#1

Sturzfahrt

in Düsteres und Trübsinniges 05.03.2008 16:39
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Sturzfahrt

Die Sturzfahrt begleist nur die Vergangenheit,
und selbst fest vereist wird kein Verlangen weit
und breit erzeugt, die weiße Schiene zu
befahren - führt sie doch nur hin zu
mir. - Im warmen Tale nicht mal das.
An meinen Armen Male meines Aderlass,
geschnitten im Aufprall am Schneegrenzenrand,
der Schlitten am Saustall geprallt an die Wand.
Dann bin ich verschwunden in tintiger Nacht,
hab vieles gefunden, was winziger macht.
Nur Schnee- und Blutspur deuten schließlich noch
in Bergschnee und Talflur auf mein letztes Loch.

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#2

Sturzfahrt

in Düsteres und Trübsinniges 13.03.2008 22:55
von Maya (gelöscht)
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Hi GW,

das wird wohl keines meiner Lieblingsgedichte. Inhaltlich erschließt es sich mir auch gar nicht, was ein Gefallen daran schon mal nahezu ausschließt. Aber auch sprachlich ist es nicht mein Fall, es wirkt auf mich leicht bis mittelschwer verkrampft, so als hättest du um jedes Wort gerungen.

Die Sturzfahrt begleist nur die Vergangenheit,
und selbst fest vereist wird kein Verlangen weit
und breit erzeugt, die weiße Schiene zu
befahren - führt sie doch nur hin zu
mir. - Im warmen Tale nicht mal das.


Sprachlich fallen die Binnenreime ("begleist-vereist"/ "weit-breit") auf, doch werden diese nicht durchgängig bis zum Schluss durchgezogen. Die Endreime des dritten und vierten Verses sind "zu" identisch, als dass ich das, ohne zu kritteln, durchgehen ließe.

Inhaltlich gerate ich bereits in den ersten beiden Zeilen ins Stolpern. Die Sturzfahrt muss ja oben, also auf einem Berg/Anhöhe beginnen, wobei ich diese Sturzfahrt eher symbolisch deute - als Berg- und Talfahrt des lyrI, welches in ein "psychisches" Loch stürzt. Diese Talfahrt hat mit der Vergangenheit des lyrI zu tun; mag sein, dass da gewisse Dinge nicht verarbeitet wurden und immer mal wieder zu "Abstürzen" führen. Jedenfalls interpretiere ich die "vereiste" Vergangenheit so; diese ist so starr und festgefroren, dass man sie nicht fassen kann, um sie zu verarbeiten. Oder bezieht sich die Vereisung auf das Verlangen? So oder so, das lyrI will sich gar nicht mit seiner Vergangenheit beschäftigen und sich nicht auf die Vergangenheitsschiene begeben. Warum führt das Gleis denn bei Wärme nicht zum lyrI? Weil, wenn es im Tal ist, nicht mehr weiter bergab gehen kann und das Ende der Schienen erreicht ist? Weil die Schneerutschbahn fehlt?

An meinen Armen Male meines Aderlass,
geschnitten im Aufprall am Schneegrenzenrand,
der Schlitten am Saustall geprallt an die Wand.
Dann bin ich verschwunden in tintiger Nacht,
hab vieles gefunden, was winziger macht.
Nur Schnee- und Blutspur deuten schließlich noch
in Bergschnee und Talflur auf mein letztes Loch.


Auch hier fallen die zahlreichen Binnenreime ins Auge. Das gefällt mir.
Bei Aderlass fehlt mir am Ende ein -es. Wenn ich diesen Vers lese, denke ich an ein Ritzergedicht, an ein lyrI, das sich in Grenzsituationen Schmerzen zufügt. Der Schlitten passt nicht zu den Schienen, du meintest oben also vermutlich diese Schneespuren/-rillen, die ein Schlitten hinterlässt, ja? Hm. Mir ist unklar, warum der Schlittenfahrer erst gegen den Schneegrenzenrand prallt und einen Vers später gegen die Wand des Saustalls? Und warum es nun doch losgefahren ist, wo es oben doch hieß, dass es gar kein Verlangen hat, diesem Weg zu folgen? Mit einem Saustall verbinde ich eine unsaubere Wohnung. War oben noch alles an der Natur angelehnt, geht es jetzt mit der "tintigen" Nacht weiter. Wie passt das ins Bild - ich meine rein vom Begriff her?

Das lyrI ist also unten angekommen und fand dort noch mehr, "was winziger macht". Die Vergangenheit scheint es demnach "klein" zu machen, an Selbstwert zu berauben, oder wie? Das Winzige bezieht sich wohl darauf, dass es sich oben auf dem Berg noch für größer hielt, als es im Tal tatsächlich ist. Das könnte auf eine falsche Selbsteinschätzung hindeuten. Mag sein, dass es einen Verlust erlitten hat, in ein Tal stürzte und sich nun geringwertig fühlt, würde ich mir interpretatorisch abwürgen.

Nun, am Ende hat das lyrI Schrammen davongetragen. Diese Fahrt hat eindeutig Spuren hinterlassen. Ich bin immer noch unsicher, ob das lyrI überhaupt losgefahren ist, oder seiner Vergangenheit ausweicht und "lieber" ritzt, weil alles so blutig abläuft. Wie dem auch sei, jedenfalls folgt dann dieses unsägliche "letzte Loch". Vielleicht bin ich versaut, aber das Erste, was mir in den Sinn kam, war, war ... nicht jugendfrei.

Das Metrum erschien mir teils auch wie eine Holperfahrt, aber das liegt vielleicht an den Möhren, die ich nebenbei etwas zu laut knabberte.

Das war's erst mal.
Bis denne, Maya.
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#3

Sturzfahrt

in Düsteres und Trübsinniges 30.04.2008 13:09
von GerateWohl • Mitglied | 2.015 Beiträge | 2015 Punkte
Liebe Maya,

entschuldige vielmals meine späte Rückmeldung, zumal Du nicht nur eine sehr gute inihaltliche Analyse vorgenommen hast, sondern auch gleich fiese Schwachstellen im Gedicht aufs Korn genommen hast, allen voran das doppelte Aufprallen. Das war mior so gar nicht bewusst. Da muss ich, wenn ich das Kind noch retten will, wohl das Kleine nochmal nachoperieren.
Bei Deinem Hinweis auf den nicht-jugendfreie Interpretationsmöglichkeit musste ich sehr grinsen.

Und ja, ich verstehe, dass es unter Umständen als Ritzergedicht rüber kommt. Ich mag diese Interpretationsmöglichkeit eigentlich auch gar nicht ausschließen, habe ich doch meines Wissens nach auch noch nie ein Ritzergedicht geschrieben.
Im Übrigen teile ich Deine Meinung, dass das wohl auch keines meiner eigenen Lieblingsgedichte wird, erst recht nicht solange da noch berechtigterweise Deine kritischen Kinger in den offenen Wunden stecken.

Danke Dir vielmals!

Liebe Grüße,
GW

Edit: Ach so, zu der Frage, ob das Ich nun schon losgefahren ist. Für mich war die Fahrt vollzogen, und was noch zu finden ist, sind die Spuren, die Schienen im Schnee, die Blutspur bis hin zum Loch. Und das lyrische ich steht zwischen der Trauer, dass keiner es sucht und dem Wunsch auch gar nicht gefunden zu werden. Das wollte ich zumindest vermitteln.

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