfolgreich bei den Frauen gewesen is, weila so verständnisvoll war?“
Matze kam jetzt in Fahrt und starrte mir unumwunden in die Augen. Ich blinzelte und antwortete.
„Nein, wahrscheinlich nicht. Weiß nicht. Aber…ach Quatsch. Du siehst das zu einfach. Es gibt auch andere Frauen.“
„Wo?“
Er starrte weiter, ich blinzelte weiter.
„Überall. Ich kenne viele. Die Rike zum Beispiel. Die kennst du doch auch. Die…“
„Hör mal.“ Sein Egopanzer überfuhr mit rasselnden Schleppketten meinen Einwand und begann sich darüber malmend zu drehen.
„Frauen, die auf verständnisvolle Männer stehen, sind entweder zig Mal auf die Schnauze gefallen oder stinklangweilig und trauen sich nichts. Und ich bleib dabei. Frauen, die keine Angst vor dem Leben und den Männern haben, fahren auf die rücksichtslosesten Egoisten ab.“
„Aber die Rike…“
Rums! Da, wieder der Panzer. „Die Rike wollte einfach nur Familie und Kinder. Da kam der harmlose, fügsame Wolle gerade recht. Beide haben bekommen, wasse wollten. Das is ein Deal. Mehr nich.“
Eine bäumende aber kraftlose Hand kam unter dem Kettenfahrzeug hervor. „Sie scheinen mir aber recht glücklich zu sein.“
„Klar. Jeder, der kriegt, wasser will, is glücklich. Aber wo bleibt da der Traum, die Fantasie, die Herausforderung? Irgendwann knallt’s da gehörig im Karton. Das sag ich dir jetz schon.“
Matze warf sich triumphal in den Rücken und fiel fast von seinen Bierkästen, als er merkte, dass da keine Lehne war, die ihn auffing. Er trat von unten gegen den Tisch, fing sich mit der Hand am Fensterrahmen und ihm fiel sein Bier herunter. Die Flasche zerschepperte. Es kümmerte ihn nicht, er machte sich ein neues auf, als wenn nichts gewesen wäre und nahm einen tiefen Schluck. Wenn er da war, störte mich so was auch nie. In seiner Gegenwart war so was völlig normal.
Ich konnte und wollte nichts mehr zu seinem billigen Macho-Vortrag sagen. Ich war jetzt schlecht gelaunt und schmollte etwas.
Matze grinste mich an und sagte: „Komm, Alex. Genug Theorie. Du brauchst Praxis, ich auch. Suchen wir die Wahrheit da draußen. Machen wir was los und gehen aus.“
Grummelgrummel. „Wohin denn?“
„Egal.“
Peng. Ich platzte. „Dir ist immer alles egal. Und? Was bringt dir das? Bist du glücklich? Was ist dein Traum? Deine Herausforderung? Dein Ziel?“
Die Eiche zum Kläffer: „Jetzt mit dir einen drauf zu machen. Los, komm?“
Grummelgrummel. Er hatte ja Recht. Genug gelabert. Wir standen auf und torkelten scheppernd durch den Flaschenparkour, zogen uns zerzaust und besoffen wie wir waren im Türzumachen und Hinuntergehen unsere Jacken an und marschierten los Richtung S-Bahn.
Es war Dezember und draußen auf den Berliner Straßen lag vereister Schnee. Auf dem halben Weg zur S-Bahn fiel mir auf, dass ich noch meine Hausschuhe anhatte und wollte umdrehen.
„Ach Quatsch, Alex. Wen interessiert das. Mach dich doch endlich mal locker.“
„Du hast gut reden, Matze. Du bist ja halbwegs für’s Ausgehen angezogen. Ich bin ungekämmt, trage noch mein T-Shirt von gestern und hab Hausschuhe an.“
„O.K. Dann fällt der Schönheitswettbewerb als Programmpunkt wohl flach. Dann machen wir halt was anderes. Hihi.“ Da war es, sein mir so verhasstes „Die-eigenen-Sprüche-sind-immer-noch-die-besten“-Gekicher.
