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Venezianische Schönheit

in Kurzgeschichten, Erzählungen, Novellen und Dramen. 20.11.2008 13:59
von Anastasia Celéste (gelöscht)
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Ich möchte euch mal folgende Kurzgeschichte von mir vorstellen...ich hoffe auf viel Resonanz. Viel Spaß beim Lesen...und lasst euch nicht von der Länge abschrecken (knapp über 5 Seiten)


Venezianische Schönheit

Er liebte diese abendlichen Spaziergänge, begleitet vom Mondlicht, entlang der kleinen Kanäle, die ihn über unzählige Brücken führten. Er flanierte über die Piazza di St. Marco, die vom imposanten Dogenpalast umsäumt war und verweilte wie so oft für einen kurzen Moment vor der beeindruckenden Basilica di St. Marco. Venedig, die Stadt des Himmels, wie man sie auch nannte, war seine Heimat von Geburt an und er würde dieser außergewöhnlichen Stadt nie den Rücken kehren. Das schwor sich Signore Luciano Bellini, Puppenmacher und Maskenhersteller nach traditionellem Handwerk.
Er genoss sein schon recht fortgeschrittenes Leben im Venedig des 18. Jahrhunderts, schließlich war er ein angesehener Mann in Venedig, nicht zuletzt durch seinen ansehnlichen Reichtum, den er sich im Laufe der Jahre hart erarbeitet hatte. Seine Karnevalsmasken waren von unverkennbarer Schönheit und hohem Wert und erregten jedes Jahr aufs Neue auf dem venezianischen Karneval hohe Aufmerksamkeit und Bewunderung. Ebenso seine Puppen, die von den Aristokraten sehr geschätzt wurden.
Signore Bellini hatte seine Schritte fort vom Markusplatz gewandt, nun wanderte er entlang enger Kanäle, deren Wasser in der Nacht tiefschwarz war. Der Geruch von modrigem Holz und Algen stieg ihm in die Nase und er begann tief zu atmen, denn er liebte diesen Duft. Hier und da hörte er das dumpfe Geräusch der schwarzen Gondeln, wenn sie im Rhythmus der Wellen an die Stege schlugen. Das Mondlicht legte hier und da einen silbrigen Schleier auf die Wasseroberfläche, der durch die kleinen Wellen zu tanzen schien.
Er genoss in solchen Nächten diese ganz eigene Einsamkeit, wenn die sonst so belebte, strahlende Stadt mit ihrer bewegten Geschichte zu schlafen schien, sich in eine mystische Ruhe und Dunkelheit hüllte und nur er ihr dabei zusah.
Diese Nacht war ruhig. Kein Mensch schien mehr wach zu sein. Das fröhliche und laute Treiben in den unzähligen Schenken, das oft bis hinaus auf die Straßen drang, hatte er weit hinter sich gelassen. Bellini überquerte eine kleine Brücke. Der Kanal an dem er nun entlangging wurde immer breiter und der Mond stand direkt über ihm. Sein Licht fiel tief in die Häuserschlucht, benetzte das Wasser und entfachte auch hier ein silbrig tanzendes Feuer auf der Oberfläche. Er schloss einen Moment die Augen und ging Wegessicher weiter geradeaus, wie er es als kleiner Junge getan hatte, wenn er mit seinen Freunden Mutproben machte. Oft fiel er dabei ins Wasser, doch er hatte schnell gelernt. Noch heute konnte er das temperamentvolle Schimpfen seiner geliebten Mutter hören, wenn er wieder einmal völlig durchnässt nach Haus in den Palazzo kam. Der Gedanke daran zauberte ihm ein seliges Lächeln auf die Lippen.
Als er die Augen wieder öffnete, kam ihm etwas Ungewöhnliches ins Blickfeld. Ungefähr zehn Meter von ihm entfernt trieb etwas im Wasser. Vom Mondlicht eingehüllt strahlte es fast weiß, angetrieben an eine kleine vierstufige, steinerne Treppe, deren ersten zwei Stufen unter dem Wasserspiegel lagen und einen leichteren Aufstieg an Land ermöglichen sollten. Langsam näherte sich Bellini dem weißen Etwas, das mehr und mehr Form annahm.
