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Unwesentlich sicherer
#1
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
Unwesentlich sicherer
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 28.06.2008 20:03von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
Ob du als Frau einen zusätzlichen Ring am deutschen Eheringfinger brauchst, um den zu locker sitzenden Ehehring zu sichern, mag für die Menschheit ein unwesentliches Problem sein. Für Gerda, die nicht nur um die Taille herum Jahr für Jahr ein paar Kilos von ihren an sich nicht wenigen verlor, war es ein wesentliches.
Ihr Mann Hans-Norbert, genannt Hanno, war am Tag nach seinem fünfzigsten Geburtstag arbeitslos geworden. Die Papierfabrik baute hundertzwanzig Stellen ab und die Abfindung verbrauchten sie in einem Jahr. Danach konnte er nicht mehr genügend Geld für den goldenen Sicherheitsring aufbringen.
Ich werde immer um dich kämpfen. Immer. Du, du bist doch mein Leben. Das waren seine Gänsehautsätze, die sie manchmal von ihm zu hören bekam. Irgendwann vergaß er diese Sätze.
An ihrem fünfzehnten Hochzeitstag kam er später von der Arbeit nach Hause, krempelte die Hemdsärmel hoch und zeigte auf ein frisches Tattoo auf seinem Unterarm. „Dein Brustbild. Damit ich dich immer bei mir habe!“
„Aber so schlank bin ich doch gar nicht!“ wandte Gerda selbstkritisch ein. „In meinen Träumen schon.“ Sie bekam eine Gänsehaut, murmelte: „In meinen Träumen auch.“ und spürte eine Träne über ihre linke Wange laufen.
Sie begann abzunehmen. Am Anfang wenig. Später mehr.
Hanno war damals noch in der Gewerkschaft. „Wenn die Stellen abbaun, streiken wir!“ Er schlug mit der Faust auf den Küchentisch und lachte.
Das tat er später überhaupt nicht mehr. Und aus der Gewerkschaft trat er sogar aus. „Die können ja auch nix für uns tun.“
Gerda nahm das Zahngold zweier ihrer Backzähne, das der Zahnarzt vor ein paar Jahre gegen eine Porzellanfüllung austauschte und trug es zur Goldschmiedin ihres Vertrauens.
Natürlich erzählte sie Hanno, welche tollen Goldringe mit zwei und sogar drei Brillianten sie bei der Goldschmiedin gesehen hatte. Er sollte wissen, zu welchem Verzicht sie bereit war, da sie nur die vergleichsweise geringen Herstellungskosten für den schlichten Zahngoldring von ihm erwartete. Für ihren ausgesprochenen Lieblingsring aus Platin und mit drei Edelsteinen hätte sie über dreitausend Euro hinlegen müssen. Und damit, versicherte sie Hanno, sei ihr die eigentlich sehr nette Goldschmiedin schon um ein paar hundert Euro entgegen gekommen. (Zweihundert genau. Doch das musste Hanno nicht unbedingt wissen.)
Hanno zuckte mit den Schultern, setzte seinen depressivsten Gesichtsausdruck auf, schüttelte den Kopf, nahm demonstrativ sein abgewetztes Lederportemonnaie aus der Gesäßtasche, zog den letzten Zwanzig-Euro-Schein heraus, kippte ein paar Münzen auf den Küchentisch, zählte Gerda ganz langsam vor, dass sie zusammen nicht einmal zwei Euro ergaben und steckte Geld und Portemonnaie wortlos wieder ein.
Gerda spürte eine Träne auf ihrer rechten Wange. Über ihre linke Wange war schon lange keine mehr gelaufen. „Wenn ich jetzt meinen - unseren - Ehering verliere?“ Sie holte tief Luft durch den Mund. Ihre Lippen zitterten.
Hanno sah sie nur kurz an, drehte sich um und verließ schlurfend die Küche. Gerda gab den Ring dennoch in Auftrag und vereinbarte Ratenzahlung.
Das war vor knapp einem halben Jahr.
