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Zwänge, Ängste, Leidenschaft

in Publikationen, Projekte und Veranstaltungen 05.01.2009 12:23
von Karl Feldkamp • Mitglied | 194 Beiträge | 194 Punkte
Zu einem entspannten und zugleich spannenden Spaziergang durch Neurosengärten und –treibhäuser lädt Roman-Debütantin Vera Hesse Leserinnen und Leser ein, die sich mit Vergnügen einem Antiheldenepos widmen wollen. Doch nicht nur die Flora in diesen über- und unüberdachten Gärten entwickelt sich zunächst prächtig. Auch die Tierwelt – vor allem die der Insekten – hat ihre ganz spezielle Wirkung auf menschliche Wesen, die sich (immer noch) für die Vollendung der Schöpfung halten.
Georg Schneider (46), von persönlichen Krisen heftigst geschüttelt und dennoch leidenschaftlich starr, umtriebig triebhaft, sehnsüchtig süchtig und zwanghaft phobisch, will fast alles, nur Fremdes und Neues ist ihm beinahe ausnahmslos suspekt. Eisern hält er sich und den meisten seiner Macken die Treue und langweilt sich, in der Mitte seines Lebens angekommen, bereits dem Tod entgegen. „Als er in diesem Seelenloch vor sich hin brütete und kein Lichtstrahl mehr zu ihm drang“, suchte er etwas, das groß genug war, dieses Loch zu stopfen.
Als Lebensersatz schlug er sich zunächst mit einer Wochenzeitung herum, die ihm – leider nur vermeintlich – das pralle Leben ins Haus lieferte. Und zwangsläufig gelang es ihm dabei nicht, zwischen wichtiger und unwichtiger (Zeitungs-)Information zu unterscheiden. So konnte er bereits gelesene Zeitungen nicht wegwerfen. Bei seinem Kampf, die vielfältigen Informationen zu ordnen und zu archivieren, unterlag er und wurde zum Informationsmessie.
Während bei anderen Menschen Leidensdruck ausreichend Anlass zu positiven Veränderungen bietet, kommt Georg ausgerechnet seine leidenschaftliche Insekten-Phobie zur Hilfe, die ihn jedoch zunächst auf direktem Weg in die Katastrophe taumeln lässt.
Der bisexuelle Georg hatte es mit einem Schwulen ausprobiert und will es gerade wieder mit einer für ihn äußerst reizvollen Frau versuchen. Da legt ihm ein zunächst scheinbar nicht zu ergründender Zufall die Riesenkakerlake Körk ins Bett. Auch Körk ist auf seine Art liebesbedürftig. Und da Georg zwanghaft loyal reagiert, gibt ihm das neue Haustier manche Gelegenheit, seine Treue zu dem Rieseninsekt zu beweisen.
Der Leser mag zwar an Kafka erinnert sein. Doch Körk durchlebt keine Verwandlung. Dafür wandelt sich schließlich Georg allmählich. Allerdings nicht zum Käfer, sondern durchaus zu seinen Gunsten in einen liebenswerten Mann.
Selbst wenn Happyends in modernen ernsthaften Romanen eher nicht mehr „in“ sind, ist der Ausgang dieses äußerst skurrilen Entwicklungsromans durchaus von beglückender Wirkung für Georg und für Leserinnen und Leser.
Für alle, die das hohe Lied der Liebe und Freundschaft weniger gern in schwülstigen Opern oder gar Operetten genießen, lässt die Autorin – in ganz eigener Sprachmelodie – eher gelungene Parodien von Alltagsliedern erklingen.
Obwohl Vera Hesse in jedem Fall mit psychologischem Tiefgang daherkommt, bringt sie mit ihrem Roman nicht nur Männer in persönlichen Krisen sowie Paare im Beziehungsclinch trotzdem zum Lachen. Aber auch vor und nach Krisen kann der Roman – vorzugsweise im Bett gelesen – seine humorvoll entspannende und damit heilsame Wirkung entwickeln.

Vera Hesse, Körk!, Roman, van Aaken Verlag Köln 2008, 249 Seiten, € 12, 95
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