Ein menschliches Wesen, nackt wie der Herr es geschaffen hatte. Er erkannte schnell die Gestalt einer jungen Frau von zierlicher Form. Ihre Haut hatte eine ungewöhnliche Blässe. Weiß wie der Mond selbst schien sie zu sein, geisterhaft. Übernatürlich, aber von unendlicher Schönheit, wie ihr langes silbrig weißes Haar, in dem sich grüne Algen verfangen hatten, das sich im Wasser seidig um ihren Körper schmiegte und sich andächtig bewegte. Ihr Kopf lag auf der gerade so aus dem Wasser herausschauenden Stufe, die mit jeder kleinen Welle erneut von einem Wasserschwall überschwemmt wurde. Ihr Gesicht war von nassen Haarsträhnen bedeckt. Signore Bellini hatte sich hingekniet um die Frau zu betrachten. Fragen türmten sich in seinen Gedanken. Was hatte das nur zu bedeuten? Was war passiert? Wer war sie? Und wo kam sie her? Doch das war unwichtig, beendete er seinen Gedankenstrom entschlossen. Sie war ja tot, ganz eindeutig. Wen interessierte es da noch, woher sie kam?
Zögernd streckte er eine Hand nach ihr aus, schob langsam die feuchten Haarsträhnen aus ihrem Gesicht und entblößte so ein wunderschönes Antlitz, welches sanft vom Mondlicht angeleuchtet wurde. Die Lippen, von der Kälte des Wassers leicht blau gefärbt, waren wohlgeformt. Weiblich, wie die feingezeichneten Bögen ihrer Augenbrauen und Wimpern, in denen sich Wassertropfen verfangen hatten und glitzerten, als hielten sie kleine Sterne gefangen. Bellini hatte sich eine Weile diesem faszinierenden Bild hingegeben. Und auch wenn er es im ersten Moment wollte, so konnte er dieses bezaubernde Wesen - ob tot oder lebendig - nicht einfach hier im Wasser liegen lassen. Beherzt schob er die Ärmel seines edlen Gehrocks hoch und tauchte seine Arme in das kalte Februarwasser. Langsam hob er den zierlichen Körper auf und spürte dessen nasse Kälte durch seine Kleidung hindurch dringen. Unzählige Wassertropfen perlten von ihrer Haut ab und ergossen sich in einem feinen Regen auf den Boden.
Langsam ließ er sie auf die Pflastersteine niedersinken. Fast anmutig lag sie da in ihrem von Wasser und Mondlicht gewebtem Totengewand. Bellini besah ihren blassen Körper, etwas beschämt von ihrer Entblößtheit, doch viel mehr fasziniert von ihrer Schönheit. Und wenn er es selbst nicht für verrückt gehalten hätte, so hätte er sie zu einem, vom Himmelsreich gefallenen, Engel erklärt.
Plötzlich ging ein Zucken durch die vor ihm liegende Frau. Der erschrockene Signore vernahm ein tiefes Atemgeräusch, woraufhin er sogar einen Schritt zurück machte. Dann kehrte wieder Reglosigkeit ein. Bellini wollte seinen Augen nicht trauen - so war sie doch nicht tot? Wieder kam er näher und hockte sich nah zu ihr. Er beschaute ihren Brustkorb, der sich schwach hob und senkte. Er sah sich um, weit und breit keine Menschenseele, niemand der ihn beobachtete, ihm womöglich missverständlich etwas anhängen konnte. Und so hob er sie vom Boden auf und ging fluchtartig wie ein Dieb auf dem schnellsten Weg zu seinem Haus, in dem sich auch seine Werkstätten befanden.