Ich stand irgendwie im Zuge der ganzen Ereignisse derartig neben mir, dass ich ihm wahrscheinlich in dem Moment auch widerstandslos gefolgt wäre, wenn er gesagt hätte, wir rauben jetzt eine Bank aus und entführen dann mit einem Nagelkneifer einen Lastminute-Malle-Flug nach Rio de Janeiro. Ich war mir auch nicht recht sicher, ob er nicht genau das vorhatte.
Für einen Moment fühlte ich mich wie Arthur Dent in „Per Anhalter durch die Galaxis“, der von Ford Prefect vor dem Untergang der Welt und in einen Strudel skurrilster Abenteuer entführt wird. Dieses erhebende Gefühl verflog schnell, als wir schließlich am S-Bahnhof Feuerbachstraße unmittelbar unseren Zug verpassten.
Matzes Laune konnte das nicht trüben. „Dann warten wir halt. Is doch easy.“
„Was ist denn daran easy? In einer halben Stunde kommt erst der nächste Zug in die City.“
„Wir haben Zeit. Oder hast du noch was anderes vor?“
„Naja, ich muss vielleicht bald dringend für kleine Astronauten“, überhörte Matze.
Wir setzten uns auf eine Bahnsteigbank, steckten uns beide eine Zigarette an und rauchten, wie um vor der zunehmend spürbaren Kälte besonders cool zu erscheinen. Bald fühlte ich mich wie eine im Winterteich eingefrorene Kaulquappe.
Zwei etwa 18-jährige Mädchen, für diese fröstelige Jahreszeit in ihren kurzen Röcken ohne Strumpfhosen beeindruckend spärlich bekleidet kamen vorbei und fragten uns nach Zigaretten.
Matze ergriff wie eh und je jede Gelegenheit für eine neckische Konversation auf altersgerechtem Niveau - nur nicht seinem Alter gerecht. „Wir können tauschen. Habt ihr Bier?“
„Hihi, nö haben wir nicht. Aber das wäre echt total nett, wenn wir eine bei euch schnorren könnten.“
Diese Schleimtour von den Mädchen und die Dummdöselei von Matze gingen mir sofort auf den Keks.
„Mädchen, geht lieber ins Bett. Ihr sein noch zu klein und Rauchen ist hier sowieso verboten“, maulte ich und mein Beitrag wirkte mit der qualmenden Zigarette zwischen meinen Fingern und meinen Pantoffeln an den ausgestreckten Füßen gewiss nicht intelligenter als die der anderen Drei. Offensichtlich ignorierten mich auch alle, denn sie plauderten meiner ungeachtet weiter, was mir sehr recht war.
„Wenn wir Bier hätten, würden wir es euch bestimmt geben. Aber…“
„Ja, is o.k. Überredet. Ihr kriegt ja eure Glimmstengel. Hey Alex, hast du noch welche?“
Ich schreckte von Matzes Ellenbogenstupser auf. Ich war mittlerweile in mich versunken dazu übergegangen, gegen meine Blase anzukämpfen. „Wie? Was?“
„Hast du noch Zigaretten?“ Ich blickte mich um. Nun sahen alle drei mich erwartungsvoll an.
„Nein verdammt. Und ich gehe jetzt nach Hause. Ich muss nämlich ziemlich dringend pissen.“
Die Mädchen sahen mich leicht undankbar an trotz meines väterlichen Ratschlags und obendrein ungläubig, als könnten sie es nicht fassen, dass ich wirklich ein Zuhause besitze. Matze hielt mich zurück.
„Alex, der Abend geht doch gerade erst los. Wenn du pissen musst geh doch irgendwie … ins äh Gebüsch.“
„Hier gibt’s kein Gebüsch und meine Wohnung ist fünf Minuten entfernt.“
„Dann eben hinter den Fahrscheinautomaten. Ich komme mit. Ich muss auch.“
Das war offensichtlich das Stichwort für die Mädchen zu beschließen, dass sie jetzt mal weiter müssten, und sie bewegten sich auf einen entfernten Ort am anderen Ende des Bahnsteigs zu.
Ich stand auf und ging die Bahnhofstreppe hoch.
„Hey, Alex, du machst dir echt ins Hemd wegen deiner Toilette… Hey, in vier Minuten kommt die nächste Bahn.“
„Mir ist die Lust vergangen.“
Vor allem Schwand meine Körperbeherrschung im Leistenbereich.
