#1

Provinznest-Blues

in Diverse 23.11.2007 22:18
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
    Provinznest-Blues


Man hört den Bus um fünf Uhr zwanzig kommen,
dann sind es etwa noch drei Kilometer,
bis er dann einfährt. Bloss ein wenig steht er
sobald er wendet und wird nicht vernommen;

der Fahrer pinkelt nämlich in die frommen
Geranien von dem Schuster Vetter Peter.
Polier ich mir jetzt doch die schwarzen Treter?
Ach, soll der Staub der Stadt zugute kommen!

Denn nichts kann dieses Elend jetzt noch retten:
der Bus schafft mich aus ländlichem Gefilde,
der Wald fällt langsam rappelnd aus dem Bilde
der Scheiben, die im Morgendunst beschlagen,

und mir rumort auch jedes Mal der Magen -
es wimmelt von Provinzlern in den Städten.



e-Gut
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#2

Provinznest-Blues

in Diverse 23.11.2007 23:33
von Brotnic2um • Mitglied | 645 Beiträge | 645 Punkte
Hi Alcedo

Was mir gefällt, weil es meinem eigenen Erleben in der Provinz nahe kommt, ist:

Man hört den Bus um fünf Uhr zwanzig kommen,
dann sind es etwa noch drei Kilometer,

bis er dann einfährt.

Polier ich mir jetzt doch die schwarzen Treter?
Ach, soll der Staub der Stadt zugute kommen!

der Bus schafft mich aus ländlichem Gefilde,
der Wald fällt langsam rappelnd aus dem Bilde
der Scheiben, die im Morgendunst beschlagen,

und mir rumort auch jedes mal der Magen -
es wimmelt vor Provinzlern in den Städten.


Das Warten, die Übersprungshandlung mit dem Polieren der Schuhe, das Bild mit dem Wald, dass bei Diesel und schlechtem Pflaster irgendwann aus dem Seitenfenster fällt und das bei noch besser beobachteten beschlagenen Scheiben, weil es doch arg früh ist, das passt für mich. Vielleicht fehlt mir hier dieses ganz frühe Morgengrauen, dass den zum Glück wachen Pendler hier befällt.

Sehr gelungen der Zweizeiler am Ende. Das Augenzwinkern des LIs ohne die Aussage zu revidieren, finde ich gelungen.


Was mir nicht gefällt:

Bloss ein wenig steht er
sobald er wendet und wird nicht vernommen;
der Fahrer pinkelt nämlich in die frommen
Geranien von dem Küster Vetter Peter.


Das geht an mir vorbei. Aber diesen provinziellen Touch, den braucht es natürlich. Dieses unsäglich vertrauliche wie die Geranien und den Vetter. Aber das Pinkeln des Fahrers, das einfach so unterbrechen und verflüssigen des Fahrplans – als sei darauf geschissen – ist mir schon ein eigenes Gedicht wert. Aber es fällt für mich hier trotzdem aus dem Rahmen oder Seitenfenster.
Da fällt mir auf: Du kannst diese Kritik auch als Kompliment werten


Was ich zwiespältig finde:

Nichts kann dieses Elend jetzt noch retten: [

Das ist gnadenlos von Herzen. Aber ich finde den Staub den das LI vorher schon so wunderbar lakonisch beschließt doch in der Stadt zu verteilen, drückt die mich zwiespältig hinterlassene Zeile doch schon aus? Oder nicht?

Ein zufriedenes Ferkel grüßt Dich.
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#3

Provinznest-Blues

in Diverse 24.11.2007 00:17
von Erebus (gelöscht)
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Hallo Alcedo

dies gefällt mir auch. Sogar sehr.
So uneingeschränkt hätte ich das auch beinahe hier hinterlassen. Aber nach dem stimmigen Brot'schen Kommentar muß ich mich wohl kritischer zeigen.
Den Fahrer fand ich in S2 durchaus passend und treffend beschrieben. Wenngleich das Bild eine etwas humoristische Note hinterläßt, finde ich es gut. Allerdings stolperte ich über den Namen des Küsters, der mir nichts sagt, außer: das er sich reimt.
Ähnliches gilt in meinem Fall von S1V4 "und wird nicht vernommen" das ist mir in der starken Beschreibung zu schwach und auffüllend.