Seit zwei Wochen trug Gerda nur noch den Sicherungsring und wohnte jetzt bei Friedhelm.
Er war Hannos Kollege, wurde nicht entlassen und ist zehn Jahre jünger als Hanno und dreizehn Jahre jünger als Gerda. Die letzten Raten für den Sicherungsring zahlte er. „Ich liebe dich doch. Da spielt Geld keine Rolle!“ sagte er leise. Gerda bekam keine Gänsehaut und Friedhelm küsste ihr die Tränen von der rechten Wange.
Und da sie noch schlanker geworden war, saß auch der Sicherungsring schon wieder locker.
Ihr Mann Hans-Norbert, genannt Hanno, war am Tag nach seinem fünfzigsten Geburtstag arbeitslos geworden. Die Papierfabrik baute hundertzwanzig Stellen ab und die Abfindung verbrauchten sie in einem Jahr. Danach konnte er nicht mehr genügend Geld für den goldenen Sicherheitsring aufbringen.
Ich werde immer um dich kämpfen. Immer. Du, du bist doch mein Leben. Das waren seine Gänsehautsätze, die sie manchmal von ihm zu hören bekam. Irgendwann vergaß er diese Sätze.
An ihrem fünfzehnten Hochzeitstag kam er später von der Arbeit nach Hause, krempelte die Hemdsärmel hoch und zeigte auf ein frisches Tattoo auf seinem Unterarm. „Dein Brustbild. Damit ich dich immer bei mir habe!“
„Aber so schlank bin ich doch gar nicht!“ wandte Gerda selbstkritisch ein. „In meinen Träumen schon.“ Sie bekam eine Gänsehaut, murmelte: „In meinen Träumen auch.“ und spürte eine Träne über ihre linke Wange laufen.
Sie begann abzunehmen. Am Anfang wenig. Später mehr.
Hanno war damals noch in der Gewerkschaft. „Wenn die Stellen abbaun, streiken wir!“ Er schlug mit der Faust auf den Küchentisch und lachte.
Das tat er später überhaupt nicht mehr. Und aus der Gewerkschaft trat er sogar aus. „Die können ja auch nix für uns tun.“
Gerda nahm das Zahngold zweier ihrer Backzähne, das der Zahnarzt vor ein paar Jahre gegen eine Porzellanfüllung austauschte und trug es zur Goldschmiedin ihres Vertrauens.
Natürlich erzählte sie Hanno, welche tollen Goldringe mit zwei und sogar drei Brillianten sie bei der Goldschmiedin gesehen hatte. Er sollte wissen, zu welchem Verzicht sie bereit war, da sie nur die vergleichsweise geringen Herstellungskosten für den schlichten Zahngoldring von ihm erwartete. Für ihren ausgesprochenen Lieblingsring aus Platin und mit drei Edelsteinen hätte sie über dreitausend Euro hinlegen müssen. Und damit, versicherte sie Hanno, sei ihr die eigentlich sehr nette Goldschmiedin schon um ein paar hundert Euro entgegen gekommen. (Zweihundert genau. Doch das musste Hanno nicht unbedingt wissen.)
Hanno zuckte mit den Schultern, setzte seinen depressivsten Gesichtsausdruck auf, schüttelte den Kopf, nahm demonstrativ sein abgewetztes Lederportemonnaie aus der Gesäßtasche, zog den letzten Zwanzig-Euro-Schein heraus, kippte ein paar Münzen auf den Küchentisch, zählte Gerda ganz langsam vor, dass sie zusammen nicht einmal zwei Euro ergaben und steckte Geld und Portemonnaie wortlos wieder ein.
Gerda spürte eine Träne auf ihrer rechten Wange. Über ihre linke Wange war schon lange keine mehr gelaufen. „Wenn ich jetzt meinen - unseren - Ehering verliere?“ Sie holte tief Luft durch den Mund. Ihre Lippen zitterten.
Hanno sah sie nur kurz an, drehte sich um und verließ schlurfend die Küche. Gerda gab den Ring dennoch in Auftrag und vereinbarte Ratenzahlung.