Auf dem Weg nach Hause plapperte Matze mir die genervten Ohren voll damit, wie enttäuschend er das doch jetzt fände, dass ich es nicht fertig brächte mal ein bisschen locker zu sein, so wie früher, bevor meine Ex mich so domestiziert hätte.
Ich steckte den Wohnungsschlüssel ins Schloss mit dem einzigen Gedanken endlich aufs Klo zu gehen und dem zweit dringensten Vorsatz mir gleich darauf Matze vorzuknüpfen. Das war nun endlich mal fällig.
Ich öffnete die Tür, raste an Eli vorbei, die mit ihrem Perserteppich unterm Arm im Flur stand und stürmte bei offener Klotür ins Bad, riss mir die Hose herunter und erleichterte mich. Matze und Elisabeth standen wie angewurzelt im Flur und sahen sich gegenseitig verdutzt an und dann zu mir hinüber. Keiner sagte ein Wort. Es gurgelte nur, die zwei Badkerzen brannten. Eine Art Idylle.
Ich spülte und stand entspannt auf. Mir fiel auf, dass Klopapier alle war. Ich zog die Hose hoch und wusch mir die Hände, drehte mich zu Eli um und schrie: „Was um alles in der Welt machst du hier?“ Mir fiel auf, dass sie irgendwie lädiert aussah.
„Ich war nur hier um meinen Teppich zu holen und du machst hier einen auf Penner. Ich bin in der dunklen Küche auf einer Bierlache ausgerutscht und landete in einem Haufen Glasscherben.“
Sie hielt ein rotfleckiges Knäuel Klopapier hoch in dem irgendwie ihre möglicherweise noch blutende Hand steckte.
Ich bekam Oberwasser. „Du Schnepfe hast ja auch alle Glühbirnen rausgeschraubt.“
„Ich habe nur meine Lampen mitgenommen. Da waren die Glühbirnen halt mit drin. Und außerdem ist das anderthalb Wochen her, du Blödian!“
Matze, der die ganze Zeit von einem Bein aufs andere gewippt war, schien sich nun Richtung Tür schleichend verdrücken zu wollen. Ich erwischte ihn mit meinem Hirtenstab.
„Und mit dir bin ich auch noch nicht fertig, Freundchen! Glaubt ihr denn ich bin blöd? Klar. Du lockst mich raus, damit Eli hier in Ruhe den Teppich wegholen kann!“
„Sag mal, hast du ne Meise?“ Das fragte der Richtige. „Ich hab keinen Schimmer was hier vor sich geht! Ich dachte, wir machen was los, aber… Ach, ich hau jetzt ab und pisse in deinen Briefkasten, du Idiot!“
Weg war er.
Das klang sehr überzeugend. Ich hielt ihn postwendend zumindest dieser Verschwörung für unschuldig.
„Ey, du bist echt krank.“ Jetzt kam sie wieder von schräg oben. „Unter einer Decke mit deinem Klugscheißerfreund?“
Jetzt war ich restlos von seiner Unschuld überzeugt.
„Ich lass den Perser jetzt hier und hole ihn demnächst ab, tagsüber." Sie ließ die Teppichwurst fallen. "Ich gehe jetzt ins Krankenhaus und lass mir eine Tetanusspritze und einen vernünftigen Verband verpassen.“
Lass dir doch gleich ’n Herz verpassen, dachte ich.
Sie wandte sich zum Gehen. Es gab nichts mehr zu sagen außer einem noch.
„Ich dachte, du bist an der Algarve mit deinem Consulter.“
Sie blieb stehen und seufzte. Im Hausflur hörte man kurz nur Matze im Parterre beim Wasserlassen.
„Komm, lass mich in Ruhe mit deinen Hirngespinsten. Da ist nichts mit dem! Wer hat dir das erzählt? Das ist nur ein blöder Idiot. O.K.? Nichts weiter.“
Er hatte sie verlassen, oder sie ihn. Egal. Alles war in Ordnung.
Matze ließ die Haustür zufallen.
Ich schwieg. Sie ging.