Dort angekommen, bettete er sie vorsichtig auf seiner Couch und eilte in einen Nebenraum, um Decken zu holen. Behutsam hüllte er ihren leblos scheinenden Körper in eine Decke und setzte sich auf einen Stuhl direkt ihr gegenüber. Erst jetzt schien er wieder bei klarem Verstand zu sein. Was hatte ihn nur dazu gebracht, sie in sein Haus zu bringen? Er konnte es sich nicht erklären. Doch er ahnte, dass es die Faszination war.
Die junge Frau lag in tiefer Bewusstlosigkeit und kam auch Stunden später nicht zu sich. Signore Bellini beobachtete sie unermüdlich und vertiefte sich immer mehr in ihr schönes Gesicht. Er konnte förmlich mit ansehen wie ihr Haar trocknete, wie ihre Lippen langsam ein blassrosé annahmen. Sie sah nun nicht mehr aus wie tot, eher, als würde sie einfach nur schlafen. Hin und wieder ertappte er sich, wie aus einer Trance erwachend, dabei, wie er sie minutenlang mit weit geöffneten Augen, ohne mit den Wimpern zu zucken, anstarrte. Hatte er je zuvor eine so schöne Frau gesehen? Wirre Gedanken rankten in seinem Kopf. Aber alle drehten sich um die Unbekannte und ihre Schönheit. Hin und wieder berührte er vorsichtig ihre Wange, ihre Lippen oder ihr Haar, aus dem er behutsam die Algen sammelte. Jedes Mal hielt er dabei vor Aufregung den Atem an, aus Angst sie könnte plötzlich aufwachen, während er sie einfach so berührte, was sich nun mal nicht gehörte.
Wenige Stunden später, nachdem Bellini sich des Öfteren für einige Zeit von seinem Stuhl gelöst hatte, saß er wieder vor ihr, sah sie an und spürte das anstößige Verlangen ihren ganzen Körper zu betrachten. Ihr Gesicht gab ihm nach all den Stunden nicht mehr genug, er wollte diese Faszination um ihre gesamte Schönheit vervollständigen.
Sein Verlangen beschämte ihn, doch das Wissen um ihren bewusstlosen Schlaf ließ ihn seine Bedenken rasch vergessen - niemand würde ihn sehen. Und so zog er langsam nach einigem Zögern die Decke von ihrem Körper fort. Weiß wie Schnee lag sie in ihrer vollen Pracht vor ihm. Hingerissen tastete er mit seinem Blick ihren ganzen Körper ab. Ihr schlanker Hals bebte sanft unter dem Pochen ihrer Schlagader. Die weiblichen Rundungen ausgeprägt, wie es ihm gefiel. Ihre Brüste passten perfekt zu ihrer Statur. Seine Augen wanderten weiter, sogen ihre makellose Schönheit förmlich ein.
Ihre Taille war schmal, wie es sich für eine schöne Frau gehörte. Und ihr Scham war geziert von feinen blonden Härchen, die sich kunstvoll wie Seidenfäden ineinander webten, was Bellini errötend feststellte. Er war bei Gott kein schlechter Mann, der unanständige Gedanken pflegte, er war gut erzogen und wusste was sich gehörte, aber dieser Bereich hielt ihn doch eine Weile gefangen.
Als er sich endlich davon löste glitt sein Blick über ihre wohlgeformten Hüften hinunter zu ihren schlanken Beinen, die in schönen, zierlichen Füßen endeten.
Etwas später stand er auf, deckte sie wieder zu und ging, um etwas zu essen. Er machte sich Gedanken über seine Arbeit. Der jährliche, zehntägige und weltberühmte Karneval Venedigs stand vor der Tür. In fünf Tagen war es soweit und jeder Venezianer würde seine Masken gespannt erwarten. Es lag noch eine Menge Arbeit vor ihm. Maskenrohlinge herstellen, mit viel Geduld die edlen Stücke bearbeiten und kunstvoll bemalen und verzieren. Keine Sache für jedermann. Dies war eine Kunst, ein Handwerk höchster Klasse. Und nun lag eine wunderschöne junge Frau, jeglichen Bewusstseins beraubt, auf seiner Couch und wollte einfach nicht zu sich kommen. Das würde ihn Zeit kosten, dachte er bekümmert. Und wenn sie erwachte in den nächsten Tagen, was dann?