Ansonsten finde ich Deinen Text sehr gut.
Und weil ich heute den Blus habe, werde ich es auch einschicken

Gruß
Ulrich
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#4

Provinznest-Blues

in Diverse 24.11.2007 01:30
von Joame Plebis | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Morgen, Alcedo!

Interessant auf jeden Fall! Hier hast Du viel Wert auf den Rhythmus
gelegt. Ich breche ab, weil ich mich bei zwei Stellen nicht mehr konzentrieren kann und es etwas anders lese, wahrscheinlich habe ich mich zur Morgenstunde vertan. (Ich habe die Stellen gekennzeichnet.)
Gesprochen wird es bestimmt noch interessanter wirken.

Gruß
Joame


Zitat:

Man hört den Bus um fünf Uhr zwanzig kommen,
dann sind es etwa noch drei Kilometer,
bis er dann einfährt. Bloss ein wenig steht er
sobald er wendet und wird nicht vernommen;

der Fahrer pinkelt nämlich in die frommen
Geranien von dem Küster Vetter Peter.
Polier ich mir jetzt doch die schwarzen Treter?
Ach, soll der Staub der Stadt zugute kommen!

Nichts kann dieses Elend jetzt noch retten:
der Bus schafft mich aus ländlichem Gefilde,
der Wald fällt langsam rappelnd aus dem Bilde
der Scheiben, die im Morgendunst beschlagen,

und mir rumort auch jedes mal der Magen -
es wimmelt vor Provinzlern in den Städten.


xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx

xXxXxXxXxXx
xX(x)xXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx

XxXxXxXxXx
xXxXxXxxxXx
xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx

xXxXxXxXxXx
xXxXxXxXxXx
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#5

Provinznest-Blues

in Diverse 24.11.2007 18:47
von bipontina (gelöscht)
avatar
Guten Tag, Alcedo...

ein ungeübter X-er meldet sich total naiv.
Ich selbst, geübt im Zug- und Busfahren, habe noch keinen Busfahrer pinkeln sehn.
Der Küster Vetter Peter hinter den Geranien, denke ich, ist eine etwas mißlungene Reimhilfe.
Das "rappelnd" bezieht sich sich hoffentlich nicht auf den Wald, sondern auf die Busfensterscheiben.
Es wimmelt vor!?? Ich dachte, es wimmelt hier von Busfahrern... oder staubigen Schuhen...oder rappligen Scheiben...

Das ist nicht bodenständig nicht mal halb-städtisch -provinziell,

obgleich Talent zu erkennen ist.
Warum denk ich , Blickes bloß, find ich das Gedicht nicht kross?

Lieben Gruß von Cyparis
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#6

Provinznest-Blues

in Diverse 26.11.2007 13:21
von Simone • Mitglied | 1.674 Beiträge | 1674 Punkte
Hi Alcedo

mir gefällt das auch gut, besonders die letzten beiden Zeilen in denen sich der Blickwinkel des LI mit der Örtlichkeit ändert.

„sobald er wendet und wird nicht vernommen“ und der „Küster Vetter Peter“
die beiden Stellen hören sich etwas gezwungen an.
wieso Vetter Peter? Vetter wie Cousin oder heißt der so? das würde mir ohne Vetter besser gefallen.
evtl.: Geranien von dem alten Küster Peter oder Geranien vom alten Küster Peter je nach dem ob man Geranien 3 oder 4 silbig ausspricht

Nichts kann dieses Elend jetzt noch retten: XxXxXxXxXx
evtl.: Rein gar nichts kann das Elend jetzt noch retten xXxXxXxXxXx

Gruß
Simone
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#7

Provinznest-Blues

in Diverse 01.12.2007 11:03
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
@Brotnic2um:
ja, der Touch, der Touch. das soll so rüberkommen, wie nach einem liederlichen tätscheln, penetranter Stallgeruch hängen bleiben kann. und lächerlich solls gerne bitte bleiben und fast schon unglaubwürdig. aber nur fast.

zum Zwiespältigen: vielleicht wäre ein Fragesatz anstatt jener "Nichts..."-Feststellung passender/zutreffender. zumal man mir zu der Synkope (das heisst die Auslassung einer Senkung im Vers) nicht gratuliert. da hab ich vielleicht auch wohl zu sehr den Auslöser kopieren wollen (den anderen Blues). sowas tut einem Text nicht gut.

merci für Kritik&Kompliment

@Erebus:
Vielen Dank für die Nominierung. die humoristische Note schlägt ihr Wasser erleichternd in meine lyrischen Geranien.
für das vernommen finde ich keine Alternative. ich brauche es ja auch um das Ausbleiben des Fahrgeräusches in dem Kaff zu simulieren. dachte ich mir jedenfalls.