Das war vor knapp einem halben Jahr.
Seit zwei Wochen trug Gerda nur noch den Sicherungsring und wohnte jetzt bei Friedhelm.
Er war Hannos Kollege, wurde nicht entlassen und ist zehn Jahre jünger als Hanno und dreizehn Jahre jünger als Gerda. Die letzten Raten für den Sicherungsring zahlte er. „Ich liebe dich doch. Da spielt Geld keine Rolle!“ sagte er leise. Gerda bekam keine Gänsehaut und Friedhelm küsste ihr die Tränen von der rechten Wange.
Und da sie noch schlanker geworden war, saß auch der Sicherungsring schon wieder locker.
#2
von Joame Plebis • | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Unwesentlich sicherer
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 28.06.2008 20:53von Joame Plebis • | 3.690 Beiträge | 3826 Punkte
Guten Tag, Karl Feldkamp!
Es läßt sich gut lesen und das gewisse Etwas will ich ihm nicht absprechen. Schnell wird der Leser von der Schilderung mitgenommen und fürchtet, der lockere Sicherungsring könnte verloren gehen.
Du läßt von einem Törtchen kosten, von dem dann ein Verlangen nach mehr kommt.
Gruß
Joame
Es läßt sich gut lesen und das gewisse Etwas will ich ihm nicht absprechen. Schnell wird der Leser von der Schilderung mitgenommen und fürchtet, der lockere Sicherungsring könnte verloren gehen.
Du läßt von einem Törtchen kosten, von dem dann ein Verlangen nach mehr kommt.
Gruß
Joame
#3
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
Unwesentlich sicherer
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 29.06.2008 18:00von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
#4
von Habibi (gelöscht)
Unwesentlich sicherer
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 11.07.2008 15:31von Habibi (gelöscht)
"Danach konnte er nicht mehr genügend Geld für den goldenen Sicherheitsring aufbringen.
Ich werde immer um dich kämpfen. Immer. Du, du bist doch mein Leben. Das waren seine Gänsehautsätze, die sie manchmal von ihm zu hören bekam. Irgendwann vergaß er diese Sätze."
Hallo Karl, auch mir hat die kurze Geschichte gefallen. Hier noch ein paar kleinere Anmerkungen. Da du ohne Absätze schreibst, ist es etwas schwierig, den Schnitt von der Gegenwart (siehe Zitat, ich glaube, bis hierhin geht sie - oder doch nur bis "aufbringen"?) zur rückgeblendeten Vergangenheit mitzukriegen. Man überliest es leicht und stockt dann, weil man sich wundert. Jedenfalls ging es mir so.
Auch bei folgendem weiß man noch nicht, wie weit das in der Vergangenheit liegt, oder ob es sogar noch in der Gegenwart ist.
"An ihrem fünfzehnten Hochzeitstag kam er später von der Arbeit nach Hause, krempelte die Hemdsärmel hoch und zeigte auf ein frisches Tattoo auf seinem Unterarm. „Dein Brustbild. Damit ich dich immer bei mir habe!“
"...ein paar Jahre gegen eine Porzellanfüllung austauschte und trug es zur Goldschmiedin ihres Vertrauens."
..vor ein paar Jahren...und ...ausgetauscht hatte...(sonst ist die Zeit nicht stimmig - Vergangenheit in der Vergangenheit.
"Gerda spürte eine Träne auf ihrer rechten Wange. Über ihre linke Wange war schon lange keine mehr gelaufen."
Das finde ich nicht so witzig. Und auch nicht irgendwie nachvollziehbar. Was soll der Leser daraus ableiten, dass zwar über die rechte, aber nicht über die linke Wange Tränen laufen? - Bei der Gelegenheit würde ich den Hinweis auf die linke Wange auch bei der ersten ERwähnung weiter vorn streichen.
"Er war Hannos Kollege, wurde nicht entlassen."