Bellini hatte die ganze Nacht über nicht geschlafen, er war damit beschäftigt sie zu beobachten, sie ausführlich zu betrachten, regelrecht zu studieren und das spürte er nun. Sein Körper fühlte sich schwer und müde an und so legte er sich bald, in der Hoffnung sie würde noch so lange in tiefem bewusstlosen Schlaf liegen, in sein Bett und schlief ein. Doch diese ruhe währte nur wenige Stunden. Die Gewohnheit der Arbeit weckte Signore Bellini. Noch immer lag dieser Engel reglos auf seiner Couch. Und so langsam überkam ihn die Vorahnung, sie würde nie wieder erwachen, ja sie würde hier in seinem Haus sterben, an den Folgen dessen, was auch immer ihr passiert war.
Er ging für ein paar Stunden hinunter in seine Maskenwerkstatt, schließlich musste er vorankommen. Nicht auszudenken was wäre, wenn er seine Werke nicht rechtzeitig fertig stellen würde. Am frühen Abend verließ er seine Werkstatt wieder.
Er schaute nach der Fremden, die noch immer fest schlief, aber er war der Meinung sie atmete nun kraftvoller und auch ihr Puls, den er prüfend fühlte, schien stärker geworden zu sein.
Er trank gerade einen edlen Rotwein, als die Lider des Mädchens zu zittern begannen. Sie atmete ein paar Mal tief ein, begleitet von sanftem Zucken ihre Finger, ganz so als wenn man aus einem tiefen Schlaf erwacht und dann tat sie erste Versuche die Augen zu öffnen.
Bellini setzte sich ihr wieder gegenüber auf den Stuhl.
Langsam öffnete sie die Augen, war noch ganz benommen und nahm den fremden Mann war. Dann realisierte sie, dass sie sich in einer fremden Umgebung befand. Schwach zog sie die Decke höher und blickte ihn mit ängstlichen, eisblauen Augen an.
Bellini sprach beruhigend auf sie ein, dass sie keine Angst haben müsse und dass er sie aus dem Wasser gefischt und in sein Haus gebracht hatte. Auf die Frage was ihr passiert sei, fand sie keine Antwort. Bellini sah vor sich ein verängstigtes und verwirrtes Mädchen, dass wie sich herausstellte weder wusste wo es herkam, noch wer es war. Nicht mal ihren Namen konnte sie ihm nennen. Sie litt eindeutig an Gedächtnisverlust.
Signore Bellini kümmerte sich wie ein Vater um sie, gab ihr zu Essen, zu Trinken und versorgte sie mit Kleidung. Schon bald vertraute sie ihm. Und Bellini beobachtete fasziniert, wie sie sich trotz ihrer noch vorhandenen körperlichen Schwäche bewegte. Mit jeder Bewegung und Geste strahlte sie pure Eleganz und Grazie aus. Sie war wie eine Elfe oder eher ein Engel, fand Luciano, und mit Sicherheit stammte sie aus gutem, ehrenhaftem Hause. Die Sanftheit mit der sie ihn ansah, wie sie ihren Hals bog oder ein Fuß vor den anderen setzte, löste ein wahres Glücksgefühl in ihm aus.
Und so nahm er sie am folgenden Tag mit in seine Werkstatt. Noch immer hatte er viel zu tun und so überließ er sie sich selbst. Mit glitzernden Augen ging sie langsam an den fertigen Masken vorbei und bewunderte voller Interesse ihre Pracht. Sie fragte Bellini wie man das machte und wie man dies tat und er antwortete ihr geduldig wie einem Kind.
Hin und wieder beobachtete er, wie sie vor einer Maske stand und behutsam und zögerlich die zarte Hand danach ausstreckte, aber immer kurz davor in ihrer Bewegung inne hielt, als läge etwas Zwischen ihr und dem kleinen Kunstwerk - die Angst es könnte unter der Berührung ihrer schlanken Finger zerbrechen.