@Joame Plebis:
ach komm schon, Geranien geht doch dreisilbig gut. und die Synkope nimmst du mir auch nicht ab.
beim ländliche Gefilde finde ich das Metrum schön so heruntergebügelt. das hatte mich richtig gefreut es so hinbekommen zu haben.
freut mich, dass es dir auffiel. die neunte Zeile werde ich vielleicht zu ändern versuchen. das gebügelte Gefilde aber nicht.

@bipontina:
ist das nicht korrekt:
"im Keller wimmelt es vor Ratten"? muss es "von Ratten" heißen?
dann muss ichs natürlich auch im Text korrigieren.

@Simone:
zu dem vernommen versuch ich vielleicht noch was.
ok. jetzt zum Vetter: es ist eine spezielle Region/Provinz gemeint mit einem sehr altertümlichen Idiom. dort wurde jeder ältere Mann Vetter genannt. das hatte/hat nichts mit Verwandtschaften zu tun. es wimmelte also vor Vettern: Vetter Hans, Vetter Juri, Vetter Matz usw. und es gab natürlich auch Doppelungen. Vetter "Pheter" gab es zwei, oder sogar drei wenn ich es noch richtig weiß. und da musste natürlich der Beruf aushelfen. ich könnte natürlich auch Schuster Vetter Peter schreiben wenn die Bezeichnung sonst zu exotisch wirkt. denn die Namen hab ich natürlich auch geändert/vertauscht.
das mit der Synkope war wohl nichts. merci.
ich bleib da dran. vielleicht bekomme ich einen schönen Fragesatz hin.

Grüße
Alcedo



e-Gut
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#8

Provinznest-Blues

in Diverse 01.12.2007 13:04
von Fabian Probst (gelöscht)
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ich versuche das immer wieder zu ordnen, aber es gelingt mir nicht.

Man hört den Bus um fünf Uhr zwanzig kommen,
dann sind es etwa noch drei Kilometer,
*hört man ihn drei Kilometer vor dem Eintreffen in dem Provinznest, oder sind es noch drei Kilometer zur Stadt?

bis er dann einfährt.
*In die Stadt oder ins Nest?

Bloss ein wenig steht er
*wo steht er jetzt?

sobald er wendet
*er steht sobald er wendet???

und wird nicht vernommen;
der Fahrer pinkelt nämlich in die frommen
*er steht und wendet, während der Fahrer in die Geranien pinkelt???

Vielleicht bin ich einfach zu blöd, aber ich krieg das nicht zusammen.

Rein klanglich finde ich es nicht schlecht, ganz und gar nicht. Aber vielleicht erklärst du mir den Ablauf ja mal genauer.

Gruß, Fabian


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#9

Provinznest-Blues

in Diverse 01.12.2007 20:45
von Alcedo • Mitglied | 2.708 Beiträge | 2838 Punkte
da der Bus meist Verspätung hatte, lohnte es sich nicht pünktlich zur Haltestelle zu gehen. erst wenn man ihn kommen hörte (aus der Stadt), dann konnte man sich fertig machen. nach dem Wendemanöver gab es eine kurze (Pinkel)Pause bevor das Schlaglochgerumpel und -gerappel wieder anfing.
das spielt sich alles natürlich im Dorf ab, Fabian, im besagten Nest. in der Stadt würde ein Bus ja nicht auffallen. aber da im Dorf übertönt er morgens alle Geräusche. das Gedicht hört dann auf der Fahrt zur Stadt etwa dort auf, von wo der Bus anfangs zu hören war. von dort bis zur Stadt ist es ja auch noch weit genug.
hoffe behilflich gewesen zu sein.

Gruß
Alcedo

edit:
habe mich entschlossen, das "vor" in ein ein "von" abzuändern.
auch der neunten Zeile, die mit "Nichts" begann, habe ich nun einen Auftakt hinzugefügt.
der Küster wurde ein Schuster.

e-Gut
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