Nur ein Gedanke im Rosenbeet
Wenn ein Mann vorüber rennt, schweißüberströmt und keuchend. Er ängstlich über die Schulter blickt, strauchelt, sich im letzten Moment fängt und, noch im Aufrichten, obwohl am Ende seiner Kräfte, die Schritte beschleunigt. Sich verzweifelt, suchend umsieht und in eine enge Seitengasse, wie in einen rettenden Hafen, biegt, um von der Dunkelheit verschluckt zu werden.
Und wenn Sekunden später, ein Jugendlicher, ebenfalls rennend und prustend, mit schweren Stiefeln das Kopfsteinpflaster zum beben bringt und zielstrebig in eben diese Gasse biegt, die jener Mann vor Augenblicken nahm.
Wer würde ich sein?
Weder bin ich ein Flüchtender, obwohl ich flüchtig bin, noch bin ich ein Verfolger obgleich ich verfolge. Ich schließe meine Augen. Ich bin nur ein Gedanke. Weiter nichts.
Ich liege zwischen hohen Grashalmen und blicke zum Himmel. Leuchtendes, von Wolkenschlieren durchbrochenes Blau schimmert durch die Blütenblätter, die mir spärlichen Schatten spenden. Ich räkle mich faul in der schweren Mittagshitze dieses Sommertages und überlege, ob ich es wagen sollte einen der dicken Rosenstiele zu erklettern, um die Welt einmal in ihrem ganzen Ausmaß zu sehen. Doch die Dornen scheinen spitz und die Stängel glatt zu sein.
Ich weiß, es gibt eine Welt da draußen, denn manchmal höre ich gedämpfte Stimmen, jenseits des roten und gelben Blütendaches. Manchmal das Lachen eines Kindes. Manchmal ein Weinen. Und schon manches Mal verzweifeltes Schreien. Einige Male spürte ich wie die Erde unter mir erbebt. Dumpf und gleichmäßig, und wunderbar einschläfernd.
Ich träume von exotischen Tieren in fernen Ländern, von fremden Kulturen mit ungewöhnlichen Bräuchen. Ein Herrscher in langen Gewändern, auf seiner Lagerstatt. Umgeben von Mädchen und Frauen aller Schattierungen, die eine schöner als die andere. Er döst in den Schatten ihrer Leiber. Unverantwortlich, ganz im Sinne seines Standes. Ich seufze mit ihm und verschränke die Arme unter meinem Kopf.
Wenn die Erde bebt, sehe ich Elefanten. Die Herde stampft durch die Savanne. In ihrer Mitte die Alten, die Schwachen und die Jungen. Der Leitbulle, ein stattliches Tier, groß und stark, an der Spitze. Mit funkelnden Augen und prächtigen Stoßzähnen.
Und wenn ich Schreie höre, sehe ich Krieger. Stolze, glänzende Gesichter, nackte Oberkörper und blutrotes Tuch um die Hüften. Lange Speere über die Köpfe erhoben, treten sie furchtlos und fordernd vor die tief stehende Sonne. Rufe hallen, gleich Gesang, über die trockene Erde. Ihre mit Bedacht gewählten Schritte scheinen Teil eines Tanzes zu sein. Und der Tod ist nur eine Etappe in der Abenddämmerung.
Ich erwache mit einem Lächeln auf den Lippen. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne kitzeln meine Nase. Die Blüten wiegen sich sanft im Wind. Ich werde keinen Rosenstiel erklimmen. Heute nicht. Ich krieche in mein Schneckenhaus und mache es mir bequem für die Nacht.
Wenn ich in aller Frühe die Augen öffne, die Sprinkleranlage den Garten netzt, und kühles Wasser auf mein Häuschen prasselt, werde ich meiner gedenken. Wie jeden Morgen. Denn es ist doch der Gedanke der zählt.