Bellini betrachtete dies mit einem Lächeln, bevor er sich wieder seiner filigranen Arbeit widmete.
Etwas später entdeckte sie eine recht einfache aber trotzdem außergewöhnlich hübsche Maske. Sie blieb eine Weile vor ihr stehen und fragte den Signore schließlich, ob sie sie berühren dürfe. Bellini willigte vertrauensvoll ein und arbeitete konzentriert weiter. Entzückt hob sie die kleine Maske, die im Grunde nur die Augen und den Nasenrücken bedeckte, hoch und beschaute sie von allen Seiten. Sie war silberweiß und von silbern glitzernden Verzierungen geschmückt. Bellini merkte, dass es ruhig um ihn geworden war. Verwundert sah er auf und sah sie mit der Maske in der Hand. Sie sagte ihm, dass diese Maske wunderschön sei und drehte sie in seine Richtung. Der Signore stand auf und ging langsam auf sie zu. Er erkannte diese Maske, die er erst vor wenigen Tagen stundenlang bemalt hatte bis sie perfekt war. Und er erkannte, wie gut sie zu ihr passte. Das feine Silberweiß passte perfekt zu ihrer Hautfarbe und ihrem Haar. Bellini erstarrte. Vor seinem Auge sah er das hübsche Mädchen, die kleine Maske tragend, in einem edlen und prunkvollem Kleid ganz in Weiß und Silber gehalten, mit Spitze und Seide, die zarten Hände in weißen Seidenhandschuhen, elegant einen Fächer aus weißer Spitze haltend und die Haare kunstvoll frisiert über die Piazza di St. Marco stolzieren. Eine edle Dame, eine Perfektion, das Schönste, das er sich je vorgestellt hatte.
So sollte sie sein, so sollte sie sein Kunstwerk werden. Das Schönste, das der venezianische Karneval je gesehen haben sollte.
Er erzählte ihr in Windeseile von seinen atemberaubenden Plänen und ohne Umschweife hatte er sie für sich gewonnen. Die schönste Frau Venedigs sein, für zehn Tage. Was konnte eine junge Frau anderes wollen?
Er schickte sie ins Haus, wo sie auf ihn warten sollte und wenige Minuten später verschwand Signore Luciano Bellini im Getümmel der Stadt. Er erledigte hier und da Einkäufe, feilschte und verhandelte. Zwei Stunden Später kam er zurück. Die junge Frau sah ihn fragend an, bis er ihr stolz seine erstandenen Dinge präsentierte. Ein wundervolles weißes Seidenkleid wie es sonst nur Königinnen tragen, mit Spitze und silbernen Verzierungen. Ebenso schneeweiße Seidenhandschuhe und einen aufwendig verzierten Spitzenfächer, der so silbern glitzerte, als sei er mit kleinen Diamanten bestickt. Dazu ein elegantes Paar Schuhe. Wie er es sich vorgestellt hatte. Sie war entzückt und so voller Freude, dass sie Bellini einen flüchtigen Kuss auf die Wange gab.
Drei Tage verblieben bis zum Karneval, die er neben der Arbeit an seinen Masken nutze, um ihr alles beizubringen was eine edle Dame über die Kunst der Bewegung, des Verhaltens und der flüchtigen Konversation wissen musste.
Sie sollte begehrenswert werden. Sie sollte alles in den Schatten stellen. Bellini war vernarrt in diese Vorstellung der Perfektion.