Ich schloss die Tür, betrat die Küche und zündete alle rumstehenden, noch nicht abgebrannten Kerzen an. Darauf begann ich aufzuräumen. Alle Flaschen in die Kästen, die Scherben weg, die Bier- und Blutlachen aufwischen. Es musste sie wirklich böse erwischt haben. Ich konnte die Schadenfreude nicht ganz vermeiden.
Irgendwann war die Küche wieder passabel.
Da sah ich, dass das eine Tischbein blutverschmiert war. Da muss man was machen, dachte ich, und ich wusste auch gleich was. Ich sprühte irgendwie trotz der Übernächtigung und all dem Ärger vor Energie. Dieses Gefühl hätte mir kein Partyabend mit Matze in irgendwelchen Nachtclubs bescheren können.
Ich hatte auf dem Zwischenboden im Flur noch schwarzen Bootslack stehen. Ich nahm, um den Aufräum-, Sauf- und Streitschweiß abzuwaschen erst einmal ein Duschbad. Danach holte ich den Lack, samt Werkzeugkasten vom Boden herunter, ging in die Küche, schmirgelte das Tischbein ab und begann, es sorgfältig zu streichen. Der Morgen graute, das Tischbein war schwarz und ich konnte die Augen nicht mehr offen halten. Den Pinsel legte ich noch in Terpentin ein, ging zu meiner Matratze schlafen, schlafen, lange schlafen.
Sieben Stunden später, halbwegs erfrischt, stand ich auf und ging in die Küche. Ich sah, dass der Tisch mit der schwarzen Farbe total blöd aussah. Also beschloss ich, ihn nicht weiter zu bearbeiten.
Innerlich spürte ich plötzlich den Impuls, meine Mutter anzurufen. Wer weiß warum.
Den Tisch ließ ich Tisch sein, setzte mich mit einem Notizblock auf den Küchenboden und machte mir einen Plan für den kurzen Rest meines Urlaubs. Ich hatte noch zwei Tage, mehr als genug. Erstmal den Briefkasten reinigen. Schloss austauschen. Teppich wieder ausrollen, Wohnung einrichten… Ich hielt inne, sah zu dem Tisch. Der bleibt so, beschloss ich endgültig und dachte, aber erzählen, wie es dazu kam, kann man eigentlich niemandem.
_____________________________________
#2
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
Der schwarze Fuß meines Tisches
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.11.2007 12:19von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
die Mutter im zweiten Satz ist korrigiert, schön.
"Den Tisch ließ ich Tisch sein" <- beim Finale hier ein scharfes ß bitte.
"(...) wie enttäuschend er das doch jetzt fände, dass ich es nicht fertig brächte mal ein bisschen locker zu sein, so wie früher, bevor meine Ex mich so domestiziert hätte." das mich würde ich umstellen in:
... bevor mich meine Ex so domestiziert hätte.
oder gleich eine andere Zeitform wählen.
"Das war offensichtlich das Stichwort für die Mädchen zu beschließen, dass sie jetzt mal weiter müssten und sie bewegten sich auf einen entfernten Ort am anderen Ende des Bahnsteigs zu." <- hier fehlt ein "sie"
hallo GW
du solltest das nächste Mal (sorgfältiger) Gegenlesen lassen. die fehlerhafte Rechtschreibung hat dich bestimmt Punkte gekostet.
mir gefiel die Geschichte gut. ich hab nun alle Wettbewerbsbeiträge gelesen und halte die Platzierung gerechtfertigt. auch hab ich am meisten dabei gelacht.
Gruß
Alcedo
"Den Tisch ließ ich Tisch sein" <- beim Finale hier ein scharfes ß bitte.
"(...) wie enttäuschend er das doch jetzt fände, dass ich es nicht fertig brächte mal ein bisschen locker zu sein, so wie früher, bevor meine Ex mich so domestiziert hätte." das mich würde ich umstellen in:
... bevor mich meine Ex so domestiziert hätte.
oder gleich eine andere Zeitform wählen.
"Das war offensichtlich das Stichwort für die Mädchen zu beschließen, dass sie jetzt mal weiter müssten und sie bewegten sich auf einen entfernten Ort am anderen Ende des Bahnsteigs zu." <- hier fehlt ein "sie"
hallo GW
du solltest das nächste Mal (sorgfältiger) Gegenlesen lassen. die fehlerhafte Rechtschreibung hat dich bestimmt Punkte gekostet.
mir gefiel die Geschichte gut. ich hab nun alle Wettbewerbsbeiträge gelesen und halte die Platzierung gerechtfertigt. auch hab ich am meisten dabei gelacht.