Auch hier würde ich wieder das Plusquamperfekt benutzen: ..war nicht entlassen worden...
Grüße von Habibi
Ich werde immer um dich kämpfen. Immer. Du, du bist doch mein Leben. Das waren seine Gänsehautsätze, die sie manchmal von ihm zu hören bekam. Irgendwann vergaß er diese Sätze."
Hallo Karl, auch mir hat die kurze Geschichte gefallen. Hier noch ein paar kleinere Anmerkungen. Da du ohne Absätze schreibst, ist es etwas schwierig, den Schnitt von der Gegenwart (siehe Zitat, ich glaube, bis hierhin geht sie - oder doch nur bis "aufbringen"?) zur rückgeblendeten Vergangenheit mitzukriegen. Man überliest es leicht und stockt dann, weil man sich wundert. Jedenfalls ging es mir so.
Auch bei folgendem weiß man noch nicht, wie weit das in der Vergangenheit liegt, oder ob es sogar noch in der Gegenwart ist.
"An ihrem fünfzehnten Hochzeitstag kam er später von der Arbeit nach Hause, krempelte die Hemdsärmel hoch und zeigte auf ein frisches Tattoo auf seinem Unterarm. „Dein Brustbild. Damit ich dich immer bei mir habe!“
"...ein paar Jahre gegen eine Porzellanfüllung austauschte und trug es zur Goldschmiedin ihres Vertrauens."
..vor ein paar Jahren...und ...ausgetauscht hatte...(sonst ist die Zeit nicht stimmig - Vergangenheit in der Vergangenheit.
"Gerda spürte eine Träne auf ihrer rechten Wange. Über ihre linke Wange war schon lange keine mehr gelaufen."
Das finde ich nicht so witzig. Und auch nicht irgendwie nachvollziehbar. Was soll der Leser daraus ableiten, dass zwar über die rechte, aber nicht über die linke Wange Tränen laufen? - Bei der Gelegenheit würde ich den Hinweis auf die linke Wange auch bei der ersten ERwähnung weiter vorn streichen.
"Er war Hannos Kollege, wurde nicht entlassen."
Auch hier würde ich wieder das Plusquamperfekt benutzen: ..war nicht entlassen worden...
Grüße von Habibi
#5
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
Unwesentlich sicherer
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 12.07.2008 18:52von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
Lieber Habibi,
Danke für deinen Kritik und deine Anmerkungen.
Das Plusquamperfekt ist für Kurzgeschichten nicht sonderlich geeignet, da es Tempo aus dem Text nimmt. Ich denke, da sich die Frau eigentlich erinnert, kann Gleichzeitigkeit angenommen werden, obwohl die erinnerten Ereignisse natürlich nicht gleichzeitig sein können.
Die Tränen über die linke Wange, sind (echte) Tränen auf der Herzseite. Die über die rechte Wange sind eher taktische Krokodilstränen auf der Verstandesseite.
Herzliche Grüße
Karl
Danke für deinen Kritik und deine Anmerkungen.
Das Plusquamperfekt ist für Kurzgeschichten nicht sonderlich geeignet, da es Tempo aus dem Text nimmt. Ich denke, da sich die Frau eigentlich erinnert, kann Gleichzeitigkeit angenommen werden, obwohl die erinnerten Ereignisse natürlich nicht gleichzeitig sein können.
Die Tränen über die linke Wange, sind (echte) Tränen auf der Herzseite. Die über die rechte Wange sind eher taktische Krokodilstränen auf der Verstandesseite.
Herzliche Grüße
Karl
#6
von Habibi (gelöscht)
Unwesentlich sicherer
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 12.07.2008 18:54von Habibi (gelöscht)
Hallo Karl, - ich bin übrigens weiblich - das mit den Tränen habe ich nicht gewusst. Das mit den Zeitformen sehe ich nicht so, aber natürlich ist das Ansichtssache.
Schönes WOE wünscht Habibi
Schönes WOE wünscht Habibi
#7
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
Unwesentlich sicherer
in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 13.07.2008 18:39von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
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