Der erste Tag des Karnevals kam und gegen Abend machte sich der Signore an das größte Meisterwerk seines Lebens. Er half ihr in das enge Kleid und schnürte die Korsage, so fest es ging. Anmutig legte sie die Handschuhe an und schlüpfte in die Schuhe. Dann bat er sie, sich zu setzen und gekonnt begann er sie zu schminken wie eine seiner edlen Puppen. Die Augen, die man hinter der Maske sehen sollte, dunkel. Die Lippen sündig rot, der einzige auffallende Farbklecks an ihr. Anschließend legte er Hand an ihre hüftlangen Haare, als Puppenmacher kannte er sich damit recht gut aus. Und so zauberte er in kurzer Zeit eine prachtvolle Frisur. Lockige, lange Strähnen hingen hier und da von den hochgesteckten Haaren herunter. Mit all dem Formte er sie. Er formte sie zu einem Meisterwerk, einer lebenden Puppe, die beste Puppe die er je geschaffen hatte.
Sie nahm ihren Fächer und besah sich in einem großen Spiegel. Noch nie hatte sie sich so schön gesehen. Sie war sichtlich gerührt, als Bellini von hinten an sie herantrat und ihr gekonnt die Maske anlegte, die er unsichtbar in ihren Haaren befestigte. Nun war es perfekt dachte sie, doch Bellini hatte noch etwas um dem Ganzen einen krönenden Abschluss zu geben. Er holte eine kleine Schatulle hervor und öffnete sie. Darin befand sich ein funkelndes silbernes Collier, dass mit Diamanten besetzt und von unschätzbarem Wert war. Während er es der gerührten, jungen Frau umlegte, flüsterte er ihr leise und liebevoll einen Namen ins Ohr, den sie von nun an tragen sollte; Anastasia Celéste.
Mit dieser Namenskombination gab er ihr, der Bedeutung entsprechend, den Titel „die auferstandene Himmlische“.
Luciano betrachtete sie eine Weile und war überzeugt sein Meisterwerk vollendet zu haben. Genauso hatte er es sich vorgestellt, eine Vervollkommnung der Perfektion.
Wenig später begleitet er sie zum Markusplatz, der Piazza di St. Marco, wo hunderte von Kostümierten und nicht kostümierten Menschen flanierten. Gelächter und Getuschel von allen Seiten, ausgelassenes Geplauder und Getratsche. Kaum hatten sie den Platz betreten, hielt sich Bellini im Hintergrund. Langsam und mit einigem Abstand folgte er ihr. Rings um sie herum wurde es still, man drehte sich fast ehrfürchtig nach ihr um und einige wagten ein aufgeregtes Flüstern. Langsam und Elegant ging sie durch das Menschengewühl und mischte sich unter die fröhliche Menge. Überall war es das Gleiche, sie wurde bestaunt, beneidet und bewundert und sie genoss es. Denn noch nie war sie so schön. Es zählte nicht was mit ihr passiert war, wo sie herkam und wer sie überhaupt war. Die nächsten zehn Tage würden ihr gehören. Und diese Tage zogen ins Land und jeden Tag aufs Neue oder noch mehr verliebten sich die Männer auf Anhieb in die schöne Unbekannte. Wie eine Braut, die schönste der Welt. Die Männer wollten sich ihr hingeben, hatten jeglichen Hochmut und Zurückhaltung verloren. Sie wollten ihre Nähe spüren. Einige folgten ihr unaufdringlich, andere beobachteten sie fasziniert, wiederum andere sprachen sie an, baten sie um einen Tanz, woraufhin sie schüchtern lächelte und die Augenlider niederschlug. Bellini hatte ihr beigebracht sich zurückhaltend, geheimnisvoll und unnahbar zugleich zu geben. Und aus seinem sicheren Abstand merkte er zufrieden, dass sie dieses Verhalten beherrschte.
Obwohl keiner der Männer ihr Gesicht komplett sehen konnte, waren sie von ihr voll und ganz gefangen, ob vergeben oder nicht. Wie einen Zauber verströmte sie ihren Charme und ihre Schönheit, wie den Duft ihres teuren Parfums, dass Bellini aus einer der edelsten Parfümerien Venedigs für sie gekauft hatte und den Männern scheinbar die Sinne vernebelte. Sie wurde von allen begehrt. Mit großem Gefallen stellte Bellini fest, dass sein Meisterwerk perfekt war. Und dieses sonst so hochgestochene Wort, passte ohne Kompromiss. Die Leute vernahmen schnell, dass Bellini hier seine Finger im Spiel hatte und sprachen ihm höchste Bewunderung aus. Hier und da wurde sie leise die Königin des Karnevals genannt, oder ganz Übermütige wagten sie als die Königin Venedigs zu betiteln, denn auch nicht wenige sprachen ihr königliches Blut zu.