Gruß
Alcedo
#3
von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Der schwarze Fuß meines Tisches
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 18.11.2007 13:29von Don Carvalho • Mitglied | 1.880 Beiträge | 1880 Punkte
Hallo GW,
zunächst einmal sind mir auch einige Fehler aufgefallen. Diese und diejenigen Formulierungen, die mir missfallen, will ich mal voranstellen:
Das "wohl" finde ich überflüssig. Nun beschränkt sich der Erzähler schon auf das verwegenste Sexabenteuer seines Lebens und schränkt es weiter ein, in dem es ein solches nach seinem Empfinden ist, da muss er nicht auch noch mit einem "wohl" herumhantieren.
"Erlebnisse" ist klar. Das "trotzdem" ist für mein Dafürhalten deplaziert, weil es zu sehr einen Gegensatz zu den vorangegangenen Anekdoten schafft, dabei scheint mir eher eine Steigerung denn ein Gegensatz passend nach dem Motto: das Sexabenteuer war schon strange, das jetzt Kommende ist aber (nicht trotzdem) noch krasser. geht natürlich auch so, wie Du es gemacht hast, ein "jedoch" fände ich allerdings passender.
Das "bla, bla, bla" ist mir auch etwas zu flapsig, auch wenn ich den lockeren Erzählstil in Deiner Geschichte ansonsten mag.
Jepp.
Die Kommasetzung vor "wie" ist zwar meines Wissens Ermessenssache des Schreibers, der von Dir verwendete Vergleich ist jedoch so in den Satz integriert, dass mich das Komma hier stört.
Mit dem "grummelgrummel" geht es mir wie mit dem bla bla bla... dann noch in zweifacher Ausführung und zusammen mit einem "peng" ist mir das etwas zuviel. Bildhafte Sprache ist eine gute Sache, diese Stelle erinnert jedoch eher an einen Comic. Das Fragezeichen hinter dem "komm" verstehe ich auch nicht, ich würde das eher als Aufforderung und weniger als Frage lesen.
Ich weiß, Kommaregeln sind nicht mehr das, was sie mal waren, und die Kommata sind auch bei Infinitsätzen, die mehr als drei Wörter aufweisen, inzwischen in die Beliebigkeit des Autors gestellt. Ich würde sie dennoch setzen; dringendste zudem mit "d", darauf hatte Dich m.E. schon irgendwer hingewiesen.
Schnupp.
Das klingt seltsam, denn das "kurz" soll doch das Schweigen zwischen Alex und Eli in dieser Situation beschreiben und nicht, dass Matze kurz pinkelt. Besser schiene mir:
Für kurze Zeit hörte man nur Matze im Parterre beim Wasserlassen.
Das Duschbad finde ich an dieser Stelle etwas deplaziert - warum erzählst Du erst vom Bootslack, wenn er dann doch erst duschen geht. Ich würde die Duschaktion entweder vorziehen oder aber den ersten Satz etwas umformulieren. ZB das dem Protagonist einfiel, dass er auf dem Zwischenboden noch Bootslack hätte. Dann funktioniert die Reihenfolge dieser Aufzählung besser: er denkt, daran, dass er Bootslack hat, duscht aber erst und geht dann an die Arbeit. Verständlich, was ich meine?
Das Komma nach "Lack" würde ich entfernen.
Zappzerapp.
Die sprachliche Verschachtelung gestaltet das Ende etwas "unknackig". Das "endgültig" überzeugt mich zudem nicht, da er zuvor nur beschlossen hatte, den Tisch nicht weiter zu bearbeiten, nicht aber, ihn so zu belassen. besser gefiele es mir, hier zu kürzen:
"Ich hielt inne, sah zu dem Tisch. Der bleibt so, beschloss ich. Aber erzählen, wie es dazu kam, kann man eigentlich niemandem."
So, genug davon .