Nie zuvor hatte eine einzige Person auf dem Karneval soviel Eindruck hinterlassen, doch wie alles hatte auch das bald ein Ende. Der letzte Karnevalsabend war gekommen.
Anastasia Celéste stand umringt von einigen Herren auf dem Markusplatz und nahm an interessanten Gesprächen teil. Sie wollten ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, doch die junge Frau verstand es distanziert aber freundlich zu sein.
Als sich die Nacht dem Ende neigte und der Markusplatz leerer wurde gesellte sich auch Bellini zu seinem Kunstwerk. Es war Zeit zu gehen. Ein weiteres Karnevalsjahr neigte sich dem Ende und Bellini machte sie wie immer Gedanken wie es nun weiterging. Normalerweise meldeten sich nach dem Karneval viele Interessenten für seine präsentierten Masken, die Bellini anschließend verkaufte. Doch was tat man mit einem lebendem Kunstwerk, einer Puppe aus Fleisch und Blut?
Bellini führte seine Schönheit durch die Dunkelheit der Nacht in Richtung seines Hauses. Anastasia Celéste bedankte sich überschwänglich und tausendmal für diese tolle Zeit und der Meister gab sich bescheiden. Er war eher in tiefgründige Gedanken versunken. Dunkle Wolken zogen in ihm auf. Sie erreichten sein Haus, er entzündete einige Kerzen, die das Wohnzimmer erhellten. Er half ihr aus dem Kleid und trug ein wenig zu Essen auf. Bellini war merkwürdig schweigsam seitdem sie zu Haus angekommen waren. Er setzte sich auf eine Couch und brauchte nicht lang warten, bis sie sich in ihrem Alltagskleid zu ihm gesellte. Sie lehnte sich glücklich an seine Schulter und ließ die letzten Tage noch einmal in ihren Gedanken aufleben. Sie war ausgelassen und ein wenig aufgedreht, nicht zuletzt durch den guten Rotwein, der auf dem Markusplatz zu Hauf floss. Der Karneval hatte sie aufleben lassen. Bellini ließ sich ein wenig davon anstecken und begann sie spielerisch mit Trauben zu füttern. Doch Bellini war nicht wirklich zu ausgelassenen Spielen zumute. Er beobachtete eine Weile, wie sie mit geschlossenen Augen die Trauben mit ihren Lippen entgegennahm.
Geräuschlos zog er eine kleine Glasphiole aus seiner Tasche und öffnete sie unbemerkt. Wieder gab er ihr eine Traube. Wenig später öffnete sie fordernd die Lippen als sie merkte, dass Bellini keine Traube mehr bereithielt. Darauf hatte er gewartet. Langsam führte er die kleine Phiole zu ihrem geöffneten Mund und entleerte dort die saphirgrüne Flüssigkeit. Erschrocken schluckte sie diese und öffnete die Augen. Gerade wollte sie etwas sagen, als sie inne hielt. Ihr Ausdruck war fragend, ein wenig ängstlich, sie merkte ein Schwindelgefühl. Sie wollte sich aufrichten doch ihr Körper versagte seinen Dienst. Bellini verschwamm langsam vor ihren Augen, ihr Puls schien zu rasen bevor er sich in ein viel zu langsames Pochen verwandelte. Bellini sah sie ausdruckslos an, hatte die Phiole fallen gelassen. Nun wurde ihr schwarz vor Augen und ihr Körper sackte leblos in Bellinis Arme zusammen. Aus ihrem leicht geöffneten Mund lief stumm ein noch übrig gebliebener Tropfen des grünen Giftes. Grün, wie die Algen in ihrem Haar.
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