Mir gefällt, dass Deine Geschichte einen ungewöhnlichen Einstieg hat. Tisch mit schwarzem Fuß, der auch noch eine Geschichte hat? Das klingt interessant und man will mehr wissen. Dann tastest Du Dich langsam an den Storyfaden der KG heran. Die einzelnen Anekdoten zum Tisch mag ich ganz gerne, auch wenn die Einleitung für meine Begriffe nicht nur formal unter dem Kurzgeschichten-Aspekt etwas zu lang gerät. Denn eigentlich los geht es für mich erst, als Matze und Alex in der Küche sitzen, und da hast Du bereits eine DinA-4 Seite verbraten.
Da wir gerade bei den Formalien der KG sind: mir ist auch das Ende nicht "offen" genug. Natürlich hast Du recht, dass man kaum als Leitlinie aufstellen kann, "je offener, desto Kurzgeschichte" (wenn ich Dich zitieren darf), denn das kann auch nach hinten losgehen, wie ich gemerkt habe . Ich finde aber, Deine Geschichte ist einfach so dermaßen rund und abschließend erzählt - selbst der Plan für die verbleibenden Urlaubstage wird präsentiert - so dass ich zumindest nicht darüber nachdenke, wie es weitergeht. Die Geschichte des Tisches sowie seines Beines ist erzählt und der Vorhang schließt sich. Dabei ist auch klar, dass bei Deinem Plot die Geschichte des schwarzen Fußes auch erzählt werden muss, aber vielleicht hätten ein paar offene Fragen die Zukunft des Protagonisten betreffend gepasst und den Leser über dessen zukünftiges Leben grübeln lassen.
Was wirklich gut gelungen ist, ist die Darstellung der Akteure, ich habe von allen ein Bild im Kopf- zwar nicht bildlich, aber charakterlich. Bis auf "grummelgrummel", "bla,bla,bla" und "Peng" finde ich Deine Schreibe auch sprachlich sehr ansprechend, die Dialoge inklusive des alkoholbedingten Genuschels sowie die Beschreibungen der Örtlichkeiten sind überzeugend. Darüber hinaus zeichnest Du ein paar gelungene Bilder, die rotbraune Tropfsteinhöhle aus Bierflaschen und der malmende Egopanzer haben es mir besonders angetan.
Und Du schaffst es, mich als Leser an so einigen Stellen Schmunzeln zu lassen. Besonders mag ich es, wenn die Protagonisten einer Geschichte mit Hausschuhen losziehen !
Margot hatte eingeworfen, dass der Verweis auf Arthur Dent irritieren kann. Mag sein, allerdings darf man "Per Anhalter durch die Galaxis" durchaus kennen - und wer das nicht tut, dem ist ohnehin einiges entgangen . Wenn man das Buch (und am besten noch die alte BBC-Serie) aber kennt, ist diese Stelle einfach gut, damit müssen dann eben die Unwissenden leben.
Alles in allem eine schöne, runde Geschichte, die - obschon meiner Mäkeleien - Spaß macht, zu lesen.
Grüße,
Don
zunächst einmal sind mir auch einige Fehler aufgefallen. Diese und diejenigen Formulierungen, die mir missfallen, will ich mal voranstellen:
Zitat: |
Dann wäre da noch das für mein Empfinden wohl verwegenste Sexabenteuer meines Lebens mit meiner Freundin Elisabeth. |
Das "wohl" finde ich überflüssig. Nun beschränkt sich der Erzähler schon auf das verwegenste Sexabenteuer seines Lebens und schränkt es weiter ein, in dem es ein solches nach seinem Empfinden ist, da muss er nicht auch noch mit einem "wohl" herumhantieren.
Zitat: |
Das eklatanteste Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Tisch war trotzdem sicherlich, wie Elisabeth eines Morgens nach viereinhalb Jahren Beziehung bei der Suche nach dem Herdanzünder nicht nur eine mir bis dahin verborgen gebliebene Schublade in dem Küchentisch entdeckte, sondern darin auch alte Briefe fand, die eindeutig Liebesbriefe waren. |
"Erlebnisse" ist klar. Das "trotzdem" ist für mein Dafürhalten deplaziert, weil es zu sehr einen Gegensatz zu den vorangegangenen Anekdoten schafft, dabei scheint mir eher eine Steigerung denn ein Gegensatz passend nach dem Motto: das Sexabenteuer war schon strange, das jetzt Kommende ist aber (nicht trotzdem) noch krasser. geht natürlich auch so, wie Du es gemacht hast, ein "jedoch" fände ich allerdings passender.
Zitat: |
„Mein geliebter Klaus, ich sehne mich nach Dir und Deinem Körper so unendlich…bla, bla, bla“. |
Das "bla, bla, bla" ist mir auch etwas zu flapsig, auch wenn ich den lockeren Erzählstil in Deiner Geschichte ansonsten mag.
Zitat: |
Wie ich von ihrer besten Freundin Rike im Telefonat erfuhr, hattte sie schon vor einiger Zeit mit einem Berater in ihrer Agentur angebandelt, was Rike offensichtlich missbilligte. Zitat: „Ja, sie hat sich nicht unbedingt zum Positivsten entwickelt Komma seit sie in dieser PR-Agentur arbeitet.“ |
Jepp.
Zitat: |
Die Küche sah aus, Komma weg wie die untere Hälfte einer rotbraunen Tropfsteinhöhle. |
Die Kommasetzung vor "wie" ist zwar meines Wissens Ermessenssache des Schreibers, der von Dir verwendete Vergleich ist jedoch so in den Satz integriert, dass mich das Komma hier stört.
Zitat: |
Grummelgrummel. „Wohin denn?“ „Egal.“ Peng. Ich platzte. „Dir ist immer alles egal. Und? Was bringt dir das? Bist du glücklich? Was ist dein Traum? Deine Herausforderung? Dein Ziel?“ Die Eiche zum Kläffer: „Jetzt mit dir einen drauf zu machen. Los, komm?“ Grummelgrummel. Er hatte ja Recht. |
Mit dem "grummelgrummel" geht es mir wie mit dem bla bla bla... dann noch in zweifacher Ausführung und zusammen mit einem "peng" ist mir das etwas zuviel. Bildhafte Sprache ist eine gute Sache, diese Stelle erinnert jedoch eher an einen Comic. Das Fragezeichen hinter dem "komm" verstehe ich auch nicht, ich würde das eher als Aufforderung und weniger als Frage lesen.
Zitat: |
Ich steckte den Wohnungsschlüssel ins Schloss mit dem einzigen Gedanken Komma endlich aufs Klo zu gehenKomma und dem zweit dringendsten VorsatzKomma mir gleich darauf Matze vorzuknüpfen. |
Ich weiß, Kommaregeln sind nicht mehr das, was sie mal waren, und die Kommata sind auch bei Infinitsätzen, die mehr als drei Wörter aufweisen, inzwischen in die Beliebigkeit des Autors gestellt. Ich würde sie dennoch setzen; dringendste zudem mit "d", darauf hatte Dich m.E. schon irgendwer hingewiesen.
Zitat: |
„Und mit dir bin ich auch noch nicht fertig, Freundchen! Glaubt ihr dennKomma ich bin blöd? Klar. Du lockst mich raus, damit Eli hier in Ruhe den Teppich wegholen kann!“ |
Schnupp.
Zitat: |
Sie blieb stehen und seufzte. Im Hausflur hörte man kurz nur Matze im Parterre beim Wasserlassen. |
Das klingt seltsam, denn das "kurz" soll doch das Schweigen zwischen Alex und Eli in dieser Situation beschreiben und nicht, dass Matze kurz pinkelt. Besser schiene mir:
Für kurze Zeit hörte man nur Matze im Parterre beim Wasserlassen.
Zitat: |
Ich hatte auf dem Zwischenboden im Flur noch schwarzen Bootslack stehen. Ich nahm, um den Aufräum-, Sauf- und Streitschweiß abzuwaschen erst einmal ein Duschbad. Danach holte ich den Lack , samt Werkzeugkasten vom Boden herunter, ging in die Küche, schmirgelte das Tischbein ab und begann, es sorgfältig zu streichen. |
Das Duschbad finde ich an dieser Stelle etwas deplaziert - warum erzählst Du erst vom Bootslack, wenn er dann doch erst duschen geht. Ich würde die Duschaktion entweder vorziehen oder aber den ersten Satz etwas umformulieren. ZB das dem Protagonist einfiel, dass er auf dem Zwischenboden noch Bootslack hätte. Dann funktioniert die Reihenfolge dieser Aufzählung besser: er denkt, daran, dass er Bootslack hat, duscht aber erst und geht dann an die Arbeit. Verständlich, was ich meine?
Das Komma nach "Lack" würde ich entfernen.
Zitat: |
Innerlich spürte ich plötzlich den Impuls, meine Mutter anzurufen. Wer weißKomma warum. |
Zappzerapp.
Zitat: |
Ich hielt inne, sah zu dem Tisch. Der bleibt so, beschloss ich endgültig und dachte, aber erzählen, wie es dazu kam, kann man eigentlich niemandem. |
Die sprachliche Verschachtelung gestaltet das Ende etwas "unknackig". Das "endgültig" überzeugt mich zudem nicht, da er zuvor nur beschlossen hatte, den Tisch nicht weiter zu bearbeiten, nicht aber, ihn so zu belassen. besser gefiele es mir, hier zu kürzen:
"Ich hielt inne, sah zu dem Tisch. Der bleibt so, beschloss ich. Aber erzählen, wie es dazu kam, kann man eigentlich niemandem."
So, genug davon .
Mir gefällt, dass Deine Geschichte einen ungewöhnlichen Einstieg hat. Tisch mit schwarzem Fuß, der auch noch eine Geschichte hat? Das klingt interessant und man will mehr wissen. Dann tastest Du Dich langsam an den Storyfaden der KG heran. Die einzelnen Anekdoten zum Tisch mag ich ganz gerne, auch wenn die Einleitung für meine Begriffe nicht nur formal unter dem Kurzgeschichten-Aspekt etwas zu lang gerät. Denn eigentlich los geht es für mich erst, als Matze und Alex in der Küche sitzen, und da hast Du bereits eine DinA-4 Seite verbraten.
Da wir gerade bei den Formalien der KG sind: mir ist auch das Ende nicht "offen" genug. Natürlich hast Du recht, dass man kaum als Leitlinie aufstellen kann, "je offener, desto Kurzgeschichte" (wenn ich Dich zitieren darf), denn das kann auch nach hinten losgehen, wie ich gemerkt habe . Ich finde aber, Deine Geschichte ist einfach so dermaßen rund und abschließend erzählt - selbst der Plan für die verbleibenden Urlaubstage wird präsentiert - so dass ich zumindest nicht darüber nachdenke, wie es weitergeht. Die Geschichte des Tisches sowie seines Beines ist erzählt und der Vorhang schließt sich. Dabei ist auch klar, dass bei Deinem Plot die Geschichte des schwarzen Fußes auch erzählt werden muss, aber vielleicht hätten ein paar offene Fragen die Zukunft des Protagonisten betreffend gepasst und den Leser über dessen zukünftiges Leben grübeln lassen.
Was wirklich gut gelungen ist, ist die Darstellung der Akteure, ich habe von allen ein Bild im Kopf- zwar nicht bildlich, aber charakterlich. Bis auf "grummelgrummel", "bla,bla,bla" und "Peng" finde ich Deine Schreibe auch sprachlich sehr ansprechend, die Dialoge inklusive des alkoholbedingten Genuschels sowie die Beschreibungen der Örtlichkeiten sind überzeugend. Darüber hinaus zeichnest Du ein paar gelungene Bilder, die rotbraune Tropfsteinhöhle aus Bierflaschen und der malmende Egopanzer haben es mir besonders angetan.
Und Du schaffst es, mich als Leser an so einigen Stellen Schmunzeln zu lassen. Besonders mag ich es, wenn die Protagonisten einer Geschichte mit Hausschuhen losziehen !
Margot hatte eingeworfen, dass der Verweis auf Arthur Dent irritieren kann. Mag sein, allerdings darf man "Per Anhalter durch die Galaxis" durchaus kennen - und wer das nicht tut, dem ist ohnehin einiges entgangen . Wenn man das Buch (und am besten noch die alte BBC-Serie) aber kennt, ist diese Stelle einfach gut, damit müssen dann eben die Unwissenden leben.
Alles in allem eine schöne, runde Geschichte, die - obschon meiner Mäkeleien - Spaß macht, zu lesen.
Grüße,
Don
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